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Ferienwohnung: Reste der Gäste

Besuchern ein gemütliches Heim bieten, das hatte er sich so nett vorgestellt. Und eine Ferienwohnung gekauft. Seitdem hat er viel gelernt: über ängstliche Amerikaner, frierende Balten und Pediküre im Wohnzimmer.

Einmal kurz durchatmen. Dann drehe ich den Schlüssel um: Was erwartet mich dieses Mal? Die Wohnung ist mir vertraut, schließlich habe ich sie selbst eingerichtet. Aber jedes Mal ist alles neu.

Die Entscheidung, eine Ferienwohnung zu kaufen und sie zu vermieten, entsprang einer etwas romantischenVorstellung. Man kann auch Naivität dazu sagen. Die Idee: Berlinbesuchern eine schöne Bleibe zu bieten, ihnen Tipps für ihren Urlaub mitzugeben, und sich bei einer Tasse Kaffee zu verplaudern. So oft bin ich durch die Welt gereist, habe überall nette Vermieter kennengelernt, dass just in dem Moment, als das Apartment im selben Haus zum Verkauf stand, ich mich entschied: Das machst du auch. Umsetzen, was Amerikaner als „home away from home“ umschreiben.

Deshalb gilt mein erster Blick, wenn ich die Wohnung betrete, auch dem Gästebuch. Haben sie etwas eingetragen, und wenn ja, was? Eigentlich wollte ich so ein Buch nicht auslegen, das war mir zu spießig. Aber alle fragten danach. Also liegt jetzt eine in Leinen gebundene Kladde da. Wenn die Gäste sich eintragen, ist es der Beweis dafür, dass sie sich wohlgefühlt haben.

Der zweite Blick gilt dem Badezimmer. Das Bad hat sich als der Ort erwiesen, an dem man auf einen Blick erkennt, wie groß der Aufwand sein wird, die Wohnung wieder tipptopp sauber zu bekommen. Ist das Waschbecken verschmiert, die Toilette verspritzt, heißt das: Auch die Küchenschränke sind schmutzig, der Kühlschrank muss ausgewaschen werden, und unterm Bett liegen garantiert benutzte Taschentücher. Kleckereien im Bad bedeuten Großreinemachen in der ganzen Wohnung. Ein anderer zuverlässiger Indikator ist der Spiegelschrank im Flur. Sind Fingerabdrücke drauf, sind entweder die Reste des aufgebrühten Kaffees über der Maschine verteilt, oder eine Glasflasche ist im Gefrierfach geplatzt.

Das Bad ist meist auch das Erste, was ich den Gästen zeige. Es ist auf einer durchgehenden Ebene gefliest, das Wasser läuft durch einen Abfluss im Boden ab. Ich habe sogar meinen skeptischen Vater überzeugen können, sich so etwas einbauen zu lassen. Seine Begeisterung darüber, dass er selbst auf den wackeligen Beinen seiner 80 Jahre noch sicher in seiner Dusche steht, hat zu meiner Entscheidung geführt, mit großem Aufwand die alte Badewanne herausmeißeln und die ebenerdige Dusche einbauen zu lassen.

Während Ausländer – ob aus Europa oder Amerika – diese Dusche kommentarlos oder mit den Worten „schön“ oder „schick“ quittieren, sind deutsche Gäste überrascht. Man merkt das an dem zögerlich vorgetragenen „aha“ und den großen Augen. Vor allem Gäste aus Bayern fremdeln. Erst wenn ich sage, wie praktisch und – ganz wichtig – hygienisch das ist, weil man den Boden in einem Rutsch scheuern kann, entspannen sich die bayerischen Gesichtszüge wieder. Mit Sauberkeit kann man immer punkten.

Seitdem ich die Wohnung vermiete, bin ich überrascht, wie viele Männer noch immer im Stehen pinkeln. Und noch mehr wundere ich mich, wie viele Frauen sich das bieten lassen. Ich hätte auf Dauer mein Problem damit, eine Toilette zu benutzen, die übersät ist von diesen untrügerischen Spritzflecken. Ich bin aber auch überrascht, wie sehr sich Menschen damit arrangieren können, dass das Waschbecken verdreckt ist. Statt mit einen benutzten Handtuch ab und zu mal über den Waschtisch und die Armatur zu gehen, leben sie damit, dass der Wasserhahn mit Zahnpastaresten vollgekleckert ist und sich im Abfluss die langen Haare sammeln.

Ich frage mich auch, warum ausgerechnet in den drei Tagen, für die man aus Süddeutschland anreist, unbedingt die Pediküre erledigt werden muss. Und warum man das nicht im Bad, sondern im Wohnzimmer tut. Ich habe gelernt: Es gibt Menschen, die es nicht stört, dass abgeschnittene Fußnägel unterm Esstisch oder auf dem Sofa liegen. Vielleicht der Beweis, dass die Gäste sich tatsächlich wie zu Hause gefühlt haben.

