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Die drei vom Gipfel. Zoltan, Xhandi und Gil (von links) gehen im Sommer täglich mit Touristen spazieren. Für Fotos posieren sie immer gern.

© Hella Kaiser

Wandern mit Bernhardinern: Bergauf mit den Gutmütigen

Das Wallis überrascht nicht nur mit hohen Gipfeln. Hier können Touristen mit Bernhardinern wandern. Jahrhundertelang wurden sie von Mönchen auf dem Großen St. Bernhard gezüchtet. Das ehemalige Hospiz dient heute als Reisequartier.

Auf 2469 Meter darf man als Flachländerin schon mal aus der Puste kommen. Aber, wieso klopft das Herz so laut? An den steilen Pfaden am Großen St. Bernhard liegt das nicht. Zoltan ist schuld. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Er ist einer von drei Bernhardinern, die an diesem Vormittag im August für eine Wanderung mit Touristen ausgewählt wurden. Die übrigen neun Tiere, die uns allesamt schwanzwedelnd begrüßt hatten, müssen im Zwinger bleiben. „Keine Sorge, die kommen später auch noch dran“, sagt Florence, eine Mitarbeiterin der Fondation Barry, einer Stiftung zum Wohle der Bernhardiner. Ihren Sitz hat die Fondation Barry im knapp 50 Kilometer entfernten Martigny. Dort befindet sich seit 2004 auch die Zuchtstation der gutmütigen Vierbeiner. Den Mönchen vom St. Bernhard, die sich bisher um den Fortbestand der Tiere gekümmert hatten, waren Arbeit und Aufwand zu viel geworden.

Rund und riesig ist Zoltans schwarz-weiß-braun gefleckter Kopf. 75 Kilo bringt er auf die Waage, mit 84 Zentimetern ist seine Nackenhöhe angegeben. Ein wuscheliges Monstrum. Wie kann man den an der Leine halten, wenn er losrennen will! Glücklicherweise denkt Zoltan gar nicht dran auszubüxen. Gemächlich trottet er voraus und schnuppert mal hier, mal dort. Kommt der Mensch, hinter ihm an der Leine, dennoch nicht hinterher auf diesem steinigen Pfad, bleibt er stehen und schaut sich um.

Blickt einen sanft an aus seinen dunkelbraunen, ein wenig blutunterlaufenen Augen. Seine Lefzen hängen herunter, nun ja, er sabbert gehörig. „So sehen Bernhardiner heute eigentlich nicht mehr aus“, sagt Rudolf Thomann. Man hätte es mit der Züchtung übertrieben, das sei schon fast bis zur Qualzucht gegangen, fügt er hinzu. Der Mann ist Experte. Als Ex-Chef des Schweizerischen Bernhardiner Clubs kümmert er sich heute um die Stiftung Barry.

Wie kamen die Bernhardiner überhaupt auf den Berg?

Unsere tierischen Begleiter Gil und Xhandi sind nach Ansicht von Thomann besser geraten. Beide sind ein wenig kleiner, schlanker und rund um ihre Schnauzen sieht es ziemlich trocken aus. Gil läuft voraus, als wollte sie das Terrain sichern. „Sie ist unser Schulhund“, sagt Thomann. Entsprechend trägt sie heute die Verantwortung – und das rote Erste-Hilfe-Päckchen. Pflaster und Verbandszeug sind drin, aber auch Desinfektionsmittel und Salbe. Zwar sei noch nie etwas passiert bei diesen anderthalbstündigen Wanderungen, aber man wolle für alle Fälle gerüstet sein.

Acht Personen bilden die kleine Wandertruppe. Darunter ein junges Pärchen aus Genf, eine Familie aus Bordeaux und zwei Freundinnen aus Kent. Ellie, eine der beiden sagt: „Wir lieben Bernhardiner. Als wir von der Möglichkeit gehört haben, mit ihnen zu wandern, haben wir sofort gebucht.“ Und lächelt Xhandi zu, die sie gerade an der Leine führen darf. Der kleine Junge aus Frankreich dagegen umarmt „seine“ Gil so fest, als wollte er sie nie mehr loslassen. Geduldig erträgt der Hund den Liebesbeweis. Man möchte Zoltan sitzend fotografieren. Was sagt man ihm also? „Assis“, erklärt Florence und lächelt. Der Hund, im Wallis geboren, versteht natürlich nur französisch.

