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Sancti Ignatii Basilica in Loyola, eingeweiht 1738 zu Ehren des heiligen Ignatius, Begründer des Jesuitenordens. Davor ein Loyola-Denkmal des Bildhauers Jorge Oteiza.

© Beate Schümann

Pilgerweg Camino Ignaciano: Schritt für Schritt zur Erleuchtung

Der Camino Ignaciano ist ein neuer Pilgerweg im Norden Spaniens. Anders als der beliebte Jakobsweg verläuft er andersherum – gen Osten nach Katalonien.

„Hey, ihr geht in die falsche Richtung“, ruft ein Jakobspilger den entgegenkommenden Wanderern erstaunt zu. Doch der Mann mit der Muschel am Rucksack irrt. Er ist kurz vor Logroño angekommen, einer wichtigen Pilgerstation, und marschiert in Richtung Westen. Wir nicht. Seine Sehnsucht liegt in Galicien, unser Ziel ist Katalonien. Seine Pilgertour endet in der Kathedrale von Santiago de Compostela, die vor 1000 Jahren über dem Grab des Apostels Jakobus erbaut wurde. Seitdem ist das so – alle gehen nach Westen.

Doch der heilige Jakob hat nun Konkurrenz bekommen. Ein neuer Pilgerweg ist eröffnet, der Camino Ignaciano, der ebenfalls durch Nordspanien führt. Allerdings in die andere Richtung – gen Osten. Dorthin, wo die Sonne aufgeht, wo das Licht ist. Er versteht sich als eine Anti-Tour zum Trubel auf dem Santiagoweg, auf dem jedes Jahr Tausende gehen.

Der Camino Ignaciano beginnt im baskischen Loyola, wo der heilige Ignatius geboren wurde, und führt ebenfalls durch Logroño. Die Provinzhauptstadt von La Rioja ist ein Knoten- und Kreuzungspunkt der beiden Pilgerrouten. Dann nimmt der Ignatius-Weg seine Richtung über Navarra bis nach Katalonien auf. Anders als beim Jakobsweg folgt der Ignatius- Pilger keiner Legende, sondern den Spuren eines Menschen, der im 16. Jahrhundert tatsächlich gelebt hat: dem Begründer des Jesuitenordens. Es ist der Weg seiner Bekehrung vom adligen Ritter zum gottesfürchtigen Bettler.

Vieles ist hier anders als im übrigen Spanien

„Der Jakobsweg war eine Erfindung des Mittelalters“, sagt José Luis Iriberri, Direktor vom Ignaciano-Pilgerbüro in Barcelona. „Wir erfinden den Ignatiusweg für das 21. Jahrhundert.“ Um seine Idee umzusetzen, nahm der Jesuitenpater vor einiger Zeit sein Fahrrad, verstaute Pinsel und Farbe auf dem Gepäckträger und radelte den Spuren des Ignatius Loyola nach. Unterwegs markierte er als Erkennungszeichen orangefarbene Pfeile auf Hausecken, Felsbrocken und Bäumen.

Jakobsweg nach links, Ignatiusweg nach rechts – Pilgerwege sind markiert
Jakobsweg nach links, Ignatiusweg nach rechts – Pilgerwege sind markiert

© Beate Schümann

Die gut 750 Kilometer lange Strecke ist allerdings noch nicht durchgängig ausgeschildert. „Bald kommen noch Schilder mit einem Sonnensymbol dazu, das Pendant zur Jakobsmuschel“, sagt Iriberri. Bei Zweifeln über die richtige Wegstrecke können Wanderer unterwegs die ausführliche Routenbeschreibung auch auf einer Webseite abfragen. Vorausgesetzt, sie verfügen über Smartphone oder Tablet – und Empfang.

Loyola liegt im Baskenland, das gern eigenständig wäre. Vieles ist hier anders als im übrigen Spanien, nicht nur die Sprache. Das Land ist grün wie in Oberbayern und auf den Balkonen leuchten Geranien. Das Dorf im Urulatal gehörte einst den reichen Grafen von Loyola. Ignatius Iñigo Lopez Oñaz y Loyola hatte eine steile Karriere vor sich. Doch dann zertrümmerte eine Kanonenkugel sein Bein und damit seine Laufbahn als Ritter. Iñigo trat eine Reise nach Innen an, die sein Leben vollständig veränderte.

Den orangefarbenen Pfeilen nach

Man kann sein Geburtshaus besichtigen, ein festungsartiges Schloss, mehr Wehrturm als Wohnhaus. Im ersten Stock stehen sein Krankenbett und die Kapelle, wo der Besucher erfährt, wie es 1522 zur Erleuchtung kam, auch auf Deutsch. Draußen erkennt man einen Rest der mittelalterlichen Pflastersteine, auf denen der 31-Jährige aufbrach, um zu Gott zu finden.

Heute wird das Dorf von der barocken Basilika beherrscht, die für den 400-Seelen-Flecken völlig überdimensioniert erscheint. Die Sancti Ignatii Basilica mit Jesuitenkolleg wurde 1680 zu Ehren des Heiligen erbaut und demonstriert, wie mächtig der Orden schon war. Im Hintergrund der Kuppeln zeichnen sich Berge wie in den Alpen ab. Alles ist grün, Kühe grasen wie auf Almen, dicht stehen die Wälder.

