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Irish Pub

© Imago

Interview: „Iren berühren sich mit Worten“

Hugo Hamilton über verratene Traditionen, den Regen und qualmfreie Pubs.

Irland steckt voller Geschichten – und manch eine hebt Hugo Hamilton auf. So entstand auch sein neuestes Buch. 50 Jahre nach Heinrich Bölls „Irischem Tagebuch“ hat sich Hamilton auf die Spuren des Literaturnobelpreisträgers begeben. Herausgekommen ist eine Art Gebrauchsanweisung für das Land. (Hugo Hamilton: Die redselige Insel. Irisches Tagebuch, Sammlung Luchterhand, München 2007, 160 Seiten, acht Euro).

Hugo Hamilton, wie entstand die Idee, sich auf die Spuren von Heinrich Bölls „Irischem Tagebuch“ zu begeben?

Ich bin mit diesem Buch von Böll aufgewachsen. Meine Tanten aus Deutschland brachten es uns mit. Meine Mutter schwärmte für das Buch. So habe ich diese Böll-Sicht auf Irland schon als Kind mitbekommen. Es reizte mich seit langem, mit diesem Buch durchs Land zu reisen.

Was zeichnet das Buch von Böll aus? Welche Stimmung findet sich darin?

Böll hat so etwas wie eine literarische Postkarte verfasst, die er nach Deutschland schickte. Die Iren hatten das Buch gar nicht gerne. Sie wollten nicht arm sein, sie wollten nicht mehr auswandern, um eine Arbeit zu finden, und sie wollten auch nicht von der katholischen Kirche unterdrückt sein. Böll zeichnete eine romantische Sicht der Deutschen auf Irland.

Ist Ihre Bestandsaufnahme so etwas wie die Suche nach der verlorenen Zeit?

Ich wollte einfach schauen, ob es dieses Irland von vor 50 Jahren noch gibt oder was davon übrig geblieben ist.

Wie hat der Wandel Irlands vom Armenhaus Europas zur blühenden Wirtschaftsoase das Land verändert?

Dieser Wandel ist nicht zu übersehen. Arm möchten die Iren nie mehr sein. Deshalb der Bruch mit der Vergangenheit. So errichten sich die Iren heute lieber protzige Neubauten. Die alten Cottages werden von Ausländern gekauft und restauriert. Eines Tages werden es die Iren bereuen, dass in den traditionellen Landhäusern nur noch Deutsche, Belgier oder Franzosen wohnen. Neureiche Iren aber möchten heute sein wie die Leute in Dallas, in den USA. Das führt auch zu manchem Kitsch. Und dann wird das Auto vergöttert wie anderswo.

Was ist geblieben vom früheren Charme?

Die Offenheit gegenüber den Fremden gibt es immer noch. Man kommt leicht miteinander ins Gespräch. Mein Buch heißt ja „Die redselige Insel“. Dieses Geschichtenerzählen zum Beispiel ist geblieben. Die Iren lieben es.

Woher kommt das?

Das hat auch mit ihrer Armut früher zu tun. Die Iren hatten ja nichts. Dazu kam die Auswanderung der vielen. Es gab keine feste Beziehung zum Land. Also flüchteten die Menschen in die Fantasie und in ihre Geschichten.

Und die erzählten sie sich am liebsten im Pub?

Wenn man nicht draußen sein will, weil es stürmt und regnet, dann geht man eben in dieses kommunale Wohnzimmer: Das ist das Irish Pub. Ein Ort, wo jede Person gleichberechtigt ist. Es gibt keinen Klassenkonflikt in der Kneipe. Man trifft sich von gleich zu gleich, jeder mit seinem Pint in der Hand.

Die Geselligkeit ist also wichtig?

Ja, unbedingt. Ich schreibe in meinem Buch, dass die Iren sich nicht gerne berühren. Das ist mehr im Mediterranen zu finden, in Italien, in der Türkei, in Griechenland. Aber die Iren berühren sich mit Worten. Zum Beispiel wird einem gern an die Schulter geklopft wie an eine Tür. Und der Mann sagt dann: „Ich will dir was erzählen.“ Und am Ende einer solchen Kneipenbekanntschaft bleibt dann immer dieser feste und mehrfach wiederholte Händedruck. Der Händedruck, der nicht loslassen will.

Was ist mit dem Rauchverbot in irischen Kneipen? Irland war ja wohl die erste Nation in Europa, die das eingeführt hat.

Ja, das ist fast ein Widerspruch. Es ist schwer zu verstehen, dass die Iren auch gehorsam sein können. Aber das Gesetz kam zu einem Zeitpunkt, als der wirtschaftliche Aufschwung da war. Und der Ire glaubte nun, Regeln könnten sich lohnen. Wenn man nicht ganz arm ist, dann respektiert man eher Regeln.

Das Rauchverbot funktioniert problemlos?

Ja. Die Iren lieben es jetzt, in Kneipen ohne Rauch dazusitzen. Und sie haben ein neues Ritual erfunden. Zum Rauchen muss man ja vor die Tür. So dringt der Qualm heute von draußen nach drinnen, im Gegensatz zu früher. Aber jeder, der sich mit seiner Zigarette für einen Moment verabschiedet, gibt immer noch einen Spruch zum Besten. Stimmen muss der Spruch nicht, aber eine Pointe sollte er haben.

Lieben die Iren noch ihre Traditionen?

In ihren Geschichten lebt die Geschichte fort. Und Musiker und Künstler schreiben sie weiter. Jeder Ire will ja singen. Als der Rockstar „Prince“ mal in Cork auftrat, verließ er empört die Bühne und versprach, nicht eher wiederzukommen, als bis die Iren nicht endlich still seien. Das können die Iren gar nicht verstehen. Sie singen nun mal sehr gern. So singen sie eben alles mit.

Welche Bedeutung hat die katholische Kirche heute noch?

Eine sehr geringe. Die katholische Kirche hat viele Skandale gehabt. Und die jungen Leute gehen heute kaum noch in die Kirche. Irland ist ja ein sehr junges Land. Man sagt, in Irland seien 50 Prozent unter 25 Jahren. Es gab Babyboom nach Babyboom. In den 90er Jahren wanderten Iren dann kaum noch aus. Und die Einwanderer, Polen oder Rumänen beispielsweise, sind auch sehr jung.

Also fühlen Sie sich mit Mitte fünfzig schon etwas altersweise?

Unbedingt. Meine Heimatstadt Dublin beispielsweise ist die Stadt der ewigen Jugend zurzeit. Da wimmelt es nachts um eins von jungen Leuten. Ständig gibt es eine Rushhour. Wohin die alle wollen, weiß ich nicht. Es gibt ständig und überall Partys. Dublin ist wirklich sehr lebendig.

Und der ewige Regen? Verhagelt der nicht die Laune?

Das Glück eines Sonnenstrahls ist umso größer. Wenn es tagelang regnet und ganz düster ist, dann trifft man plötzlich einen Fremden. Und dieses Zusammentreffen ist dann etwas ganz Besonderes. Die Iren lieben den Sonnenschein. Aber es ist nicht so häufig sonnig. So ersetzen sie den Sonnenschein durch das viele Reden. Und diese wunderbare, raue, erschreckende Landschaft, die Böll beschrieben hat, die ist ja auch geblieben.

Das Gespräch führte Stefan Berkholz.

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