Wie kamen die Bernhardiner überhaupt auf den Berg? Ursprünglich, so lernt man im Museum der Barry-Stiftung, stammten die Tiere aus Ober-Assyrien. Dort habe man 3000 Jahre alte Flachreliefs gefunden, auf denen ähnlich aussehende Vierbeiner zu erkennen waren. Durch Kriege und Handel seien einige der Bernhardiner nach Griechenland und Rom und schließlich ins Wallis gelangt. Dort mochte man ihn offenbar auf Anhieb. „Gegen 1350 erscheint sein schöner Kopf in Wappenschildern einiger adliger Familien“, heißt es auf einer Tafel im Museum.

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts, so wird vermutet, wären einige Bernhardiner „als Geschenke reicher Familien“ zu den Mönchen gelangt. In den Aufzeichnungen von Prior Ballalu heißt es: „Im Jahre 1700 ließ Chorherr Camos, der Ökonom des Hauses, ein Rad anfertigen, in das man einen Hund hineinstellte, um den Braten zu drehen.“

Zoltan wird keine Lawinenopfer mehr finden

Freunde fürs Leben. Leider werden Bernhardiner nicht sehr alt.
Freunde fürs Leben. Leider werden Bernhardiner nicht sehr alt.

© swiss image

Schon im 11. Jahrhundert hatte der Edelmann Bernhard von Aosta ein Hospiz auf dem Jupiterberg bauen lassen, der später zum Großen St. Bernhard umgetauft wurde. Augustinermönche zogen ein. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Hospiz mehrfach aufgestockt, auch die kleine Kapelle wurde nach Umbauten immer größer und prächtiger. Wie viel Wertvolles den Augustiner-Chorherren geschenkt wurde, ist seit einiger Zeit in der sogenannten Schatzkammer im Hospizmuseum zu betrachten.

Die Gegend rund um den Pass war vor allem im Winter gefährlich. Schneestürme, Nebel und Lawinen machten Pilgern und Mönchen zu schaffen, zudem trieb sich allerlei Gesindel herum. Von zahlreichen Überfällen wurde berichtet. „Vermutlich wurden die Bernhardiner daher zum Schutz angeschafft“, sagt Rudolf Thomann.

Damals freilich sahen die „St. Bernhardshunde“ eher wie robuste Hofhunde aus. Erstaunlich klein, mit kurzem, struppigem Fell. Auch Barry I. glich diesem Prototypen noch. Doch er wurde zum vierbeinigen Helden. Über 40 Lawinenverschüttete soll der tapfere Hund aus dem Schnee gebuddelt haben. Präpariert hat er einen Ehrenplatz gefunden: im Naturhistorischen Museum von Bern.

Zoltan wird keine Lawinenopfer mehr finden. Genauso wenig wie Gil, Xhandi und die anderen. „Man hat ja heute Helikopter“, sagt Thomann. Von dort könnte man alle möglichen Suchhunde herunterlassen und wieder hochziehen, aber eben keine Bernhardiner. Die seien einfach zu schwer. Man brauche daher andere, neue Aufgaben für die Tiere. Man müsse ihnen „einen Sinn geben“. Zum Beispiel im Tourismus. „Wenn die Hunde hier oben nicht wären, hätten wir 70 Prozent weniger Besucher auf dem Berg“, behauptet Thomann.

Bis Mitte September sind die Bernhardiner auf dem Pass

Dann blieben wohl nur die Pilger, die hier der Via Francigena ins Aostatal und weiter in die Region Piemont folgen. Sie und alle anderen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind, dürfen auf eine Schlafstelle im Hospiz hoffen. Wer mit dem Auto kommt, muss im gegenüberliegenden Gebäude logieren, in der Auberge de L’Hospice. Sukzessive wird hier renoviert, einige Zimmer sind bereits neu und ansprechend hergerichtet. Fernseher fehlen allerdings. „Auf 2500 Metern Höhe und in dieser Natur braucht man wohl kein TV-Gerät“, findet Hotelchef Stéphane Boisseaux Monod. Am Gipfel solle man zur Ruhe kommen. „Das ist ja doch ein Kraftort hier.“

Schatztruhe auf dem Gipfel. Das Hospiz stellt Pilgergeschenke aus.
Schatztruhe auf dem Gipfel. Das Hospiz stellt Pilgergeschenke aus.

