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Wie der Winter einmal war. Mit Schneeschuhen im Niemandsland der Roßbrand-Kette im Salzburger Land.

© Fitzthum

Salzburger Land: Abseits vom Zirkus

Filzmoos im Salzburger Land hat hochfliegenden Plänen von Investoren widerstanden und sich seine Ruhe bewahrt.

Ob das gut geht – ins Salzburger Land zu fahren, um eine besinnliche Woche im Schnee zu verbringen? Ist Österreich nicht längst zu einer flächendeckenden Sport- und Spaßzone umgebaut worden, in der es nichts Ursprüngliches mehr gibt, und schon gar keine Stille? Beim Verlassen der Tauernautobahn keimt jedoch Hoffnung auf. Das Nebensträßchen windet sich durch ein tief verschneites Niemandsland, vereinzelt stehen uralte Holzhäuser mit hübschen Glockentürmchen am Hang. Unten frostiger Schatten, oben gleißende Sonne. Von der „Skiwelt Amadé“, zu der das Tal des Fritzbachs gehört, ist rein gar nichts zu sehen.

Vielversprechend auch der Name des Reiseziels – Filzmoos. Das klingt nicht nur bodenständig, sondern geradezu archaisch, lässt eher an eine unzugängliche Sumpflandschaft denken als an ein technisch hochgerüstetes Wintersportziel. Tatsächlich hat Filzmoos nur lächerliche zwölf Pistenkilometer aufzuweisen, empfiehlt sich selbst entsprechend als „stiller Gegenentwurf zum turbulenten Skizirkus“. Dass es an einem Filzmoos benamsten Ort ausuferndes Après-Ski mit Table-Dancing und grelle Videoleinwände oder dröhnende Schneekanonen gibt, ist nun wirklich nicht zu befürchten. Vermutlich wird der Besucher schon froh sein können, nach 20 Uhr noch ein geöffnetes Lokal zu finden.

Kurz nach dem Ortsschild wird der Neuankömmling jäh aus seinen Traumvorstellungen gerissen, schlägt hart auf dem Boden der Realität auf. Filzmoos begrüßt seine Gäste mit der Talstation eines modernen Vierer-Sessellifts, drei röhrenden Schneekanonen und einer gut besuchten Schirmbar. Alles so wie auch anderswo. Es folgen überdimensionierte Neubaublöcke im Pseudo-Heimatstil: In den 70er Jahren haben die Ortsverantwortlichen offenbar Nägel mit Köpfen gemacht, die heimeligen Holzhäuser weggerissen und doppelt so hoch und doppelt so breit gebaut – mit Erkern und Schnitzereien verzierte Riesenkästen, die jedem gesunden Maßstabsempfinden spotten.

Das Geschäft mit Kutschfahrten läuft seit 30 Jahren gut

Besser also, die Mittagseinkehr zu verschieben und erst mal das Weite zu suchen – auf dem Winterwanderweg zu den Hofalmen. Der Schnee knarzt unter den Schuhsohlen, die Lungen blasen weiße Fahnen in die kalte Winterluft. Ahhh, schon fühlt man sich besser. Kurz darauf kommen einem glückliche Kinder auf ihren Schlitten entgegen, dann überholt eine Pferdekutsche, die mit klingelnden Glöckchen ins Reich des Schnees hinausgleitet. An einer Scheune riecht es nach Heu und wenig später nach frischem Mist. Und plötzlich ist er da: Der Winter, wie er früher einmal war.

Mit Pferdestärken zu den Hofalmen, für jeden Gast in Filzmoos ein Muss.
Mit Pferdestärken zu den Hofalmen, für jeden Gast in Filzmoos ein Muss.

© TV Filzmoos

Das autofreie Hofalmental gehört zu den Alleinstellungsmerkmalen des winterlichen Filzmoos. Fast jeder Gast geht während seines Aufenthalts wenigstens einmal die vier Kilometer zu Fuß hinein, wenn er sich nicht kutschieren lässt. Kutschfahrten gebe es zwar auch anderswo, aber nur hier werde niemand von Autos auf Asphaltbändern behelligt, sagt Sepp Hofer, der mit seinen beiden Haflingern an der bewirtschafteten Oberhofalm wartet.

