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Nach Ritten durch Feld und Flur des Jura geht es für die Wanderreiter immer auch durch mittelalterlich anmutende Dörfer.

© Beate Schümann

Frankreich: Grasen beim Grafen

Auf Wanderritten erleben Teilnehmer das französische Jura – mit illustren Quartieren.

Didier Méjard mustert die Reiter mit prüfendem Blick. „Du nimmst ,Oceane‘ “, sagt er und zeigt auf den Apfelschimmel. Im Stall des Reiterhofs Ecurie des 4 Lacs auf einer Hochebene im französischen Juragebirge weist der Chef persönlich den acht Wanderreitern die Pferde zu. Er beschreibt sie als leichtrittig, ausdauernd und trittsicher. „Aber sie sind keine Ferraris und haben keinen Allradantrieb“, erklärt er verschmitzt auf Englisch.

„Oceane“ ist eine Vollblutaraberstute und trägt ein meerblaues Halfter. „Die hat Feuer“, verrät der Mann mit dem offenen Lachen. Er trägt ein kariertes Hemd, einen breitkrempigen Lederhut und eine lederne Cowboyhose. Wenn der 52-jährige Franzose redet, reden auch seine Hände. Sonst ist er eher wortkarg, aber im Umgang mit Pferden entgeht ihm nichts. „Das Halfter bleibt immer unter der Trense“, erklärt Didier und zeigt seinen speziellen Knoten, um den Führstrick am Hals zu vertäuen.

Alle sitzen auf, es geht los. Jemand wundert sich, dass es kein Vorreiten gibt. „Ich sehe, wer reiten kann“, sagt der erfahrene Stallmeister. „Den Rest erledigen die Pferde.“ Didiers Araber und falbfarbene Hensons, einer Kreuzung aus dem norwegischen Fjordpferd und dem Selle Français, leben sommers wie winters gemeinsam auf der Gebirgskoppel. Sie verstehen sich als Herde und sind es gewöhnt, den Weg selbst zu suchen. Mehr sagt Didier zur Einführung nicht, nur eine Sache noch: „Zügel in eine Hand und immer schön locker lassen!“

Das Klack-klack der Hufe auf dem Asphalt ist bald verklungen. Der Hof und das Dorf Le Frasnois bleiben zurück, die Seenregion Les 4 lacs breitet sich aus. Didier auf „Monsieur Marcel“ reitet voran. Elegant setzt der Schimmel die Hufe. Edle Rasse, gute Schule – ein stolzes Camarguepferd mit wilder Mähne, kurzem Hals und auffälligem Brandzeichen. An zweiter Stelle folgt „Oceane“. Das sei ihr Platz, hatte Didier gesagt, sonst gehe das Temperament mit ihr durch. Aus den sechs Hensons ragt noch der Schimmel „Tashunko“ heraus, ein flotter Araber-Pony-Mix.

Gemächlich reitet die Gruppe im Schritttempo am Lac de Narlay, den beiden Lacs de Maclu und am Schilfufer des Lac de d’Ilay entlang, ein herrliches Gelände. Der Vielseitigkeitssattel ist bequem, die Fellauflage polstert ihn wie ein Sofa. Es fängt an zu regnen. Auf dem Waldweg bilden sich die ersten Pfützen und schnell zeigt sich, dass „Oceane“ keine Tochter des Meeres ist. Um Wasser macht sie einen großen Bogen. Auch an der Furt des Hérisson zögert sie. Ein Zittern geht durch ihre Ohren. Dann folgt sie tapfer „Monsieur Marcel“ durch den Fluss.

Beim Wasserfall Cascades du Hérisson hält Didier an. Im freien Fall stürzt hier das Gewässer über den Kalkberg und ergießt sich in ein Tosbecken. Plötzlich macht Didier mit seinem Pferd einen Satz ins Wasser. Bis zu den Sprunggelenken steht der Wallach im Wasser. „Oceane“ stockt, die Ohren sind in Bewegung. Doch sie folgt wie die anderen.

Am Abend wird im Quartier die Route des nächsten Tages besprochen. Der 30-Kilometer-Ritt führt durch das Tal Vallée du Hérisson bis zu den Weingärten von Lavigny, eine vielfältige, abwechslungsreiche Gegend. Didier kennt sie wie seine Westentasche. Seit 1993 bietet er Wanderreiten an, meist mehrtägige Touren für mindestens drei Reiter, maximal vierzehn, auch im Winter. Die Unterbringung erfolgt in Mehrbettquartieren, auf besonderen Wunsch in Hotels. Mit einem Reitwegenetz von 1800 Kilometern, zahlreichen Quartieren für Reiter und Pferd zeigt sich das Département Jura in der Region Franche-Comté ausgesprochen reiterfreundlich. Darauf prostet Didier mit einem Anis, ein typischer Jura-Aperitif: „Auf den heiligen Georg, auf unsere Pferde und auf die, die sie reiten.“

Die Pferde wieder am Ufer des Hérisson, es gibt keine Brücke

Didier Méjard. Der 52-jährige Franzose redet auch mit seinen Händen.
Didier Méjard. Der 52-jährige Franzose redet auch mit seinen Händen.

