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Mallorca: Gern wie im Mittelalter

Bauern auf Mallorca pflegen wieder alte Traditionen. Der Insel tut es gut, die Touristen freut’s.

Miguel Sureda ruft seine Kuh Tori. Es gibt Futter, doch Tori bleibt hinter mannshohen Gräsern versteckt. Mit ihren 20 Artgenossen lebt Tori ganzjährig draußen, denn sie ist eine „echt mallorquinische Kuh“, entstammt einer Rasse, die schon seit Jahrhunderten auf Mallorca heimisch ist und sich an die klimatischen Bedingungen angepasst hat. Auch gegen die Parasiten der Insel ist Tori widerstandsfähig und wird deshalb selten krank. Und weil sie darüber hinaus die heimische Weide viel besser als Nahrung nutzen kann als importierte Kühe, hat sie jetzt vermutlich einfach keinen Hunger mehr und rührt sich auch nach erneuten Lockrufen des Bauers nicht.

„Je besser die Tiere mit den Lebensbedingungen klarkommen, desto weniger Kosten fallen an“, erklärt Bauer Miguel. Auch den Einsatz motorbetriebener Maschinen spart er sich. „Meine Großeltern haben Landwirtschaft ohne Traktoren betrieben. Motoren bringen wegen der vielen Schadstoffe nur den Naturkreislauf durcheinander“, sagt der 51-Jährige, der seine Ackerflächen lieber mit einem selbst gebauten Pflug, der von zwei Pferden gezogen wird, bewirtschaftet. Für die Aussaat bevorzugt er eine simple, alte Maschine, die schon seit Generationen im Besitz der Familie ist und auch von einem Pferd gezogen wird.

Bauer Miguel verwendet weder chemische Dünger noch Pflanzenschutzmittel, und beim Säen und Ernten richtet er sich nach den Mondphasen. Bei ihm gibt es auch keine Monokulturen: „Unsere Erde braucht ein bisschen von allem, denn hat man verschiedene Tiere und verschiedene Pflanzen an einem Ort, verbessert sich die Qualität des Bodens jedes Jahr ein bisschen“, sagt der Bauer, der gleichzeitig Viehzucht, Acker- und Gartenbau betreibt, obwohl Mallorcas Agrarwissenschaftler predigen, dass sich, wer Erfolg haben will, spezialisieren müsse. Doch Miguel setzt konsequent auf das Know-how der Alten und versucht, die Art des Wirtschaftens aus jener Zeit wiederzubeleben, als Mallorca noch flächendeckend von der Landwirtschaft lebte. Wie früher grasen auf seinen Wiesen Schafe und Schweine friedlich nebeneinander, und genau wie Kuh Tori sind all diese Tiere schwarze, eben echte mallorquinische Rassen. Auch das Korn von Bauer Miguel entspricht einem Urkorn, das schon im Mittelalter auf Mallorca wuchs.

Miguel sind Bezeichungen wie „öko“ oder „biologisch-dynamisch“ suspekt. „Das ist ja alles nichts Neues“, sagt er, „ich wirtschafte einfach so, wie es schon meine Großeltern taten: im Einklang mit der Natur und kostengünstig.“ Von den Großeltern und Eltern hat der Landwirt nicht nur viel gelernt, sondern auch die Grundstücke übernommen, insgesamt 600 Hektar Land – ein riesiges, naturbelassenes Zuhause für den Bauern und sein Vieh. Doch die Idylle ist bedroht, denn Miguel wird sich sein Leben als Bauer und Viehzüchter nur so lange leisten können, wie seine Mutter Catalina Sureda noch kräftig mit Hand anlegen kann.

Catalina lebt und arbeitet auf der Finca Ca’n Sureda. Sie ist knapp achtzig Jahre alt und kocht noch jeden Tag für ihren Mann, für ihren Sohn Miguel, seine zwei Geschwister und deren Kinder.

