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Cabo de São Vicente. Der Leuchtturm markiert den südwestlichsten Punkt Europas. Kein Wunder, dass er viele Touristen anlockt.

© Beate Schümann

Portugal: Wahre Schönheit ist wild

Die Südwestküste Portugals ist spektakulär. Auf der Rota Viventina, einem neuen Fernwanderweg, kommt man ihr ganz nah.

Am Cabo de São Vicente, am südwestlichsten Punkt Europas, fällt das Land senkrecht ins Meer. Geschätzte sechzig Meter, vielleicht mehr. Ein atemberaubender Platz, den ein rot-weiß geringelter Leuchtturm markiert, umgeben von schroffen Klippen von karger Vegetation. Vor allem in der Hochsaison drängeln sich tagsüber Schaulustige auf dem Hochplateau. Wer frühmorgens kommt, erlebt die Faszination des Kaps in aller Stille. Zum Beispiel jene Wanderer, die vor der Hitze des Tages die „Rota Vicentina“ unter die Füße nehmen wollen.

Wo sich Land und Meer so spektakulär begegnen, steht eine große Tafel mit detaillierten Infos zum unlängst eröffneten Fernwanderweg. Etappe für Etappe führt er durch den 75.000 Hektar großen Naturpark Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina, der im Südwesten Portugals schroffe Felsen, sandige Buchten, Lagunen, Dünen und Schluchten schützt. Eine Gegend voll wilder Schönheit, großer Artenvielfalt und unberührter Landstriche.

Der Wanderer kann sie auf Fischerwegen, den „Trilhos dos Pescadores“, oder auf historischen Wegen, den „Caminhos Históricos“ im Hinterland erkunden. Es bleibt ihm überlassen, ob er von Nord nach Süd geht. Dann startet er an der mittelalterlichen Burg von Santiago do Cacém, um Tage später am Cabo de São Vicente anzukommen. So machen es die meisten. Genauso gut aber funktioniert es umgekehrt – und dafür entscheiden wir uns. Die Rota Vicentina ist für beide Richtungen bestens ausgeschildert.

Im gefährlichen Brandungsbereich liegt das Jagdrevier der Perceveiros

So führt die erste Etappe nach Vila do Bispo entlang der Küstenlinie. An der Kliffkante wartet ein Kaleidoskop der Farben auf: senfbraun der Kalkstein, smaragdgrün das Meer, honiggelb die Buchten, terrakottarot die Erde.

Die Aussicht auf die kilometerlangen Klippen und Buchten, die Dimension der Naturgewalt verlocken, verzaubern – und erschrecken. Denn da unten schäumt wild das Meer, spuckt immer wieder eine neue Ladung Wellen in Höhlen und Grotten, klatscht gegen dunkle Felswände, aus dem Ozean ragende Steinsäulen und Gesteinsrücken. All das wurde geformt vor über 300 000 Jahren.

Der muskulöse Stil der Entenmuschel gilt als Delikatesse.
Der muskulöse Stil der Entenmuschel gilt als Delikatesse.

© imago

Zwischen dem Südwestkap und Aljezur erkennt man an den im Fels verankerten Seilen die Arbeitsplätze der Fischer. Nicht auf Fisch oder Langusten gehen sie los, sondern auf Entenmuscheln, ein Krustentier, das zur Familie der Rankenfusskrebse gehört. Eine traditionelle Spezialität, vielleicht die exotischste Europas, die es nur an Felsküsten des Atlantiks gibt.

Im gefährlichen Brandungsbereich liegt das Jagdrevier der Perceveiros, wie die Männer heißen, die ihr Leben riskieren, um die von Schlemmern begehrten Perceves zu sammeln. Der schmackhafte Muskel der fingerdicken, etwa fünf Zentimeter langen Tierchen ist es, auf den sie es abgesehen haben.

Entenmuscheln sind rar geworden

Vila do Bispo ist die Hochburg der Perceves. Gegenüber der barocken Pfarrkirche befinden sich Snackbars wie Pesqueiro Novo oder Convívio, Stammkneipen der Entenmuschelsammler. Wenn Krebstiere im Angebot sind – hier kann man sie probieren. „Sie sind rar geworden“, erklärt Nicolau da Costa und begründet es mit Meeresverschmutzung und Überfischung.

Der Landschaftsarchitekt ist an der Costa Vicentina geboren, viel in der Welt gereist, aber an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt. „Wir müssen unsere Umwelt schützen“, sagt er ernst. Die Natur sei ihm heilig. Und jeder von uns sei ein Teil von ihr, mahnt er. Deshalb engagiert sich der 40-Jährige auch bei der Rota Vicentina, führt Wandergruppen zu den schwarz-roten Steilklippen, informiert über Geologie und Pflanzen.

"Keine Etappe ist wie die andere", schwärmen Hilde und Ralf aus Leuwen

Die Kirche in Santiago do Cacém.
Die Kirche in Santiago do Cacém.