© Beate Schümann

Am Morgen lacht die Sonne wieder. Creme und Mückenspray kommen zusätzlich in die Satteltaschen. Den ganzen Vormittag geht es durch einen urwaldähnlichen Wald aus Buchen, Haselnussbäumen, Weißdorn, Kiefern und Eiben, an Seen vorbei, mal auch durch ein Dorf. Ein Höhenunterschied von 500 Metern ist zu bewältigen. Vorsicht auf größeren Kalksteinflächen, warnt Didier: sie sind rutschig. Die Wege sind gut begehbar, und doch werden sie nicht oft begangen. Ein umgestürzter Baum muss umritten werden, stark zugewachsene Wege schlägt Didier mit der Machete frei. Plötzlich tönt ein schrilles Wiehern durch den Wald – Didiers Handy.

Mittag in Pontarlier. Die Pferde werden mit dem Didier-Knoten angebunden. Im Restaurant gibt’s Morbiflette, ein typisches Pfannengericht aus Pellkartoffeln, Speck und Morbier, dem Jura-Käse.

Nach kurzem Ritt stehen die Pferde wieder am Ufer des Hérisson, es gibt keine Brücke. Oceane unterdrückt ihre Wüstengene und stapft ohne Zögern hinein, um aber gleich im Galopp die Uferböschung hinaufzusprinten. Als alle oben sind, Didier treibt alle an. Schon galoppiert die ganze Gruppe, doch Galoppstrecken bleiben kurz, um Pferde und Hinterteile zu schonen.

Hinter dem Fluss L’Ain zottelt die Truppe an einer alten Bahnlinie entlang. „Gleich kommen wir in einen Tunnel“, kündigt Didier an. „Bleibt schön zusammen.“ Es wird nachtschwarz. Didier leuchtet die Wände mit einer Taschenlampe ab und pfeift „Lili Marleen“, damit die Nachfolgenden eine Orientierung haben. Und wie lang 200 Meter sein können. Wenig später ist das Hochplateau erreicht. Wiesen, Blumen, Schmetterlinge – wieder hat sich die Landschaft geändert.

Ob das Panorama am Belvédère des Roches des Baumes auch die Pferde beeindruckt? Ihre Köpfe hängt über der Balustrade des Ausblicks, und sie schauen unverwandt auf das Dorf Baume-les-Messieurs, das unten in dem grünen Talkessel Cirque de Baume eingebettet liegt, umrahmt von mächtigen Kalkfelsen des Juragebirges. Da kann man sich schwer losreißen, doch Didier bläst zum Aufbruch. Es geht weiter ins Weingebiet von Lavigny, wo der „Côtes du Jura“ angebaut wird. Von Weitem ist die Burg Le Pin erkennbar, die Tagesetappe ist erreicht. Über Nacht kommen die Pferde auf eine Koppel des Grafen von Le Logis Neuf. Vorher werden sie im gräflichen Stall mit Kraftfutter versorgt. Die Reiter leisten sich ein Hotel.

Das Tal Vallée de la Seille gilt es nun zu queren. Schritt, Trab und Galopp – Baume-les-Messieurs rückt näher. Die Benediktinerabtei aus dem 15. Jahrhundert erhebt sich machtvoll über dem 200-Seelen-Dorf. Beeindruckend. Einwohner und Besucher winken, denn die Pferde verleihen dem Ort noch zusätzliches Mittelalterflair. Klack-klack durchs Klostertor, mitten hinein ins historische Gebäude. „Vorsicht, niedrige Decke“, warnt Didier, nimmt den letzten Torbogen und lässt „Monsieur Marcel“ eine Treppe von gut zwanzig Steinstufen hinaufsteigen. Der Ausgang mündet in eine mit Blumen geschmückte Gasse, die sich durchs Dorf und zum Klosterplatz zurück wendet. Noch ein letzter Didier-Knoten, Ende des Wanderritts. Die Reiter loben den erfolgreichen Ritt mit Didiers Wahlspruch: „Auf den heiligen Georg, auf unsere Pferde und auf die, die reiten.“

Beate Schümann

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