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Schnurgerade bis zum Horizont. Der Nord-Ostsee-Kanal ist die meist befahrene künstliche Schifffahrtsstraße der Welt.

© Binder

Kreuzfahrt: Alle Mann zum Bug

Schleuse für Schleuse: Mit der „Astor“ auf dem Nord-Ostsee-Kanal.

Der Nordseewind pfeift recht frisch am Bug der „Astor“. Doch echten Seebären macht das nichts aus. Denn das, was sie heute erwartet, ist richtig spannend. Gleich geht es in die Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals (NOK) und somit auf die meist befahrene künstliche Schifffahrtsstraße der Welt. Mit 23,6 Meter Breite und 176,5 Meter Länge passt die „Astor“ noch gut in die Schleuse. Neuere Schiffe, die als schwimmende Hochhäuser über die Meere fahren, haben da keine Chance.

Lektor Michael Hoeborn ist eben erst aus der Karibik zurückgekehrt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er im Kreuzfahrtgeschäft. Etwa 170 Länder hat er bereist und kennt natürlich auch den Panama-, den Suez- und den Korinth-Kanal. Doch diese Passage gehört zu seinen liebsten. Die abwechslungsreiche Landschaft gefällt ihm, und er mag auch die vielen Brücken, mit denen die anderen Kanäle nicht in gleicher Weise aufwarten können.

Über Lautsprecher unterhält er schon früh morgens die Passagiere auf Deck mit wissenswerten Fakten über die Passage zwischen Brunsbüttel an der Elbe und Holtenau an der Kieler Förde. Man schätze, dass es erste Pläne für den Bau eines solchen Kanals schon im 7. Jahrhundert gegeben habe. Aber erst im Juli 1895, nach acht Jahren Bauzeit, eröffnete Kaiser Wilhelm II. den nach seinem Großvater benannten Kaiser-Wilhelm-Kanal. Mit 156 Millionen Goldmark blieben die Kosten im Plan. Gleichwohl musste die für damalige Verhältnisse gewaltige Summe irgendwie aufgebracht werden. Deshalb floss auch ein Teil der 1902 von Wilhelm II. eingeführten Schaumweinsteuer in die Finanzierung des Kanals.

Eigentlich sollte die Passage für die „Astor“ um 8 Uhr beginnen. Doch die Schleusen sind reparaturanfällig geworden, heute ist nur eine in Betrieb. Das bedeutet: warten. Kapitän Sergey Strusevich geht von drei Stunden aus. Der Bau einer neuer Schleusenkammer ist geplant und genehmigt, aber bis er fertig ist, wird es noch dauern.

Ab 11 Uhr versammeln sich die eingeschworenen Kanalfreunde wieder an der Spitze des Schiffs, um ja nichts zu verpassen. Einen großen Teil der Passagiere zieht es hingegen eher aufs hintere Deck. Dort findet eine der traditionell beliebtesten Veranstaltungen auf der „Astor“ statt: Frühschoppen mit Freibier vom Kapitän. Es gibt außerdem Würstchen, Leberkäs, Brezeln und Sauerkraut aus riesigen Pfannen. Die Geländer sind stilgerecht mit bayerisch anmutenden weiß-blauen Girlanden verziert. Elena und Anatoly vom Showteam singen Oldies aus den 70ern, und die Gäste beweisen, dass sie auch mit Mütze und Windjacke schwofen können. Es gibt viele Stammgäste auf der „Astor“. Den Spitzenplatz unter den Wiederholern belegt eine ältere Dame, die auf mehr als 1000 Bordnächte zurückblicken kann, also schon mindestens 33 Monate auf dem Schiff verbracht hat.

Für eine Flensburgerin hingegen ist es die erste Kreuzfahrt. Als es im vergangenen Jahr die Möglichkeit gab, das Schiff während der Liegezeit in Kiel zu besichtigen, war sie dabei. Und ihr gefiel, was sie sah. Jetzt probiert sie es bei diesem vergleichsweise kurzen Törn von Bremerhaven über Sylt und Kopenhagen nach Kiel mal aus. Und sie ist zufrieden. Mit maximal 578 Passagieren hat das Schiff, wie sie findet, die richtige Größe. Für sie dürfte es auf gar keinen Fall noch größer sein. „Das ist doch nichts, wenn an Land 32 Ausflugsbusse warten, und man ewig braucht, um von Bord zu gehen“, sagt sie.

Sie schätzt es außerdem, dass Deutsch gesprochen wird und die Gastronomie den klassischen deutschen Geschmack bedient. Küchenchef Joachim Meier weiß schon, dass er immer etwas mehr kalkulieren muss, wenn er Hering mit Bratkartoffeln und Spiegelei auf den Speisezettel schreibt. Dabei gibt es im Waldorf-Restaurant auch moderne Gerichte wie Heilbutt mit Gemüsestroh und Wasabi-Püree, und beim Sektfrühstück im Überseeclub (Büfett) wird zudem reichlich Obst angeboten. Doch wer will – es gibt auch herkömmliche Butterbrote mit Aufschnitt. Und die mögen hier viele.

