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Helsinki: Gast im Knast

Das „Katajanokka“ in Helsinki beherbergte 170 Jahre nur Häftlinge. Nun ist aus dem Gefängnis ein komfortables Hotel geworden.

„Eine Einzelzelle, bitte.“ Ohne mit der Wimper zu zucken schaut die junge Frau am Empfang in ihren Computer. „Unsere Einzelzimmer sind leider alle belegt. Ein Doppelzimmer zum gleichen Preis könnte ich Ihnen anbieten.“ Gut, die Frau gibt sich keine Blöße, „Zellen“ darf sie vielleicht nicht verkaufen. Doch der Gast weiß, was er will, wenn er ins Hotel Katajanokka in Helsinki kommt. Er will in den Knast. Die denkmalgeschützten Mauern dienten einst als Zuchthaus, seit kurzem kann man jedoch freiwillig dort einchecken. Als normaler Hotelgast. An die Knastvergangenheit erinnern nur noch massive Mauern und Stahltreppen, statt Wasser und Brot gibt’s Menü à la carte.

Vergitterte Fenster, Türen mit Guckloch, mit Schlüsseln rasselnde Wärter. So stellen sich vermutlich die meisten unbescholtenenen Bürger ein Gefängnis vor. Von innen wird die Mehrheit von ihnen noch keins gesehen haben. In Helsinki kann man nun in einem echten Knast übernachten. Zumindest in einem ehemaligen. „Break free and enjoy your stay“, so der zweideutige Slogan. „Brich aus und genieße deinen Aufenthalt.“

2002 verließen die letzten Häftlinge den Bau. Im Mai dieses Jahres wurde das Katajanokka, das schon zu Zuchthauszeiten so hieß, als Vier-Sterne-Hotel wiedereröffnet. Die gelungene Mischung aus funktioneller Knastarchitektur und modernem Innendesign nimmt die Gäste in der Tat gefangen. Die „schwedischen Gardinen“ wurden natürlich durch finnische ersetzt, das heißt, die Gitter vor den Fenstern gibt es nicht mehr. Doch der breite Fenstersims zeigt an, wozu die dicken Mauern einst dienten. „Unser Hotel ist vielleicht nicht der romantischste Platz auf Erden“, sagt Sari Meller, Sprecherin des Katajanokka, „doch ein ziemlich einzigartiger.“

Nur mit gesenktem Haupt gelangt man in eine der ehemaligen Zellen. Die Türrahmen sind niedrig wie eh und je, der Denkmalschutz hat da nicht mit sich reden lassen. Immerhin: An den neuen Türen sind die Gucklöcher abgeschafft und auch Schubfächer für die Versorgung mit Essen gibt es nicht mehr. Die Mahlzeiten bringt nun der Zimmerservice. Statt Wasser und Brot hat der Gast die Wahl unter verschiedenen Menüs direkt aus der Hotelküche. Auch das Mobiliar erschien denn für die neue Nutzung doch nicht mehr so angemessen. Die vermutlich weniger bequemen Pritschen wurden entsorgt, die Gäste strecken sich heute auf herrlich bequemen Betten aus. Zusätzlich sorgen für Komfort und Wohlbefinden DVD-Player, Flachbildschirme oder die gut gefüllte Minibar.

„Seit 170 Jahren werden Gäste im Katajanokka untergebracht“, steht im Prospekt. Man habe also lange Erfahrung im Beherbergungsgeschäft. Um strenge Sitten und ebensolche Schließer muss sich niemand sorgen: Nicht nur die Möbel, auch das Personal wurde ausgetauscht.

Der Wandel vom Knast in ein 106-Zimmer-Hotel hat reibungslos funktioniert. Die kleineren Zellen sind zu Single- oder Doppelzimmern umgebaut, die größeren zu Suiten. Wo heute finnische Popstars oder erfolgreiche Geschäftsleute großzügig logieren und es sich in der eigenen Sauna gut gehen lassen, mussten sich einst bis zu 30 Gefangene eine Zelle teilen.

Einer der Ex-Knackis des Katajanokka ist Elias. Der Mittfünfziger sitzt im Restaurant bei geräuchertem Lachs und Kotikalja, einem obergärigen Bier, das in vielen finnischen Küchen noch selbst gebraut wird. Elias will nicht verraten, weshalb er in den neunziger Jahren ein paar Monate in den Bau wanderte. „Es ist ihm unangenehm“, sagt seine Frau Sanna. Es sei ihre Idee gewesen, zwei Nächte im Katajanokka zu buchen – „um die negativen Bilder von damals durch positive zu ersetzen“, erklärt sie.

Für den früheren Häftling liefert das Hotelrestaurant mit dem beziehungsreichen Namen „Jailbird“ durchaus positive Geschmackseindrücke. „Das ist schon was anderes als die Gefängsniskost von damals“, sagt Elias schmunzelnd. Schon wenige Monate nach Eröffnung hat die feine Fisch- und Pastaküche einen festen Platz auf dem Speiseplan Helsinkis. Viele Bewohner der finnischen Hauptstadt verbinden einen Besuch des Restaurants auch mit einer Besichtigung der Gefängnisflure. Nach frühzeitiger Anmeldung werden zudem Führungen angeboten.

Als festen Teil des Besuchsprogramms kann man eine Zelle im Originalzustand sehen sowie jenen Trakt, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg ranghohe finnische Politiker inhaftiert waren. Unter ihnen auch Ex-Präsident Risto Ryti, der auf Druck des damaligen Kriegsgegners Sowjetunion zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Nach vier Jahren wurde Risto Ryti damals begnadigt.

Der Gefängnishof, in dem sich die Gefangenen von einst die Füße vertreten oder ein paar Turnübungen machen durften, ist heute zu einer veritablen Terrasse und einem kleinen Park umgestaltet. Hier stehen Elias und Sanna unter einem hohen Baum, scheinbar gedankenverloren. Er habe eine unruhige Nacht hinter sich, erzählt Elias. „Doch als ich heute Morgen den Fluchtwegeplan mit den Notausgängen des Gebäudes entdeckt habe, habe ich mich schlagartig wieder besser gefühlt.“

Wer im „Katajanokka“ sein Quartier sucht, wird zumindest auf den Gängen annähernd ein Gefühl dafür bekommen, wie es im Knast aussah.

Die Türen an den Zellen respektive Zimmern sind noch immer mit den ursprünglichen Gittern versehen. Doch keine Angst, niemand wird eingeschlossen.

Die völlig umgestalteten und zum Teil zu Suiten vergrößerten Zellen bieten heute jeden Komfort, den der Gast von einem guten Hotel erwarten kann.

Wer nicht im Restaurant „Jailbird“ essen möchte, kann für Mahlzeiten auch den Zimmerservice nutzen. Und hier kommt der Kellner, nicht der Schließer.

Martin Cyris

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