Insgesamt acht Bauern böten ihre Dienste an, wobei zwei Dutzend Gespanne im Einsatz seien: „Ein gutes Geschäft, vor allem im Winter“, sagt der leutselige Rentner mit dem wettergegerbten Gesicht grinsend. Insgesamt 52 landwirtschaftliche Betriebe gibt es in der Gemeinde noch, und in den vergangenen 30 Jahren ist kein einziger aufgegeben worden – eine kleine Sensation, fürwahr. Die Bauern arbeiten im Winter bei den Bergbahnen, im Räumdienst oder als Fiaker. Beim Überleben in schwieriger Zeit hilft auch die Selbstvermarktung.

Große Hotelketten will man in Filzmoos nicht

Dass der Talkessel mit den bewirtschafteten Hofalmen noch in seiner Ursprünglichkeit erstrahlt, ist keineswegs selbstverständlich. In den Siebzigern war ein privater Investor aufgetaucht, der das von wilden Felsmassiven umstandene Idyll mit Liftanlagen und Ferienhäusern so recht aufhübschen wollte. Der damalige Gemeinderat war jedoch tatsächlich klug genug, diesem vergifteten Angebot zu widerstehen.

Seit mehr als 20 Jahren im Amt, führt Bürgermeister Sulzberger die Linie seiner Vorgänger mit restriktiven Bebauungsplänen fort. Es gelte nicht nur das Eindringen großer Hotelketten zu verhindern, sondern auch den Zweitwohnungsbau. „Wachstum ist gut, muss aber seine Grenzen haben, man kann ja nicht alles dem Kommerz opfern“, sagt der gebürtige Filzmooser.

Und man hat keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint. Für den sympathischen Mann in der Lodenjacke sind die Skistationen der Pongauer Umgebung Beispiele einer kapitalen Fehlentwicklung. Wer mit der Langsamkeit einer Pferdekutsche ins Dorf zurückkehrt, findet dieses schon viel behaglicher. Der erste Schock ist verflogen.

Die Stille Seite des Winters

Da legst di’ nieder. Ja, auch Schneeschuhlaufen strengt an.
Da legst di’ nieder. Ja, auch Schneeschuhlaufen strengt an.

© Tourismusverband Filzmoos

Es ist die gebremste Entwicklungsdynamik, die die vielen Stammgäste zu schätzen wissen: Im 800-Seelen-Dorf ist alles übersichtlich und in der Regel zu Fuß erreichbar. Wer hier unterkommt, kann seine Kinder allein zum Skilift gehen und das Auto den ganzen Urlaub einfach stehen lassen, zumal es für Gäste während der Saison kostenfreie Skibusse gibt.

Seit den Achtzigerjahren haben sich die Urlaubsmotive allerdings stark gewandelt. Der typische Filzmoos-Gast ist heute „multioptional“: Er will den Winter mit allen Sinnen genießen, auch und gerade von seiner stillen Seite, ohne gleichzeitig auf die Möglichkeit verzichten zu müssen, ohne großen Aufwand auch mal ordentlich Skikilometer auf ausgebauten Pisten zu „fressen“. Doch nur jeder zweite Urlauber macht vom nahen Pistenangebot der Skiwelt überhaupt Gebrauch. Die Touristiker bedienen stattdessen die neu entdeckten Interessen der Besucher mit lehrreichen geführten Schneeschuhtouren, einer herausfordernden Rodelbahn, 50 Loipenkilometern und einem ebenso langen Netz an geräumten Winterwanderwegen.

Das unbestrittene Prunkstück von Filzmoos ist die 14 Kilometer lange Route, die der legendären Höhenloipe folgt. Dafür fährt man mit der Papageno-Gondel auf 1600 Meter Höhe und steigt dort sanft zum Roßbrand-Kamm auf. Schon nach wenigen Metern ist die Sport- und Spaßzone vergessen. Selbst ungeübte Langläufer werden bei diesem Streckenabschnitt voll und ganz auf ihre Kosten kommen. Umgeben von einer unberührten Schneewelt wird jeder das Rundum-Panorama, das von Dachstein, Bischofsmütze und Hochkönig beherrscht wird, genießen.

Absurde Preispolitik treibt das Gebiet in die roten Zahlen

Gemischte Gefühle bekommt allerdings, wer nach Süden schaut. Dort gleitet der Blick über die Skiarenen von Schladming, Flachau und Zauchensee – kaum eine Bergflanke, in die keine hässliche Schneisen in den Nadelwald hineingefräst wären. Ganz anders das Familienskigebiet von Filzmoos. Von hier oben betrachtet erinnern nur die Skihänge am gegenüberliegenden Großberg an die lange Wintersporttradition der Gemeinde. Erschlossen sind sie von zwei kleineren Sesselliften, die dem Landschaftsbild noch keinen Schaden zufügen.