© Hella Kaiser

Im Sommer ist einiges los am Großen St. Bernhard. Die Serpentinen der Passstraße locken auch zahlreiche Motorradfahrer an. Auf dem Gipfel verläuft die Landesgrenze, binnen zehn Minuten ist man zu Fuß in Italien. „Drüben gibt es auch eine recht gute Trattoria“, verrät ein Mitarbeiter des Tourismusvereins auf Schweizer Seite, „aber dafür werben wir natürlich nicht.“ Fakt ist: Man kann in Italien deutlich günstiger speisen.

Bis Mitte September sind die Bernhardiner auf dem Pass – dann bringt man sie hinunter nach Martigny. Auch hier existieren Zwinger und Freilaufgehege und hier starten die „Winterwanderungen“. Dann dürfen die Hunde auch mal einen Schlitten ziehen. Das ganze Jahr über geöffnet ist auch das Musée et Chiens du St-Bernard, wo man sich umfangreich über den Bernhardiner informieren kann. 1884 wurde er zum „Schweizer Nationalhund“ erkoren. Und bald hat man alles Mögliche mit ihm beworben. Er prangte auf einer Suchard-Schokolade, lange bevor Milka auf die lila Kuh setzte. Er warb für Zigarren und Likör. Den trug er natürlich im Fässchen um den Hals. Sieht gut aus und gehört zu ihm wie das Krönchen zum Märchenfrosch. „Alles Legende“, sagt Thomann. „In Wahrheit hat niemand diesen Hunden je ein Fass umgebunden.“

Einfach sympathisch, so ein Tier

Bernhardiner gibt es fast in aller Welt. Auf Briefmarken aus 85 Ländern, darunter Tadschikistan, Paraguay und Sambia, sind sie zu sehen. „Die Art ist nicht gefährdet“, sagt Thomann. Allein in den USA gebe es über 15 000 Bernhardiner. Dort nenne man die Hunde übrigens „the saints“, die Heiligen.

In der Schweiz werden sie seit einiger Zeit als „Sozialhunde“ genutzt. So werden sie in Altenheimen oder bei sogenannten verhaltensauffälligen Jugendlichen eingesetzt. Thomann erinnert sich an einen besonders aggressiven zwölfjährigen Jungen. „Wir haben ihn mit unserem Bernhardiner Titus zusammengebracht.“ Ein äußerst sanftmütiges Tier. Binnen eines Nachmittags mit dem Hund sei der Junge wie ausgewechselt gewesen. „Er hat Titus alle Sorgen erzählt, und der saß einfach nur da und hörte zu.“

Wer nicht auf dem Gipfel wohnen will, ist im nahe gelegenen Champex-Lac gut aufgehoben. Der Kurort am kristallklaren Bergsee ist vielleicht ein bisschen aus der Mode gekommen, das einst prunkvolle Grandhotel etwa hat schon lange geschlossen. In Appartements aufgeteilt, wurde es Quadratmeter für Quadratmeter verkauft. „Wir haben hier ein einzigartiges Mikroklima“, sagt Antonia McGrath, die englischsprachige Besucher durch den botanischen Alpengarten führt. 120 Arten von Bäumen und 4000 verschiedene Pflanzen gedeihen hier. „Fast die Hälfte aller Blumen, die in der Schweiz heimisch sind, haben wir bei uns.“ Wenn es um Artenvielfalt geht, rangiere dieses Plateau in einer weltweiten Skala auf Rang zehn. „Kommen Sie im Juni“, empfiehlt Antonia, „dann überbieten sich die Blüten in ihrer Pracht.“

Im Juni. Dann könnte man Zoltan auch wieder übers weiche Fell streicheln. „Schade, dass man so einen großen Hund nicht in einer Stadtwohnung halten kann.“ Rudolf Thomann sagt: „Na ja, man muss natürlich auch mal in die Natur fahren mit ihm, dorthin wo er laufen kann.“ Aber im Grunde brauche ein Bernhardiner nur „zwei, drei schöne große Liegeplätze“. Einfach sympathisch, so ein Tier.

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