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Reise: Geschenke für Grass

Literarische Stadtrundgänge durch Danzig zum Geburtstag des Schriftstellers

Danzig hieß die Stadt, als Günter Grass dort im Vorort Langfuhr vor 80 Jahren geboren wurde. Gdansk heißt sie heute, Langfuhr wurde zu Wreszcz. Dazwischen liegt ein Weltkrieg mit 50 Millionen Toten. Am Ende des Krieges war Danzig zerstört, das Zentrum eine Trümmerwüste ähnlich der von Dresden. Die deutsche Bevölkerung musste Danzig verlassen. Heute lebt dort nur noch eine kleine deutsche Minderheit. Dafür ist die Stadt wieder so schön wie vor dem Krieg, wovon sich jährlich Tausende deutscher Besucher überzeugen.

Das Danzig, das zerstört wurde, lebt in den Büchern des Literaturnobelpreisträgers weiter. Grass sei die „poetische Rettung jener kleinen Welt, in der Deutsche und Polen, Juden und Kaschuben zusammenlebten“, gelungen, wie sein Kollege Enzensberger formuliert hat. Die Helden aus den Werken der „Danziger Trilogie“ von Grass, allen voran der kleinwüchsige Oskar Matzerath, streiften durch die alte Hansestadt an der Ostseeküste. Und ihren Spuren folgen heute literaturinteressierte Touristen, deren Zahl noch zunehmen dürfte, wenn der 80. Geburtstag des Autors am 16. Oktober das Interesse auf seine Heimatstadt lenkt.

Das alte Langfuhr, wo Grass zur Welt kam, ist inzwischen ein Stadtteil von Gdansk. Mieczyslaw Abramowicz ist hier ebenfalls geboren, im gleichen Krankenhaus wie der Schriftsteller. Und er kennt die Gegend wie seine Westentasche. „Das hier war früher der Steffensweg“, erzählt er. „Dahinter liegen die Wälder von Oliwa. Grass hat da oft mit seinen Freunden gespielt.“ Abramowicz, Mitglied der Günter-Grass-Gesellschaft in Gdansk, trägt dazu bei, das Danzig des Literaturnobelpreisträgers noch bekannter zu machen: Der Historiker hat einen Rundgang durch Wreszcz ausgearbeitet, der den biografischen und literarischen Spuren des Autors folgt. Insgesamt vier solcher Touren auf verschiedenen Routen in unterschiedlichen Teilen Gdansks sind geplant, zu Fuß, mit dem Rad mit der Rikscha und mit der Straßenbahn.

In Wreszcz übernimmt Abramowicz die Führungen oft selbst. Im Juni gab es bereits einen solchen literarischen Stadtrundgang mit „8 Geschenken zum 80. Geburtstag“. Jedes „Geschenk“ ist eine Station, die an den Autor oder seine Romanfiguren erinnert – die alte Brauerei von Langfuhr etwa oder die Herz-Jesu-Kirche, in der Grass getauft wurde, genau wie Oskar Matzerath, der dort später mit seiner Blechtrommel für Unfrieden sorgte.

Abramowicz kennt diese Stellen alle: den Marktplatz von Wreszcz zum Beispiel, auf dem in der „Blechtrommel“ Oskars Großmutter Anna Koljaiczek jeden Dienstag „mit klagender Stimme fresche Eierchen, Butter joldjelb und Ganschen, nich zu fett, nich zu mager,“ anbot.

Heute würde Großmutter Koljaiczek den Marktplatz kaum wiedererkennen: Cheeseburger und Pommes gibt es hier von McDonald’s, Klamotten bei H & M, und statt auf dem Markt kaufen die Gdansker in einem riesigen Kaufhauskomplex ein. „Der gehört zum Teil Dariusz Michalczewski“, sagt Abramowicz. Der Boxstar stammt ebenfalls aus der Stadt.

Nicht weit vom Marktplatz steht die Synagoge von Wreszcz, die inzwischen als Musikschule genutzt wird. Nebenan ist heute das neue jüdische Gemeindehaus untergebracht. Die Synagoge wurde noch vor dem Krieg von der jüdischen Gemeinde verkauft. Der Großteil der Danziger Juden war bereits vor dem wachsenden Antisemitismus ins Ausland geflohen.

Grass hat an die Geschichte der Danziger Juden schon in der „Blechtrommel“ erinnert – schließlich bekommt Oskar seinen Nachschub von dem jüdischen Spielzeughändler Sigismund Markus, der seinen Laden im Zeughaus in der Altstadt hatte und Selbstmord beging, als die Nazis sein Geschäft verwüsteten. Das Zeughaus steht noch, von der einst nahe gelegenen Danziger Großen Synagoge ist dagegen nichts geblieben. Genau an der Stelle soll ein Theater für Shakespeare- Inszenierungen gebaut werden.

Touristen in Wreszcz zieht es meist auch in den ehemaligen Labesweg. Dort steht das Elternhaus von Günter Grass. Zwei Zimmer gab es, Klo auf dem Flur, beengte Verhältnisse, wie es der Autor oft genug beschrieben hat, zuletzt in „Beim Häuten der Zwiebel“. Die Straße, heute Ulica Lelewela, gibt es noch, das Haus Nr. 13 hat sich kaum verändert. Und auch die beengten Verhältnisse lassen sich noch mühelos erahnen.

Die Wände der Fassaden sind grau, die Hinterhöfe eine Welt für sich. „Kleinbürgerlichen Mief“ hat Grass hier gespürt – und man weiß sofort, was er meint. Das Haus, in dem seine Eltern einen kleinen Laden hatten, wird nun von polnischen Familien bewohnt. Die deutschen Touristen stehen regelmäßig davor und gucken ein bisschen irritiert: Hier wohnte der große Schriftsteller also, als er klein war.

In Gdansk ist Grass längst Ehrenbürger. Und auch ein Denkmal wollte man ihm in Wreszcz schon aufstellen. Grass wiegelte aber ab und schlug vor, mit dem Geld lieber Toiletten in die Häuser in der Ulica Lelewela einzubauen. „Die gibt es allerdings immer noch nicht“, sagt Abramowicz. Das Grass-Denkmal auch nicht.

Aber eines von Oskar Matzerath, nicht weit von der Ulica Lelewela entfernt. Da sitzt der Kleinwüchsige mit der Blechtrommel auf dem Oberschenkel auf einer Parkbank vor einem Springbrunnen – einer der Trommelstöcke ist irgendwie abhandengekommen. Niedlich sieht er aus und etwas anders, als man ihn aus der „Blechtrommel“-Verfilmung kennt.

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