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Fjordland voraus. Hoch beladen gleitet „Emma“ nach Norwegen. Ein Hafenstädtchen nach dem anderen läuft sie an. Ladung wird gelöscht – und neue kommt an Bord.

© Ellerbrock

Kreuzfahrt mit Containerschiff: Die bunte Show der Industrie

„Emma“ schippert schwere Container, meist von den Niederlanden nach Norwegen. Manchmal nimmt sie staunende Touristen mit.

„Emma“ gibt sich äußerst charmant. In ihrem Begrüßungsschreiben steht: „Ich bin eine alte Dame, die bisher mit jedem Wetter auf See fertig wurde. Haben Sie grenzenloses Vertrauen zu mir und meiner Besatzung.“ Na dann los: auf nach Norwegen – sieben Tage auf See!

„Emma“, vor 27 Jahren gebaut, wird seit Langem im Pendelverkehr zwischen Hamburg, Bremerhaven oder Rotterdam zu Norwegens Westküste zwischen Stavanger im Süden und Florö im Norden eingesetzt. Es ist gelebte Tradition bei der Reederei Baum in Nordenham, während der Sommermonate einige wenige Passagiere mitzunehmen, die so in den Genuss eines raren Erlebnisses kommen: Kreuzfahren mit dem Containerschiff.

„Emmas“ Reise beginnt in Moerdijk, dem südlichsten Seehafen der Niederlande, wo sie bereits mit 20 und 40 Fuß großen Standardboxen, aber auch mit den ganz großen High-Cube-Containern für Röhren, mit Tankcontainern für Gefahrgut, seitlich offenen Flatracks und Leercontainern beladen wurde. Es ist schon stockdunkel, als auch der Lotse endlich an Bord geht. Er wird auf der jetzt folgenden vierstündigen nächtlichen Revierfahrt das Steuer übernehmen.

Wer jetzt schläft, verpasst eine Illumination, eine regelrechte Lichterorgie: Terminals, Raffinerien, Chemieanlagen, Kräne, Bürogebäude, Brücken, Kraftwerke, Straßen und Werften wetteifern darum, wer die Nacht am besten zum Tag machen kann. Gelbe Lichterketten und Lichterkränze, weiße Lichterkaskaden, giftgrüne Scheinwerfer, blaue Halogenspots – alles, was leuchten und blinken kann, ist hier angeknipst zur größten Show, die industrielle Komplexe heutzutage zu bieten haben.

Bei Hoek van Holland hat das Spektakel ein Ende. Als es ins offene Meer hinausgeht, erklärt der Lotse noch schnell in Rudi-Carrell-Deutsch, warum hier in Zukunft die Fahrrinne erweitert werden muss: „For die großen Tänkers.“ Dann holt ihn das Versetzboot ab. „Emma“ dampft nun mit 13 Knoten – rund 24 Kilometer pro Stunde – durch die graue Nordsee, wo sie nach 36 Stunden ihren Zielhafen Risavika nahe Norwegens Ölmetropole Stavanger erreicht.

Im Westen Norwegens läuft so gar nichts nach Plan

Kapitänswechsel. Kaum an Bord, gibt es schon schlechte Nachrichten für den 53-jährigen Kjell Knutsen. „Emma“, die der aus Kristiansund stammende Kapitän von seinem Kollegen Inge Hatle übernimmt, wird zwei Stunden warten müssen, bevor sie in den Sandsfjord einlaufen kann. Ihr Liegeplatz ist noch nicht frei, dort oben in Sauda, ganz am Ende des langen Fjordes. Es heißt also erst einmal warten für Knutsen, der verärgert vor sich hinbrummt und Undefinierbares über dem Kragen eines groß karierten Norwegerhemds nuschelt. Wie so oft bei diesen Trampfahrten zu den kleinen Häfen im Westen Norwegens läuft mal wieder so gar nichts nach Plan.

Die beiden Kapitäne Knutsen und Hatle lösen sich alle sechs Wochen auf dem Schiff ab. Sie kennen diese Region mit ihren unzähligen Schären, engen Durchfahrten, gefährlichen Felsformationen und tückischen Strömungen wie ihre Westentasche. Da, wo Lotsenpflicht besteht, verfügen die beiden über eine hart erarbeitete Freistellungsbescheinigung, sodass sie „Emma“ selbst durch diese nautisch anspruchsvollen Reviere steuern dürfen.

Als Knutsen in der Abenddämmerung endlich in den Sandsfjord einfährt, muss er sein ganzes Können unter Beweis stellen. Wie ein Bandwurm – an den engsten Stellen 200 Meter breit – windet sich der Fjord streckenweise ins Landesinnere. Knutsen hält das Steuer hochkonzentriert in den Händen. Mit nur wenigen Knoten schiebt, nein, tastet sich „Emma“ vorsichtig in den Fjord hinein. Zu hören ist nur das monotone Brummen der Motoren, ansonsten liegt eine gespenstische Stille über der Szenerie.

Es wird immer dunkler, die Nacht bricht an. