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Findlingsgarten: Hinz und Kunz in der Eiszeit

Wettstreit unter freiem Himmel: Im Findlingsgarten von Kähnsdorf am Seddiner See konkurriert Kunst mit uralten Steinen

An einem sonnigen Spätsommertag will der Mensch nicht ins Museum. Er möchte an einen See. Und in Kähnsdorf haben sie eine besonders schöne Badestelle. Auf weichem, gepflegten Grün kann man in einer großzügigen Bucht ruhen und aufs Wasser schauen. Groß ist er, der Seddiner See, tief ist er nicht. Weit muss der Schwimmer hinauswaten, wenn er den Boden unter den Füßen verlieren will. „Ein typisches Flachgewässer“ sagt Werner Ruhnke und weiß: „Die tiefste Stelle misst gerade mal sieben Meter.“

Ob Ruhnke oft Zeit fürs Kähnsdorfer Strandbad hat, sei dahingestellt. Er führt in Potsdam eine Galerie und unterhält seit einigen Jahren gewissermaßen eine Dependance am Seddiner See. Er ist dabei, wenn wieder neue Skulpturen aufgestellt oder abgeholt werden wollen. Denn in Kähnsdorf gibt es ein erstaunliches Open-Air-Museum der Objekte. Solche, die über Millionen von Jahren von der Natur geformt wurden, sind zu bestaunen – und andere, von Künstlerhand gefertigt.

Der Findlingsgarten am Ortsrand wurde vor rund zehn Jahren eingerichtet. Dicke und schwere Brocken liegen da. Einer von ihnen soll gar elf Tonnen auf die Waage bringen. Die Steine wurden im sogenannten Eiszeitalter, das vor 1, 8 Millionen Jahren begann und vor gut 10 000 Jahren endete, aus Skandinavien „hergeschoben“. Texttafeln (am Eingang gibt es auch einen informativen Flyer) erklären Herkunft und Alter der stummen Eiszeitzeugen. So soll ein milchig-grauer Granitbrocken 1650 Millionen Jahre alt sein und aus Smaland stammen. Professor Heiner Vollstädt, Vorsitzender des Vereins Findlingsgarten Seddiner See, ist Experte für die Steinwanderung, das Geschiebe, wie es in der Fachsprache heißt. „120 Findlingsarten gibt es hier“, sagt Vollstädt stolz.

Dass sich in dieser Region so viele fanden, hat mit dem Spargelanbau zu tun. Um die Nachfrage nach dem Edelgemüse zu befriedigen, wurden nach der Wende immer größere Flächen einbezogen – und immer tiefere Furchen gezogen. Dabei ist man buchstäblich auf Granit gestoßen.

Die auf dem zweieinhalb Hektar großen, leicht hügeligen Gelände versammelten Steine sind beeindruckend mit ihren verschiedenen Formen und Farbschattierungen. Aber vor drei Jahren haben sie Konkurrenz bekommen. Da kam Galerist Ruhnke auf die Idee, auf dem Gelände Skulpturen auszustellen. Er fragte an beim Findlingsverein und Vollstädt unterstützte das Kunst-Vorhaben: „Das belebt den Garten.“

Nun wandelt der Besucher durch einen Kunstparcours. Karl Menzens Werk „Gegen-Satz“, das Stahl mit Granit verbindet, passt wunderbar zwischen die Natursteine. Und auch Christoph Kranes „Eisenspirale“ wirkt so archaisch, als sei auch sie aus dem Gletschereis erwachsen. Aber da sind auch knallrote, fortwährend rotierende Stahlstangen, die Michael Hischer gefertigt hat. Und die lustig-gelben Polyesterfiguren, die von der Künstlerin Marina Schreiber „Hinz und Kunz“ getauft wurden.

Die Möglichkeit, große, sperrige Objekte in der Landschaft auszustellen, ist für Ruhnke ein Glück. Denn in der Potsdamer Galerie fehlt den Dingen der Raum, um sich entfalten zu können. Zudem würde den Künstlern die Open-Air-Präsentation ihrer Werke gefallen. „Die sind immer sehr angetan von der Atmosphäre im Findlingsgarten“, sagt Ruhnke und fügt hinzu: „Sie wissen, dass ihre Skulpturen nicht nur als Dekoration zwischen alte Steine gestellt werden, sondern eine zusätzliche Attraktion sind.“

Um den Garten noch interessanter zu machen wurden besondere Bäume gepflanzt, die nach zehn Jahren nun schon eine beachtliche Größe erreicht haben: eine Silberweide etwa, eine Hainbuche oder eine Essbare Kastanie. Auch ein sogenannter Toteis-See wurde angelegt. Da schwimmen nun Goldfische drin herum. „Irgendwer hat die wohl mal hineingesetzt, und dann haben sie sich vermehrt“, sagt Vollstädt. Begeistert ist er davon nicht und vielleicht missfallen ihm sogar die Frösche, die an einem anderen Tümpel auf dem Gelände quaken. „Normalerweise müsste es karger sein“, sagt Vollstädt, es ginge schließlich auch darum, den Eiszeitcharakter zu präsentieren.

Weil die aber lange vorüber ist, spaziert der Besucher nun durch lebendige Natur – und entdeckt immer neue Überraschungen. Einen großen Stein am Ufer des Teichs hat Künstler Victor Bisquolm mit einem Fischgesicht versehen. Nun glotzt ein „Stein-Butt“ übers Wasser, in das sich gerade eine kleine, quicklebendige Schlange gleiten lässt. Wie die wohl hierhergekommen ist? Im Findlingsgarten kreucht und fleucht allerlei. Kein Zweifel, die Eiszeit ist lange, lange vorbei.

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