Die Route führt den Pilger bei der Stadt Oñati zur Wallfahrtskirche Arantzazu, einer noch größeren Klosteranlage, die wie eine Halluzination aus den Felsen des Monte Aitzkorri steigt. Der bizarre Komplex, der keine 100 Jahre alt ist, geht auf eine Marienerscheinung im Jahr 1468 zurück und wird von Franziskanern bewohnt. Weiter geht es steil durch das Bergland und den Naturpark von Aitzkorri, wo Wanderer die stille Landschaft fast für sich haben. Ab und zu hört man leises Glockengebimmel von grasenden Tieren.

Es sind Pottok-Ponys, eine seltene baskische Rasse. In der Region La Rioja erhöht sich sowohl die Zahl der Weinberge als auch die der Pilger. „Wohin geht ihr?“, fragen wieder Muschelwanderer. Gegen den Strom, den orangefarbenen Pfeilen nach. Logroño spült die Pilger in die historische Altstadt und hier vor allem in die belebte Calle Laurel. Es ist Mittag, und in der Straße der Tapas kann man für wenig Geld verschiedenste spanische Köstlichkeiten probieren.

Und wieder ändert sich das Landschaftsbild

Guten Mutes. Unterwegs auf dem Camino Ignaciano
Guten Mutes. Unterwegs auf dem Camino Ignaciano

© Beate Schümann

Sicher muss niemand Loyolas Spuren folgen, wenn er sein Leben umkrempeln möchte. Aber vielleicht bringt es etwas, ein paar Tage zu verschwinden, neue Einsichten in der Natur zu gewinnen oder bisher unbekannte Menschen zu treffen, die einen zum Nachdenken bringen. Wer weiß, möglich ist es.

Und wieder ändert sich das Landschaftsbild. In der weiten Ebene des Ebro-Flusses gelangt der Wanderer nach Alfaro, das sich selbst zur „Welthauptstadt der Störche“ erkoren hat. Auf vielen Dächern haben diese Vögel ihre Nester gebaut. Vor allem auf der Kathedrale haben sie sich zahlreich breitgemacht. Im Ebrotal haben Pilger noch Seltenheitswert. „Buen Camino!“, einen guten Weg wünschen freundlich die Bewohner in den Dörfern.

Die Halbwüste Los Monegros in Aragón ist eine durchaus menschenfeindliche Gegend, wie sie arglose Wanderer im sonst grünen Norden Spaniens kaum erwarten. Da müssen wir nun durch. Vor Hitze und Durststrecken waren wir gewarnt worden. Sind die einmal überwunden, können wir auf- und durchatmen.

Schon in Katalonien wird die Felsenskyline des Sandsteingebirges Montserrat schnell dramatischer, bis der ebenso dramatische Wallfahrtsort Montserrat erreicht ist. Wie Finger, Säulen oder Palisaden zeigen die voluminösen Steinzacken im Rücken des Benediktinerklosters in den Himmel. In dieser bizarren Felsenwelt legte Ignatius de Loyola seine feinen Kleider und sein Schwert für immer ab. „Ignatius ist unser bedeutendster Pilger“, sagt Prior Ignasi Fossi. Für ihn ist der Heilige ein spirituelles Abenteuer. Denn Pilgern sei eine Metapher des Lebens, und ein Pilgerweg gebe in kurzer Zeit wieder, was ein ganzes Leben bedeute.

Je langsamer, desto besser

Wer den Zauber des Ortes verstehen wolle, solle über Nacht bleiben, rät das Klosteroberhaupt. Denn erst zur Dämmerung lichtet sich der große Platz vor der Basilika, auf dem sich am Tage Hundertschaften drängeln, die mit Bussen und Zahnradbahn zum 1236 Meter hohen Bergplateau hinauffahren. Alle zieht es zum Heiligtum, dem Thron der Schwarzen Madonna. Das Spirituelle zu finden, sei in Zeiten ohne moderne Verkehrsmittel gewiss leichter gewesen, gesteht Fossi ein.

Für moderne Pilger hat er jedoch einen Rat: „Gehe langsam. Je langsamer, desto besser.“ Bei fünf Stundenkilometern seien die drei Elemente Seele, Geist, Körper im Einklang. Bei schnellerem Gehen komme immer erst der Körper, dann die Psyche und ganz zuletzt die Seele an. „Den Schmerz fühlst du immer“, sagt der Mann im schwarzen Ornat. Deshalb sei die Erfahrung so mächtig.

Nach Manresa, dem offiziellen Endpunkt des Caminos, sind es nur sechs Kilometer. Diese letzte Station wird es nicht leicht haben, zu einem Sehnsuchtsziel zu werden wie die Kathedrale von Santiago de Compostela. Zu unromantisch ist die Industriestadt. Über die mittelalterliche Brücke, die sich über Bahngleise spannt, erreichte auch Ignatius die Höhle, in der er neun Monate fastete, betete und beschloss, Christus nachzufolgen. Wer jedoch aufblickt und das Sanktuarium sieht, den überwältigt doch die Freude, am Ziel zu sein. An der Kasse gibt’s den letzten Pilgerstempel. Für das Jahr 2013 sind im Pilgerbuch 179 Namen verzeichnet, für 2014 schon 201. Und in diesem Jahr werden es wohl erneut mehr.

Beate Schümann

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