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Wer ist die Schönste? Zwölf Kandidatinnen – großartig herausgeputzt – ringen in Santa Cruz um den Titel der Karnevalskönigin.

© Daniela Martens

Kanarische Inseln: Bunte Kilos auf dem Kopf

Karneval auf Teneriffa ist groß, bunt und schrill. Die aufwendigen Kostüme für 2013 sind längst in Arbeit.

Über den Augen glitzern Strasssteine. Lange falsche Wimpern biegen sich nach oben, Münder sind knallrot geschminkt. Zwölf Frauen, alle mit Modelmaßen und wie Christbäume geschmückt, stehen im hinteren Teil einer großen Mehrzweckhalle in Santa Cruz, der Hauptstadt von Teneriffa. Sofia Attassa, 23, hält Lokalreportern ihre stelzenartigen, blinkenden Plateauschuhe vor die Kameralinsen. „Ich will nicht Miss World oder Miss Universe sein, sondern nur die Karnevalskönigin“, sagt sie. Seit fünf Jahren sei dies ihr sehnlichster Wunsch. Sonst arbeitet die junge Frau in einer Textilfirma.

Nicht nur für Sofia Attassa beginnt in dieser Halle von Santa Cruz auf Teneriffa gleich der „momento mas importante del año“ – der wichtigste Augenblick des Jahres. So wird es eine Moderatorin auf der Bühne wenig später formulieren. Es ist Karneval auf Teneriffa, und wie jedes Jahr im Februar beginnt er mit der Wahl der Karnevalskönigin. Es sei der zweitgrößte Karneval der Welt, nach dem in Rio de Janeiro in Brasilien, heißt es auf der Kanareninsel. Passenderweise ist Rio die Partnerstadt von Santa Cruz.

Eine der zwölf glitzernden Frauen wird Königin werden: „La Reina“. Kurz vor Beginn ihres Auftritts wird jeder Schönheit ihr riesiger Kopfputz aufs Haupt gewuchtet. Bald doppelt so groß werden sie damit. Einige der Aufbauten bestehen aus goldenen und silbernen Drähten oder sind aus großen Federn in allen Regenbogenfarben gebunden. Einer ist gar aus fünf riesigen Papageienfiguren zusammengesetzt. Bis zu acht Kilo kann so ein Kopfputz wiegen.

Das ist aber nichts gegen die jeweils zum Kostüm passenden Prunkwagen, die die „Prinzessinnen“ gleich auf der langen Bühne hin und herziehen müssen. Rund 300 Kilo schwer sind die Wagen mitunter. Die Frauen werden in eine Art Geschirr gespannt. Für Sofia Attassas Wagen wurde wohl eine ganze Straußenfarm gerupft. Sie verschwindet fast in der weißen Federpracht um sie herum. Sehr langsam zieht sie das Ungetüm über die Bühne, aber sie lächelt tapfer. Um die Gewichte zu bewältigen, hat sie lange zuvor Muskeltrainings absolviert.

Die Wahl ist ein stundenlanges Spektakel, tausende Besucher sehen zu. Doch in der Mehrzweckhalle kommt natürlich noch keine rechte Karnevalsstimmung auf. Wer mit den Einwohnern von Santa Cruz de Teneriffa ihr wichtigstes Fest des Jahres feiern will, der muss zum Auftaktumzug. Zwei Tage nach der Wahl der Karnevalskönigin findet er statt. Es ist die erste von zahlreichen Paraden, in Santa Cruz an der Ostküste und Puerto de la Cruz an der Westküste.

Beim Auftaktumzug sieht man kaum Touristen

Tausende von Teilnehmern mischen sich zwischen die Karnevalsgruppen. Harlekine und Clowns sind auch da.
Tausende von Teilnehmern mischen sich zwischen die Karnevalsgruppen. Harlekine und Clowns sind auch da.

© IMAGO

Seit mehr als 60 Jahren organisiert eine Kommission der Stadtverwaltung Santa Cruz die Umzüge in ihrer Stadt. Den Karneval gibt es aber schon viel länger auf den Inseln. Bewohner der Kanaren, die nach Südamerika ausgewandert waren, brachten den Karnevalsbrauch bei ihrer Rückkehr mit. Schon immer habe man sich eher in Richtung Südamerika als nach Spanien orientiert, heißt es auf Teneriffa. Zu Zeiten der Franco-Diktatur waren zwar überall in Spanien Karnevalsumzüge verboten, doch der Karneval in Santa Cruz fand trotzdem statt: Als harmloses „Winterfest“ – „Fiestas de Invierno“ hatte man ihn getarnt. Erst seit 1977 wird wieder offiziell Fasching gefeiert.

In erster Linie ist es noch immer ein Fest der Inselbewohner. Vor allem beim Auftaktumzug sieht man kaum Touristen. Vieles erinnert an eine riesige Familienfeier. Eltern, Kinder jeden Alters, Großeltern, Teenager – alle säumen die Straßen von Santa Cruz. Zuschauer in Kostümen und solche, die unverkleidet sind, haben es sich auf Klappstühlen am Rand der Strecke bequem gemacht. Sie sei schon am Nachmittag gekommen, um nichts zu verpassen, sagt eine ältere Dame, die ihre vier Schoßhündchen mitgebracht hat. „Es ist unsere Tradition, mir ist es ganz wichtig, dabei zu sein“, sagt eine Mutter im schwarzen Latexanzug der Superheldin Catwoman. Ihre kleine Tochter ist ebenfalls eine katzenartige Superheldin: Kitten Girl: „Mama, wann kommen die Prinzessinnen?“, fragt sie.