© Beate Schümann

Auf der Etappe zwischen Carrapateira bis nach Vila Nova de Milfontes sollten die Wanderer Badezeug im Rucksack haben. Denn inmitten der Felsenwelt öffnen sich ständig herrliche Strandbuchten wie die Praia do Amado, da Bordeira oder Odeceixe. Der Wanderer legt die verschwitzte Kleidung ab und rennt in die Wellen. Doch Achtung! Der Atlantik ist ganz schön kalt.

Zurück auf dem Klippentrail peilen wir Zambujeira do Mar an. Die Algarve hat der Wanderer gerade verlassen und befindet sich jetzt in der Region Alentejo. Die größte Überraschung sind hier die Weißstörche auf Felsennestern. Der Abschnitt bei Azenhas do Mar gilt als weltweit einziger Platz, wo die Schreitvögel auf Riffen im Meer brüten, sogar heimisch und ganzjährig zu sehen sind.

Wie Cinque Terre, nur nicht so überlaufen

„Neunzig Prozent der Wanderer bevorzugen die Fischerwege", sagt der gebürtige Schweizer Rudolf Müller. Er hatte die Idee zur Rota Vicentina. Die spektakuläre, völlig unverbaute Felsenküste spiele in der ersten Liga landschaftlicher Highlights, findet er. Man könne sie am besten mit Machu Picchu, dem Himalaja oder der Cinque Terre in Italien vergleichen.

Allerdings: Das portugiesische Naturwunder sei noch kaum entdeckt. „Der Historische Weg kann es nicht mit Delphi oder Ephesos aufnehmen“, sagt Müller. Doch er verbinde authentische, lebendige Dörfer auf dem schönstmöglichen Weg. Landschaft und Leute seien hier das Kapital. An der Streckenführung werde ständig gearbeitet. „Sie wurde gerade von 350 auf 400 Kilometer verlängert“, erklärt der Experte. Das nächste Projekt sei eine durchgehende Küstenroute.

„Keine Etappe ist wie die andere“, schwärmen Hilde und Ralf aus Leuwen in Belgien, die auf dem Caminho Histórico von São Luís nach Odemira unterwegs sind. Gerade die vielen verschiedenen Facetten, der Wechsel von Korkeichen und Felsen, das gefalle ihnen. Alles wirke natürlich, unverdorben. „Die Natur ist hier der Boss“, sagt Hilde.

Durch die Klosterruine springen Wildziegen

Die Wanderer passieren auch das Haus von Senhor André, der dem Wanderer ein freundliches „Olá!“ zuruft. Hunde kläffen auf seinem Hof, Hühner gackern, Enten schnattern. An den Bäumen hängen Feigen, Quitten, Pfirsiche und Äpfel. Glück kann so einfach sein. „Wir freuen uns immer, wenn Wanderer vorbeikommen“, sagt der 81-jährige Bauer. Die 75 Jahre alte Dona Eva bietet einen Gartenstuhl zum Ausruhen an. Wie gern möchte man hier verweilen...

Die letzte Etappe führt durch ausgedehnte Olivenhaine und Korkeichenwälder. Am Weg liegt das Kloster Nossa Senhora do Loreto aus dem 15. Jahrhundert. Viel ist nicht von ihm übrig geblieben. Durch die Ruine springen Wildziegen.

Bald danach kommt das Ziel in den Blick, die mittelalterliche Burg von Santiago do Cacém. Die ehemalige Templerburg thront auf einer Anhöhe. Auf den Stufen der kleinen Kapelle sitzend, fällt einem Wanderer ein Satz des portugiesischen Literaten José Saramago ein: „Überlass deine Blumen jemandem, der damit umzugehen weiß, und geh los. Oder geh weiter. Denn keine Reise hat ein Ende.“

Wir könnten die Tour glatt noch einmal machen.

Schöner Platz zum Ankommen

ANREISE

Die TAP – Air Portugal fliegt mehrmals pro Woche von Berlin nach Lissabon und Faro, Preis ab rund 300 Euro. Auch Air Berlin und Easyjet bedienen die Strecke.

ÜBERNACHTEN

Memmo Hotel, Sagres, Preis im DZ: ab 155 Euro pro Nacht. Vier-Sterne-Hotel am Meer.

Pensão das Dunas, Carrapateira, Preis im DZ: ab 30 Euro pro Nacht. Freundliche, nett eingerichtete Pension mit idyllischem Garten in Strandnähe.

Quinta do Chocalhinho, Bemposta-Odemira, Preis im DZ: ab 75 pro Nacht. Schön restauriertes traditionelles Landgut mit Pool und Restaurant.

ESSEN & TRINKEN

Ribeira do Poço, Vila do Bispo, erstklassiges Fischlokal (auch Perceves) am Ort.

AUSKUNFT
Website der Rota Vicentina.

Beate Schümann

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