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Reise: Im Irrgarten siegen die Frauen

Das Image vom Wörthersee: teuer und langweilig. Dabei steckt die Umgebung voller Kuriositäten

Eines Nachts wäre im Schloss des Prinzen Emanuel Liechtenstein beinahe Thomas Gottschalk von der Polizei beschossen worden. Die Alarmanlage hatte ausgelöst, ein herbeigerufener Gendarm mit Spürhund durchkämmte die dunklen Räume, der besorgte Besitzer von Schloss Rosegg hinterdrein. „Auf einmal reißt der plötzlich seine Waffe hoch und …“ – Emanuel Liechtenstein muss heute noch tief durchatmen, wenn er die Geschichte erzählt. Dabei war wohl nur eine Fledermaus am Bewegungsmelder vorbeigeflattert, und Gottschalk wäre im Fall eines Treffers allemal zu ersetzen gewesen, wenn auch für viel Geld. Denn dieser Gottschalk hier ist eine Wachsfigur. Liechtenstein hatte ihn vor Jahren anfertigen lassen, um den Modellierer zu testen, nach dem Motto: Wer Gottschalk hinbekommt, kann die ehemaligen Schlossbewohner allemal kopieren.

Emanuel Liechtenstein ist ein Neffe fünften Grades von Fürst Hans-Adam II., dem einstigen Staatsoberhaupt des Fürstentums. Vor allem ist Emanuel jedoch ein uneitler und fröhlicher Unternehmer von Mitte 40. Der dreifache Familienvater will die Geschichte seines Schlosses am Wörthersee nicht auf die übliche, langweilige Weise mit kleingedruckten Erklärtexten erzählen. Deshalb hat er jedem der früheren Bewohner ein Zimmer hergerichtet, um ihn in typischer Pose und Umgebung zu zeigen. Die notwendigen Erklärungen gibt’s per Audioguide.

Wer das Glück hat, die Führung nicht vom Walkman zu bekommen, sondern vom Schlossherrn persönlich, erfährt auch Wissenswertes über Frauen. Sie kämen auffallend schneller wieder aus dem Irrgarten heraus, sagt Liechtenstein, während er die Lindenallee vom Schloss zum Park entlangschlendert. Und fügt hinzu, dass Frauen keineswegs die bessere Orientierung hätten. Aber: „Frauen entscheiden aus dem Bauch heraus, während Männer viel Zeit mit Logik verlieren.“ Die Allee ist lang, wenn auch nicht lang genug für Liechtensteins Geschichten. Etwa 100 000 zahlende Besucher kommen pro Jahr auf sein Anwesen nach Rosegg; „damit trägt es sich“.

Während sein Bruder Prinz Stefan von und zu Liechtenstein als Botschafter am Gendarmenmarkt in Berlin residiert, erfreut sich Emanuel jeden Tag aufs Neue am Blick auf die dramatisch gezackten Karawanken, deren Kamm noch im Mai meterdick verschneit ist. Auf der anderen Seite liegt Slowenien, auch Italien und die Adria sind kaum eine Autostunde entfernt. Und in die andere Richtung, weiter bergab, geht’s zum Wörthersee. Zehn Minuten mit dem Auto oder, schöner, 20 auf dem Fahrrad. Es ist ja eine relativ flache Senke, in der der viel besungene See liegt. Klischeebeladen: Volksmusik, alte Leute, hohe Preise. Im vergangenen Jahr war die Gegend im Gespräch aufgrund des tödlich verunglückten Landeshauptmann Jörg Haider samt seiner FPÖ.

Aber im Urlaub soll die Politik egal sein. Was zählt, ist das Vorgefundene: beschilderte Wanderwege in beliebiger Auswahl; autofreier Sonntag im April; internationales GTi-Treffen im Mai. Bei Letzterem empfiehlt es sich nach übereinstimmender Auskunft zahlreicher Anwohner, den Wellnessbereich im Hotel nicht zu verlassen sowie den Nachwuchs in Sicherheit zu bringen. Oder man zieht gleich mit der ganzen Familie ins Kinderhotel, wo die Hexen in den Baumwipfeln des nahen Zauberwaldes kichern und es niemanden stört, wenn auf dem Hof mal ein Dreirad übers Pflaster poltert. Bodenständig-gediegene Alpenküche versteht sich ohnehin von selbst. Und Seebäder, deren schönstes mit seinen alten Holzbauten ohne Frage das in Pörtschach ist. Hotelbetreiberin Anna Werzer hatte es vor mehr als 100 Jahren als Schwimmschule eröffnet. Links die Frauen, rechts die Männer. Heute mischt sich das Badepublikum.

Alles ist möglich am Wörthersee – nur Motorbootfahren ist schwierig, denn die Zulassungen sind streng limitiert. Der Schwarzmarktpreis für eine Lizenz liege bei einer Viertelmillion Euro, berichten Einheimische.

Besser und allemal preiswerter radelt man also. Vom nächsten Jahr an soll es rund um den See ein Netz von Akku- Wechselstationen für Elektrofahrräder geben. Man leiht sich dann einen Drahtsesel mit eingebautem Rückenwind und stärkt zwischendurch in der Buschenschenke nicht nur die eigenen Kräfte, sondern auch die der Batterie.

Ein bisschen peinlich wäre es allerdings, auf so einem Elektrorad über die Alm zu summen und dabei von Gerhard Amtmann überholt zu werden. Der 47-jährige ehemalige Fallschirmjäger hat einen Ruhepuls von 35, ist beruflich auf „Personaltrainer“ umgestiegen und sucht derzeit nach einer Gelegenheit, mal mehr als nur 200 Kilometer am Stück zu laufen. Die Langeweile nach 120 Marathons weckt in ihm solche Bedürfnisse. Über die erzählt er ohne das leiseste Schnaufen, während er sich neben dem Tourist auf einem Hightech-Mountainbike den Berg hinaufkurbelt.

Zwischendurch blitzt kurz der Wörthersee durch die Bäume, dahinter blenden weiß die Karawanken in der Sonne. Nach fünf Minuten rauschender Abfahrt stehen wir wieder am Seeufer. „Ihr seid’s super g’wesen“, lobt Amtmann, um das Kompliment gleich darauf zu vergiften: „War hoffentlich okay, dass es net so sportlich angelegt war?“ Soll man sich darüber ärgern? Ach was: Jetzt einen ordentlichen Topfenstrudel, und dann ab auf die Wiese am See. Dort einfach dem Plätschern der Wellen zuhören und sich vorstellen, wie schön es hier erst wird, wenn die Elektrofahrräder da sind.

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