Auf den Tisch in Catalinas Küche kommen ausschließlich Gemüse und Obst aus eigenem Anbau sowie Fleisch von Miguels Kühen, Schweinen und Hühnern. Die Milch stammt von den eigenen Ziegen, und für ihr Brot verwendet Catalina Miguels Urkorn.

Es ist ein Glück für die Familie, dass Miguels Geschwister keine Bauern werden wollten, sondern in anderen Berufen arbeiten und für den täglichen Mittagstisch bezahlen können; Geld, das für die teure Krankenversicherung der Eltern benötigt wird. Doch dieses Modell wird zusammenbrechen, sobald Catalina nicht mehr die Familie verpflegen kann, sondern selbst gepflegt werden muss.

Die großen Supermarktketten, in denen es Lebensmittel zu Schleuderpreisen gibt, sind Miguel ein Dorn im Auge. Sie entwerten, was der Bauer mühevoll anbaut, pflegt, erntet, verarbeitet. Weil er vom Verkauf der eigenen Produkte nicht leben kann, denkt Miguel über andere Geldquellen nach: Er möchte noch mehr dieser schwarzen, typisch mallorquinischen Pferde züchten und verkaufen.

Gerne gibt Miguel sein Wissen weiter, an andere Bauern, die sich auch wieder selbst versorgen wollen. Mit seinen Kursen hat Miguel Erfolg, auch Studenten der Agrarwissenschaft und Kinder aus den Schulen der Umgebung kommen regelmäßig zum Anschauungsunterricht, denn das alte landwirtschaftliche Wissen scheint auf Mallorca weitgehend verloren gegangen zu sein. Trotz aller Erfolge wird es Bauer Miguel nicht gelingen, im großen Stil konkurrenzfähig zu werden, auch wenn er es vielleicht schafft, noch mehr von Mutters Käse und Wurst und seinem Urkorn zu verkaufen. Doch seine Ideen könnten trotzdem Zukunft haben, denn schon erkennen auch die Bauernverbände der Insel, dass sich die Rolle des Landwirts verändert hat. Er ist zum Landschaftspfleger und Tierschützer geworden – und zum Bewahrer der Traditionen.

Das liebste Vorzeigeobjekt Miguels ist seine Finca Ca’n Vives. Hier lädt er Besucher zu Spazierfahrten über das riesige Gelände ein. Miguel spannt dann das Pferd Menu vor ein schlichtes, aus Eisenplatten selbst gebautes Wägelchen, hievt noch einen Strohballen hinauf – und fertig ist die Kutsche. Es geht an Weizenfeldern vorbei, dann durch ein dichtes Wäldchen bis hinunter ans Meer.

Eigentlich hätte Miguel alle Geldsorgen schon längst abschütteln können: Denn dieses herrliche Grundstück wäre bestes Bauland für Hotels. Potenzielle Käufer habe es genug gegeben, sagt Miguel: „Wir wurden schon oft gefragt, ob wir verkaufen wollen, aber das ist nicht der richtige Weg. Damit Mallorca schön bleibt, braucht es uns Bauern und Viehzüchter, um die Insel zu pflegen und zu bewahren.“ Allein schon, weil viele Touristen wegen der schönen Landschaft kommen und Mallorca vom Tourismus lebt. Deswegen hat Miguel schon wieder eine ganz neue Idee: Manager sollen bei der Arbeit auf dem Feld wieder zu sich finden. Mit einer Therapeutin aus Deutschland, die gestresste Manager berät, ist er bereits in Kontakt.

Die Ländereien der Familie Sureda befinden sich im Osten der Insel, zwischen Manacor und Calas de Mallorca. Auf der Finca C’an Sureda in Son Macià breitet nach Voranmeldung Mutter Catalina in ihrer Küche ihr Angebot aus: hausgemachte Wurst sowie Käse aus Ziegenmilch und Ähnliches können hier preiswert erstanden werden. Auch wer die Finca C’an Vives besuchen möchte, sollte sich vorher bei der Familie José Ortiz anmelden. Telefon: 00 34 / 669 / 19 64 01

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