Es gibt erstaunlich viel zu sehen

Brutzeln an Deck: Zum Frühschoppen gibt es Deftiges aus der Pfanne.
Brutzeln an Deck: Zum Frühschoppen gibt es Deftiges aus der Pfanne.

© Binder

Ein großer Teil der Gäste ist schon im Pensionsalter und mag das ganz klassische Kreuzfahrterlebnis. Wer die „Astor“ bucht, möchte nicht zwischen Kletterwand und Wildwasserbahn verloren gehen. Es ist alles schön überschaubar. Der kleine Indoor-Pool ist eingerahmt von finnischer und türkischer Sauna sowie dem Spa-Bereich. Auf dem Promenadendeck gibt es ebenfalls einen Pool, und ganz oben auf dem Schiff finden Aktive eine Tischtennisplatte sowie einen kleinen Sportplatz. Das genügt den Passagieren. Ohnehin: Am besten besucht sind Kartenspielzimmer und Bibliothek. Auch die Astor-Lounge ist abends bei Tanz und Show eine Attraktion. Favorit der Stammgäste ist allerdings die im Stil einer gemütlichen Kneipe eingerichtete Hanse-Bar auf dem Brückendeck.

Mancher Passagier ist mit dem Rollator unterwegs, und das geht auch ganz gut. Als die „Astor“ 1987 in Dienst gestellt wurde, war an Reisende mit Behinderung noch nicht gedacht worden. Und auch bei der umfassenden Modernisierung auf der Bremer Lloyd-Werft vor drei Jahren ließ sich manche Stolperfalle einfach nicht beseitigen. Zwar wurden moderne Bäder eingebaut, neue Teppiche gelegt und die Kabinen mit Flachbildschirmen ausgestattet – doch die Schwellen mussten bleiben. Andererseits ist das Hospital jetzt darauf eingerichtet, dass auf ausgewählten Touren bis zu zwölf Dialyse-Patienten mit an Bord kommen können, ein Angebot, das auf reges Interesse stößt, weil es die Mobilität der Betroffenen natürlich sehr erweitert.

Es dauert am Ende doch noch eine gute Stunde länger als vom Kapitän erwartet, bis die „Astor“ endlich in die Schleuse des NOK einfährt. Strusevich steht außen auf der Brücke, konzentriert sich auf die Instrumente. Der Lotse lehnt lässig an der Reling. Wenn im Panama-Kanal mal was passiert, ist der Lotse schuld, weil er sein Revier kennen müsste. Im NOK ist es umgekehrt, da ist der Kapitän schuld, weil er sein Schiff kennen muss. So erzählt es Michael Hoeborn.

So einfach, wie es für die vom Frühschoppen gestärkten Passagiere aussehen mag, ist die Passage ganz sicher nicht. Es besteht immer die Gefahr, dass ein Schiff gegen die Böschung gedrückt wird. Außerdem herrscht so reger Gegenverkehr wie auf kaum einem anderen Kanal. Auch bei der Zahl der Brücken ist der NOK Spitze. Am interessantesten ist die Eisenbahnbrücke in Rendsburg. Nicht nur, weil sie eine wichtige Schienenverbindung nach Skandinavien ist, sondern wegen der exotischen Schwebefähre, die seit 1930 nach demselben Fahrplan fährt. Da klicken die Kameras der Passagiere. Gleich hinter der Brücke ist die Schiffsbegrüßungsanlage. Viele winken da unten, während die Nationalhymne der Bahamas gespielt wird. Offizieller Heimathafen der „Astor“ ist nämlich Nassau, aus steuerlichen Gründen und wegen sonstiger finanzieller Vorteile für Reeder.

Es gibt erstaunlich viel zu sehen auf dieser Passage. Anfangs in Brunsbüttel sind da die Fabriken, die so anmutig normgerecht vor sich hinqualmen. Später schieben sich dann Kühe, Schafe und Lämmer ins Bild. Immer wieder Windräder. Gediegene Backsteinhäuser, Obstbäume, Wäscheleinen mit langen Unterhosen, Strommasten, Wohnmobile. Und natürlich Schiffe aller Art. Als die „Astor“ schließlich auf Holtenau zufährt, stehen auch viele Besatzungsmitglieder an Deck und machen Fotos. Der Kapitän konzentriert sich, um das Schiff in die Schleuse zu manövrieren. Hier sind zum Glück beide Schleusen in Betrieb, so dass es relativ schnell geht, obwohl viele Schiffe warten. Um 21 Uhr 15 öffnet sich das vordere Tor, und die Lichter von Kiel erscheinen.

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