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Reis und Reisen. Dieser Bauer auf seinem Feld nahe Yogyakarta auf Java ist anscheinend froh über die Abwechslung, die der vorbeifahrende Zug bietet.

© Marc Dozier, laif

Indonesien: Auf großer Fahrt mit Surabaya-Johnny

Mit ein wenig Abenteuerlust lässt sich die indonesische Insel Java per Eisenbahn gut auf eigene Faust entdecken.

Drei langgezogene Pfiffe und die Türen schließen sich, die Ventilatoren unter der Decke wirbeln kühle Luft durch den Waggon. Ruckelnd setzt sich der Zug in Bewegung. Ein paar magere Ziegen, die eben noch genüsslich vor der Lokomotive und auf den Nebengleisen in Abfällen gewühlt haben, springen erschreckt auf und suchen ein paar Meter weiter nach Essbarem. Die Händler auf dem Bahnsteig ziehen sich zu einem Nickerchen unters Dach zurück.

Ein tropischer Morgen in Semarang an der Nordküste Javas. Eine Stunde lang hat es heftig geregnet, danach war alles in neblig-feuchte Wärme gehüllt, die eigenen Kleider, die schlaffen Palmwedel, eigentlich der ganze Bahnhof Tawang, die zentrale Station dieser Millionenstadt, die bei uns kaum jemand kennt. Der Rajawali-Express nimmt jetzt stotternd Fahrt auf, viereinhalb Stunden bis Surabaya, der Metropole mit dem Sehnsuchtsnamen, im Osten der Insel Java.

Java ist bei weitem nicht die größte, wohl aber die bevölkerungsreichste Insel Indonesiens: eine tiefgrüne Truhe voller Natur- und Kulturschätze in einem Archipel des Umbruchs, und doch noch immer voller Geheimnisse und Wunder. Ideales Ziel für Entdeckernaturen, für Reisegenuss in vollen Zügen, ob selber organisiert oder bei einer Agentur vor Ort gebucht.

Drei Minuten Ruckeln, dann bleibt der Zug mit dem Nachnamen Express stehen. Hitze dringt in den Waggon, weil jemand eine Tür geöffnet hat. Dann wieder drei Minuten Fahrt, aber diesmal rückwärts, dem Bahnhof entgegen, und schon steht er erneut. Die heiße Luft, vom Ventilator an der Decke nur schwach verteilt, macht schläfrig. Brechts Lied vom Surabaya-Johnny kommt mir in den Sinn, Lotte Lenya hat es gesungen, auch Milva und Esther Ofarim: „...und du sagtest, so wahr ich hier steh’, du hättest zu tun mit der Eisenbahn. Und nichts zu tun mit der See. Du sagtest viel, Johnny, kein Wort war wahr, Johnny...“

Nach einer halben Stunde Hin und Her, rollt der alte Indonesien-Film vor mir ab, draußen vor den Fenstern, die nun nicht mehr beschlagen sind: Kokos- und Bananenplantagen, Reis- und Gemüsefelder, in denen halbnackte Menschen mit Hacken und bloßen Händen arbeiten, um die Hüften den Lendenschurz, auf dem Kopf den typischen spitzen Strohhut. An den Schranken warten Frauen und Männer mit einem Wasserbüffel am Strick oder mit Fahrrädern, beidseitig mit Körben behängt, die mit Viehfutter vollgestopft sind.

Spannende Tage im Vulkanland, erholsame Stunden in den Teegärten

Bunt präsentiert. Fliegende Händler auf den Bahnsteigen von Semarang bieten so ziemlich alles, was der Reisende braucht oder auch nicht benötigt.
Bunt präsentiert. Fliegende Händler auf den Bahnsteigen von Semarang bieten so ziemlich alles, was der Reisende braucht oder auch nicht benötigt.

© Bernd Schiller

Der Zug schlingert an manchen Stellen heftig, denn die schmalen Gleise stammen aus der Zeit der holländischen Besetzung. Über den Schienenweg haben die niederländischen Kolonialherren exotische Gewürze, später auch Tabak, Kaffee, Tee und Kakao an die Küsten geschafft; mit Dampfzügen durch den Dschungel haben sie sich diese damals so entlegenen Welten erschlossen und dabei auf Kosten der Einheimischen kräftig verdient.

Die meisten Züge im heutigen Indonesien sind inzwischen bequem und meist pünktlich. Aber noch immer, auch mit den Diesel- und Elektroloks unserer Tage, ist eine Reise kreuz und quer durchs Herzland des alten Ostindiens ein Abenteuer, vor allem in den Lokalzügen abseits der großen Städte. Dort dampft wie eh und je der Wok im Speisewagen, und beim Essen der scharfen Reisgerichte muss man allen Turbulenzen zum Trotz die Tabletts auf den Knien balancieren, weil es keine Klapptische gibt.

Irgendwann beginne ich von einem Waggon zum anderen zu wandern. Abenteurer des Schienenstranges hocken da, wie man sie nur in solchen Zügen, weit ab vom Massentourismus, treffen kann. Da ist das Ehepaar Vandenberg aus Rotterdam, unterwegs auf den Spuren ihrer Vorfahren, die bis in die 1940er Jahre auf dieser Insel Tabak angebaut und Hunderte Javaanse Jongens auf ihren Plantagen beschäftigt haben. Da ist ein Konditor aus Heidelberg, der als Chefpatissier durch die Nobelhotels Asiens getingelt ist und danach über Jahre dem Sultan von Brunei seine Leibspeisen gekocht hat. Und da sind die jungen Globetrotter aus aller Welt, die unermüdlichen Rucksackreisenden auf der Suche nach ihrem Paradies.