Trotz seiner durchaus reizvollen Pisten ist das Skigebiet das eigentliche Sorgenkind. Weil sich die Betriebskosten durch die künstliche Beschneiung vervielfacht haben, lässt sich mit einer Handvoll Lifte kein Geld mehr verdienen. Alle Versuche, Tagesskifahrer aus dem Salzburger Raum anzulocken, sind gescheitert, was an der umständlichen Anreise, aber auch an der absurden Preispolitik liegt: Als Mitglieder des Mega-Skigebietsverbunds Ski Amadé dürfen die einzelnen Orte keine eigenen Skiabonnements verkaufen.

Die Folge: Wer seinen Skiurlaub in Filzmoos verbringt, zahlt genauso viel wie der Flachau-Gast, dem ein zehnmal so großer Liftzirkus zur Verfügung steht. Die herrschende Wachstumslogik sorgt also selber dafür, dass die kleineren Gebiete rote Zahlen schreiben. Für den Filzmooser Pistensportler ist dieser Selbstzerstörungsmechanismus im Moment noch von Vorteil: Er muss niemals anstehen und selbst am Wochenende herrscht auf den Pisten kein Gedränge.

Was sich an Orten wie Filzmoos lernen lässt?

Weniger vorteilhaft ist, dass die Anlagen vor langem den Zauchenseer und Flachauer Bergbahngesellschaften verkauft wurden, die ganz andere Interessen verfolgen als die Kommune. „Am liebsten wäre es ihnen, wenn man den alternativen Winteraktivitäten im Ortsprospekt nur eine halbe Seite einräumen würde“, verrät ein Vorstandsmitglied des Tourismusverbandes, das – um Gottes Willen – namentlich nicht genannt werden will.

Weil der Ort vom Fortbestand des klassischen Wintersportangebots abhängig sei, müssten die Gemeindevertreter den ortsfremden Betreibern erhebliche Zugeständnisse machen. Filzmoos darf sich also nach außen nicht darstellen, wie es die professionellen Marketingberater empfehlen: als Ort, an dem das Pistenskifahren nur ein Angebot von vielen ist.

Was sich an Orten wie Filzmoos lernen lässt? Zum einen natürlich, dass sich in Sachen ursprünglicher Ortsbilder besser niemand irgendwelche Illusionen machen sollte. Und zum anderen, dass die Gemeindepolitik selbst dort von der Skiindustrie mitbestimmt wird, wo sich die Volksvertreter dem Ausverkauf der Natur widersetzen. Ist einmal ein nennenswertes Pistenangebot vorhanden, so ist es eine schier unlösbare Aufgabe, die aggressive Wintersport-Doktrin abzuschütteln.

Langlaufsport hat großes touristisches Potential

Und das, obwohl das Alpinskifahren seit Langem ohne jede Wachstumsperspektive ist – im Unterschied zum Tourengehen und anderen sanften Schneeaktivitäten. Marktforscher wie der Wiener Klaus Grabler haben festgestellt, dass Datenmaterial zum Thema Langlauf und Tourismus nur sehr spärlich vorhanden ist.

Provokant stellte er fest, dass Langlaufen im Vergleich zum Alpinskilauf die wesentlich größere Nachfrage generieren müsste: Intensives Naturerlebnis, Abschalten/Erholen und Fitness stehen im Mittelpunkt des eher leicht erlernbaren Sports. Warum das nicht so ist, liegt seiner Ansicht nach daran, dass einerseits die „emotionale Aufladung“ des Langlaufsports noch nicht gelungen ist, und andererseits auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Zielgruppe fehlt.

Und welche Schlüsse sind zu ziehen? Wer keine Schneekanonen haben will, die bei passenden Temperaturen rund um die Uhr Dorf und Tal beschallen, muss einen weiten Bogen um viele österreichische Alpendörfer machen. Wer den Kompromiss aushält, ist in Filzmoos aber bestens aufgehoben. Denn einerseits kann der Besucher sicher sein, dass das Skigebiet nicht nennenswert erweitert wird.

Und andererseits bekommt er unter der Hand all das, was es den Liftbetreibern zufolge eigentlich gar nicht geben dürfte – viele Alternativen zum alpinen Skilauf bei himmlischer Ruhe.

Gerhard Fitzthum

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