Schließlich beginnt ein Spektakel, das selbst Karnevalsmuffel überzeugen kann. Südlich der Innenstadt geht’s los. Zunächst die breite Avenida de la Asunción entlang, dann durch moderne Wohnviertel, und schließlich in Richtung Zentrum, zwischen älteren Häusern hindurch. Zum Schluss führt die Parade durch die Avenida Francisco de la Roche, die an der Strandpromenade am Hafen endet.

Rund fünf Kilometer lang ist der Zug. Unzählige Karnevalsvereine- und Gruppen ziehen unter den Augen der Zuschauer vorüber. Die jüngsten Teilnehmer sitzen noch in der Kinderkarre, die ältesten haben vielleicht schon Urenkel. Alle tragen unglaublich aufwendige Kostüme. Man sieht, wie lange und sorgfältig sie sich auf die buntesten Tage des Jahres vorbereitet haben, die meisten Vereine auch mit komplizierten Choreografien.

Jede Gruppe hat eine andere Musik – von romantisch bis rhythmisch stampfend. Trommler marschieren meist jeweils vorneweg. Harlekine und Clowns toben vorbei, eine Gruppe von kleinen und großen Schneemännern hat sich eingereiht. Flamencotänzerinnen mit bunten Volantröcken. Sambatänzerinnen, die ihre Hüften kreisen lassen – vom kleinen Mädchen im Grundschulalter bis hin zu Teenagern und Frauen. Trillerpfeifen sind zu hören.

„Seid mal ein bisschen locker“

Der Karneval kommt Mitte Februar erst richtig in Fahrt. Doch der Wettbewerb zwischen den besten Murgas (Karnevalsgruppen) findet schon Ende Januar statt.
Der Karneval kommt Mitte Februar erst richtig in Fahrt. Doch der Wettbewerb zwischen den besten Murgas (Karnevalsgruppen) findet schon Ende Januar statt.

© CRISTOBAL GARCIA/dpa

„La Reina, La Reina“, rufen die Zuschauer plötzlich. Zwei kleine Schneewittchen hocken im Schneidersitz am Straßenrand und fuchteln aufgeregt mit den Händen. Und da kommt sie angefahren, die Karnevalskönigin. Sofia Attassa ist es nicht. Sie landete nur auf einem der hinteren Plätze.

Außer der „regulären“ Karnevalskönigin und ihren Prinzessinnen gibt es noch die Kinderkönigin – und die „Reina de la tercera edad“ – die Seniorenkönigin. Als sie in ihrem Prunkwagen vorbeirollt, geht ein Raunen durch die Menge. Würdevoll im goldenen Barockkostüm steht sie da, wesentlich üppiger als ihr jüngeres Pendant. Die etwa 60-Jährige winkt mit beiden Händen und strahlt in die Menge, auf dem Kopf eine riesige goldene Krone.

Zwischen den Karnevalsgruppen und den Wagen der Königinnen und Prinzessinnen ist immer eine Lücke. Die wird gefüllt von einzelnen Karnevalisten. Denn jeder im Kostüm darf mitlaufen. Halbnackte Schmetterlinge tanzen vorbei. Erwachsene Prinzessinnen im Tüllkleid schieben winzige Prinzessinnen mit Krönchen in Kinderkarren. Ein Mann zieht zwei lebensgroße Plüschziegen hinter sich her, Männer haben sich als Babys verkleidet, mit Riesenlätzchen.

Vor allem aber sieht man viele Männer, die ihre weibliche Seite ausleben, das hat Tradition beim Karneval in Santa Cruz, bei dem sogar ein „Tuntenlauf“ auf dem Programm steht. Ein dicker Mann hat sich Plastikbrüste umgehängt. Zwei Kerle in Nonnentrachten halten Kreuze hoch. Ein Mann ist in ein Minnie-Maus-Kostüm geschlüpft. Ein anderer in rosa Bademantel und Pumps versucht seinen Klappstuhl direkt vor der Tribüne des Bürgermeisters aufzustellen und macht eine große Show daraus, sich von der Polizei wieder vertreiben zu lassen – mit künstlich hochgeschraubter Stimme und den affektierten Gesten einer Diva.

Peinlich ist heute nichts – oder fast nichts. Eine Gruppe betrunkener unrasierter Männer in ausgestopften Minikleidern und verrutschten Damenperücken baggert Frauen an. „Einmal im Jahr ist alles anders als sonst. Seid mal ein bisschen locker“, lallt der nüchternste unter ihnen.

Jeder Karneval hat seinen Aschermittwoch. Eine überdimensionale Sardine aus Pappmaché wird durch die Gassen von Santa Cruz getragen und schließlich verbrannt. Mit dem „Entierro de la Sardina“, der „Beerdigung der Sardine“ enden die tollen Tage. Die Fastenzeit beginnt.

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