Vor drei Wochen in Jakarta, dem alten Batavia der Holländer, hat diese Reise begonnen. Im Hafen Sunda Kelapa habe ich die Pinisi gesucht und gefunden, die alten Lastensegler, die wie zu Joseph Conrads Zeiten durch die Javasee und die Flores-See schippern, die Bandasee rauf und runter. Jakarta ist ein Moloch, zwölf Millionen Einwohner oder mehr, keiner weiß es genau. Aber in Kuta, im ehemaligen holländischen Viertel, stehen sie noch, die Kontorhäuser und heruntergekommenen Villen der Pfeffersäcke. Und in „Churchill’s Bar“, Teil des legendären Café Batavia, wird nach wie vor der beste Genever fern der Niederlande ausgeschenkt.

Die Relikte von Batavia atmen den morbiden Charme der Tropen. Das moderne Jakarta hingegen wächst in die Höhe und wuchert in die Breite. Mit einem Ticket für den Argo-Parahyangan-Zug flüchte ich nach Bandung, in die kühleren Berge Westjavas, dreieinhalb Stunden Serpentinenfahrt. Spannende Tage im Vulkanland, erholsame Stunden in den Teegärten, Spurensuche in einem Gebäude, in dem seit der Konferenz der Blockfreien im Jahre 1955 Nehru, Sukarno und andere Führer der seit damals so genannten Dritten Welt hocken, aus Holz modelliert. Und dann heißt mein Zug Lodaya Pagi und das Ziel Yogyakarta, die alte Sultansstadt, das kulturelle Herz Javas. Ich gönne mir „Eksekutif“, die erste Klasse, gut acht Stunden Fahrt für knapp 20 Euro.

Indonesien hat so viel zu bieten

Rundschnitt, bitte. Der Bahnhofsfriseur erledigt seinen Job im Freien.
Rundschnitt, bitte. Der Bahnhofsfriseur erledigt seinen Job im Freien.

© Bernd Schiller

Wieder zieht draußen Asien vorbei: Reisfelder, Vanillegärten, Mahagoniwälder, Ochsenkarren, Rikschaflotten in den Dörfern. Im Zug wird mal Reis mit Huhn, mal Huhn mit Reis am Platz serviert. An den Bahnhöfen, alle zwanzig oder dreißig Minuten, drängen Frauen an die Abteiltüren und bieten Bananen, Papayas und, kaum zu glauben, Nasi Goreng, Reis mit Huhn an. Eine junge Frau mit Kopftuch steigt zu und setzt sich in meine Nähe. Sie erzählt, dass sie Surya heiße, übersetzt: die Sonne. Ihre Sehnsucht nach der weiten Welt sitzt tief, und nach einer halben Stunde Konversation auf Englisch fragt sie mich, ob ich sie heiraten will.

Surya scheint nicht einmal enttäuscht zu sein, als ich mich nach einer höflichen Absage wieder meiner Lektüre und dem Blick ins Grüne widme. Irgendwann schlafe ich ein, und als ich aufwache, rumpeln wir durch die Vororte von Yogya, wie Yokyakarta hier gern abgekürzt wird. Surya ist verschwunden, und auf dem großen Bahnhof von Yogya herrscht dunkles Gewimmel. Arief, Facebook-Freund eines Freundes, holt mich ab, und wir tauchen tagelang ein in Basare, Tabakfabriken und Batikfärbereien, bevor wir zum Borobodur fahren, dem größten buddhistischen Monument der Welt.

Eine Woche später: Mit Bussen, Pferdewagen, Fahrradrikschas und Lokalbahnen nähere ich mich Solo und Wonosobo und überquere das Dieng-Plateau nach Norden, nach Semarang. Es folgt die letzte Zugetappe nach Surabaya. Dort, im Majapahit-Hotel, einem Kolonialbau, der vor hundert Jahren von den Brüdern Sarkies errichtet wurde, die kurz zuvor das berühmte Raffles in Singapur gegründet hatten, treffe ich einen Hamburger Kaufmann. Er hat sein Büro in Jakarta und besucht in Surabaya einen Kunden.

Abends im Garten unterhalten wir uns über Indonesien, über Java, seine großen und kleinen Wunder. Der Handelsmann, ein Asienkenner, bedauert, dass die meisten Touristen mit Indonesien allenfalls Bali verbinden. Dabei habe gerade Java so viel zu bieten. Ich folge seinem Tipp und besuche den alten Teil des Hafens, in dem, wie in der Hauptstadt, hölzerne Lastensegler auf Ladung warten. Surabaya-Johnny habe ich dort nicht getroffen, auch nicht den „Weißen Strand von Surabaya“, von dem das Hula Hawaiian Quartett zu Schelllackzeiten gesülzt hat. Aber das Meer, das trägt noch immer „viele hundert Boote“, wie es im Schlager der fünfziger Jahre heißt, nach Sulawesi hinüber und immer weiter, bis hinter den Horizont.

Indonesien auf der ITB: Halle 26

Bernd Schiller

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