Den Wohnraum habe ich mit Eichenparkett auslegen lassen – ohne zu ahnen, dass viele Leute nicht wissen, wie man damit umgeht. Keine sechs Monate hat es gedauert, bis die ersten Löcher im Boden waren. Nicht diese typischen Löcher, die durch Pfennigabsätze entstehen können, sondern stecknadelkopfgroße Abdrücke, ein halbes Dutzend, direkt nebeneinander. Am Verrücken von Möbelstücken kann es nicht liegen, die haben Filzgleiter oder Rollen. Ich habe mir bis heute nicht erklären können, wie diese seltsamen Löcher entstanden sind.

Fest darauf gewettet hätte ich allerdings, dass Sachen aus der Kücheneinrichtung verschwinden. Aber außer dem obligatorischen Verlust von Kaffeelöffeln, die man gern mit Joghurtbechern in den Müll wirft, ist von den teureren Sachen noch immer alles da. Was fehlt, sind billige Flaschenöffner oder ein Plastiksieb für 99 Cent. Dafür bleiben Ladegeräte, T-Shirts und Waschlappen zurück und eine CD: „Lerne, dich selbst zu lieben“. Es hat sich niemand gemeldet, der sie vermisst hätte.

Dass Familien mit großem Gepäck anreisen, hatte ich erwartet. Erstaunt bin ich aber über die Koffer, die Einzelreisende mitschleppen. Spitzenreiter ist bislang eine Dame aus Süddeutschland, die mit 36 Kilogramm für sechs Tage ankam. Etwas mehr als die Hälfte der Gäste reist übrigens mit dem Flugzeug an – Easyjet ganz vorne. Gut ein Drittel kommt mit dem Auto, und ganz hinten rangiert die Bahn – vielleicht, weil es unkomfortabel ist, die großen Koffer in den Zug zu wuchten?

Bei der Familie aus dem Baltikum, die alle nur Täschchen in den Händen hatten, hätte ich dagegen skeptisch werden müssen. Sie pflegten ihre gesamte Garderobe im Handwaschbecken zu reinigen und zum Trocknen über Heizkörper und Möbel zu legen. Manchmal standen die Stühle bei Regen auf dem Balkon. Das Mobiliar hat es bis auf einen aufgequollenen Badezimmerschrank ganz gut überstanden. Die Familie war wohl ein wenig überrascht, dass hierzulande im Sommer die Heizung ausgestellt wird – alle Heizkörper waren auf das Maximum aufgedreht, aber trotzdem kalt. Es muss eine ziemlich feuchte Woche gewesen sein.

Bevor die ersten Gäste kamen, hatte ich die feste Absicht, nicht allzu viele Ansagen über den Gebrauch der Wohnung zu machen. Ich wäre mir wie ein Jugendherbergsvater vorgekommen: Das darfst du, das nicht. Die Erfahrung zeigt aber, dass klare Regeln und freundlich vorgetragene Bitten nötig sind und dann auch beachtet werden. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass man Erwachsenen sagen muss, sie mögen bitte die Wohnungstür nicht zuschlagen – insbesondere nicht, wenn sie um vier Uhr morgens nach Hause kommen. Bitte ich die Gäste nicht darum, knallt die Tür durchs ganze Treppenhaus. Sage ich’s, fühle ich mich blöd und spießig, aber ich höre die Tür kein einziges Mal.

Der jung-erfolgreich-dynamischen Berlin-Besucherin, die eine, wie sie schrieb, „Rock-’n’-Roll-Nacht“ in der Wohnung verbracht hat (was immer das heißen mag – jedenfalls sah die Wohnung entsprechend aus), werde ich das nächste Mal sagen, dass man Zigaretten nicht in Tassen ausdrückt und das Porzellan nicht über Nacht auf der Balkonbrüstung stehen lässt, wo der Wind die Sachen in den Garten weht. Gott sei Dank wurde von dem Geschoss beim Sturz aus dem vierten Stock niemand verletzt.

Gästen aus Europa und Deutschland muss ich nur die Schlüssel aushändigen, weitere Erklärungen sind unnötig. Amerikaner hingegen reagieren beruhigt, wenn man ihnen sagt, dass die Nachbarschaft sehr nett, nicht gefährlich ist, und man keine Angst bei Dunkelheit haben muss. Während Europäer die Tür einfach zuziehen, schließen Gäste aus den USA alles ab, was die Wohnungstür bietet: zweimal das Hauptschloss, dann den Sicherheitsriegel und außerdem noch die Kette.

Was Amerikanern, aber auch Gästen aus osteuropäischen Ländern schwer zu vermitteln ist, ist die Mülltrennung. Einige Gäste schauen ganz besorgt, wenn sie fragen: Müssen wir das mitmachen? Davon gehört haben sie also alle. Und so schwer kann es ja eigentlich nicht sein, den Grünen Punkt in die eine, den Rest in die andere Tonne zu stopfen. Wenn ich dann aber in flehende Augen sehe, fühle ich mich an mein Credo mit dem Zu-Hause-Gefühl erinnert und gebe auf.

Ist die Wohnung wieder sauber, schaue ich beim Hinausgehen noch einmal in das Gästebuch: „Wir haben uns sofort wie zu Hause gefühlt“, steht da. Na bitte. Die meisten Gäste wollen wiederkommen, auch wenn es für eine Plauderei bei einer Tasse Kaffee nur ein einziges Mal gereicht hat. Trotzdem, denke ich: Mission erfüllt.

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