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Kenia: Die unheimliche Stille

In Kenia ist nach den Aufständen weitgehend Ruhe eingekehrt. Die Menschen könnten wieder Gäste empfangen. Doch die bleiben noch aus.

Ganz, ganz vorsichtig graben die schmalen dunklen Hände eine Mulde in den weißen Sand. Zentimeter für Zentimeter entsteht ein Zylinder, während die Morgensonne langsam höher steigt. Dann bewegt sich unten im feuchten Sand etwas – das erste graue Schildkrötenbeinchen zappelt ans Licht. Rasch gräbt sich der Mini aus, watschelt unbeholfen auf die Rennstrecke zu den Fluten des Indischen Ozeans. Ein erstes Strampeln ums Überleben am Takwa Beach im Norden Kenias – denn bereits vor dem Meer erwarten gefräßige Krabben die frisch geschlüpften Delikatessen auf vier Beinen.

115 der kleinen Panzertiere krabbeln heute aus ihrem Nest – gut bewacht von Carol Korschen und ihren Mitarbeitern. Die blonde Mitinhaberin des Peponi Hotels auf der Insel Lamu hat vor 19 Jahren das erste Schildkrötennest „adoptiert“. Inzwischen nimmt sie immer ein paar Gäste mit auf die Nachbarinsel Manda, wenn wieder Junge ein Nest verlassen. Nicht zuletzt, um Sponsoren für ihre gefährdeten Schützlinge zu finden. Ein Schatzkästchen an der afrikanischen Küste.

Doch dieses Bild ist in diesem Jahr kaputtgegangen. Zwar ist die kleine muslimisch geprägte Insel kurz vor der somalischen Grenze von den blutigen Unruhen zwischen den rivalisierenden Stämmen nach den Wahlen Ende Dezember verschont geblieben. Aber bei Urlaubsentscheidungen ist Kenia eben Kenia. Die Fernsehzuschauer in aller Welt haben die Bilder von brennenden Autos und Menschen, die mit Pfeil und Bogen auf ihre Nachbarn losgehen, noch gut vor Augen.

Der Tourismus ist im Januar, also zur Hochsaison, komplett zusammengebrochen. „Minus 90 Prozent“, sagt Vizepräsident Musioka. Für das Land ein Schlag – denn Tourismus ist mit die wichtigste Devisenquelle. Eine Milliarde Dollar brachten die Besucher vergangenes Jahr ins Land. Für den neuen Tourismusminister Najib Balala sind die Gäste aus aller Welt die Möglichkeit, um die Armut zu lindern. Und Kenia hat sich trotz des Rückschlags ehrgeizige Ziele gesteckt. Schon bald sollen Jahr für Jahr fünf Millionen Touristen kommen. Blütenträume, denn in der bisher besten Saison waren es nur etwa zwei Millionen. Wirtschaft und Regierung in Kenia haben längst ein Krisenteam, eine Eingreiftruppe, gebildet. So lange wie nach den Anschlägen in Nairobi und Mombasa wollen und können sie nicht wieder auf gut zahlende Gäste verzichten.

Bisher sind die Aussichten für die kommende Saison bescheiden. „Normalerweise sind wir bereits um diese Zeit für Weihnachten und Neujahr ausgebucht“, sagt Bob Cronchey. Der weißhaarige Britisch-Kenianer hält in diesen Tagen im Driftwood Beach Club in Malindi die Stellung. „In diesem Jahr haben wir keine Vorbestellung. Keine.“ Sonst werden die palmgedeckten Häuschen am weißen Silversands Strand das ganze Jahr vermietet. In diesem Jahr wird im Mai zugesperrt. Seine Frau bietet seit längerem tägliche Flüge zu den Safaris im Nationalpark Masai Mara an. Nun nicht mehr. „Das komplette Geschäft ist weggebrochen. Sie hat die drei Flugzeuge jetzt in den Südsudan verleast“, erzählt Bob in der lauen Abendbrise an der offenen Bar. Der ehemalige Pilot könnte aus einem der legendären Afrika-Filme übriggeblieben sein. Bei manchen Dreharbeiten war er als Quartiermeister auch dabei. Abends erzählt er gern von seinen Erlebnissen. Wie schwierig es mit Filmstars ist, die partout in der Wildnis ein heißes Vollbad wünschen oder wie nett Sean Connery beim Fischen ist. In den vergangenen Wochen aber war es ruhig unter den Palmen. Es sind nur Last-Minute- Gäste gekommen. Nicht nur die Hoteliers klagen.

Shariff lungert am Meeresnationalpark herum. Normalerweise kommen die Touristen bei Niedrigwasser am Morgen in Scharen. Für rund 20 Euro bieten Shariff und seine Kollegen Schnorcheltouren zum nahen Korallenriff. Dort wimmelt es von Fischen in sämtlichen Tropenfarben, in gelb, blau, orange, grün und pink, gestreift und gepunktet, Einzelgänger und Schwärme. Heute verlieren sich gerade mal sieben Besucher am Strand – darunter eine kenianische Familie aus Nakuru. Kenias Mittelstand hat entdeckt, dass es im Moment an der Küste günstige Angebote gibt. Shariff ist 28, seine Frau erwartet ein Baby. Und er hofft auf Arbeit. „Es ist so langweilig. Kein einziger Tourist. Wir schlafen bis zehn, dann kommen wir hier an den Strand, nach sechs Stunden gehen wir wieder nach Hause, ohne etwas getan zu haben. Das ist doch kein Leben.“

Das findet auch Wachmann Juma – obwohl er sogar einen Job hat. „Ich danke Gott, dass wir endlich wieder Frieden haben. Aber, dass ich Arbeit habe?“ Der schlaksige 22-Jährige kommt aus dem Westen Kenias, da wo auch der neue Premier Raila Odinga zu Hause ist. Juma trägt eine viel zu weite blaue Uniformhose, die von einem breiten Gürtel gehalten wird. Er macht sich Sorgen, weil die Preise mächtig angezogen haben. „Wir zahlen für eine Tomate heute fünf Shilling, für eine einzige Tomate! Vor einem Jahr haben wir dafür noch zehn gekriegt. Oder das Maismehl. Zwei Kilo haben vergangenes Jahr 45 Shilling gekostet, jetzt zahlen wir 75.“ Er hofft, dass Raila, wie sie Odinga überall nennen, von Nairobi aus etwas für die breite Bevölkerung tun wird. „Ich verdiene 8000 Shilling (umgerechnet gut 80 Euro, die Redaktion), allein meine Wohnung kostet 3500. Und die ganze Familie zu Hause will unterstützt werden. Ich kann nicht einfach sagen, ich esse allein. Das geht nicht.“

Von Präsident Mwai Kibaki ist Juma maßlos enttäuscht. „Welche Hoffnung hatten wir 2002! Aber wir haben ein Gespenst willkommen geheißen. Wir sind ausgeraubt worden. Aber wir beschweren uns nicht.“ Er hofft, dass sich herumspricht, dass es in Malindi keine Unruhen gibt. Warum ist das so? „Das ist ganz einfach“, sagt er grinsend. Helm und Schlagstock hat er längst auf einem Mäuerchen deponiert. „Weil hier in Malindi alle Stämme vertreten sind. Luo, Kalenjin, Gikuyu, selbst Massai“, zählt er auf. „Und ihr Ausländer seid doch auch da.“ Normalerweise.

Längst ist es auch anderswo im Lande weitgehend wieder ruhig. In Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias, ganz im Westen am Viktoriasee, ist kaum noch etwas von den Spuren der Unruhen im Januar zu sehen. Die Geschäfte an der Oginga-Odinga-Road wurden damals geplündert und angesteckt, die Leichenhalle füllte sich binnen kürzester Zeit mit Toten. Längst ist die Cafeteria wieder geöffnet, es gibt sogar wieder weiße Brautkleider zu kaufen, an den Kreisverkehren blühen Blumen. Wie eine stumme Mahnung ragt an der Kreuzung zum Jomo-Kenyatta-Highway noch das schwarze Gerippe des großen indischen Supermarkts empor. Davor hockt ein Wächter. Den Stacheldraht nutzt ein fliegender Händler, um seine Gürtel feilzubieten.

Weiße behandeln die Menschen hier sehr freundlich. Der Zeitungshändler auf dem Trottoir will sich gleich für ein Foto in Positur werfen. Ihm hat die Krise ein gutes Geschäft beschert. „Normalerweise verkaufe ich 80 Exemplare von der ,Nation‘ und 80 vom ,Standard‘. Seit Januar sind es allerdings täglich je 100“, sagt der rundliche Mann und strahlt übers ganze Gesicht.

Doch Kenianer vom Stamm der Gikuyo (der Ethnie des umstrittenen Präsidenten Kibaki) fühlen sich hier im Land der Luo (der Ethnie von Ex-Oppositionsführer und Neu-Premier Raila Odinga) nicht wohl. Die Luo fühlen sich von Nairobi und den bisher vorherrschenden Gikuyo vernachlässigt und ausgebootet. Der junge Gikuyo aus Nairobi, den sein Arbeitgeber hierher geschickt hat, versucht möglichst nicht aufzufallen. Er guckt sich immer vorsichtig um, spricht auffallend wenig. Dann sagt er leise: „Wir hatten gedacht, hier wäre alles tot. Und jetzt das, alles hat auf. Die müssen wir wohl nicht weiter unterstützen.“ Kein Wunder, dass ihm die Situation nicht geheuer ist. Als vor ein paar Wochen die Bildung der neuen Regierungskoalition noch einmal zu scheitern drohte, waren die Menschen hier sofort wieder auf der Straße.

Knapp zwei Autostunden von Kisumu entfernt auf Rusinga Island im Victoriasee sind weder Gikuyo noch Touristen zu finden. Davon gibt es hier zwar auch zu besseren Zeiten nur wenige, aber jetzt geht ihre Zahl gegen Null. Auf Rusinga kennen sie keine aufdringlichen Beach Boys. Hier laufen Kinder neugierig zusammen, um weiße Haut zu befühlen oder Besucher vom Straßenrand aus zu bejubeln. Die holprige Piste durch die zauberhafte Hügellandschaft zur Fähre bei Mbita nimmt kaum ein Ausländer. Sobald es regnet, ist die Strecke ein Offroadabenteuer, selbst für Jeeps eine Herausforderung.

Eine halbe Stunde weiter wartet ein echtes Hideaway. Weder von der Piste noch vom See aus fällt die Rusinga Island Lodge mit ihren acht Luxus-Häuschen auf. Gäste fliegen in der Regel ohnehin über die hoteleigene Landebahn ein, meist kommen sie für ein paar Tage von einer Safari. Vom langen Steg in den See aus geht es zum Fischen oder Vögelbeobachten. Seeadler, Kingfischer, Kormorane, Reiher, sogar Pelikane – die Vögel des Eilands füllen ein ganzes Büchlein. Wer hierher kommt, sucht Ruhe. Im Moment allerdings möchte kaum jemand dieses kleine Schatzkästchen an der unverbauten Bucht genießen. Niemand traut der Stille.

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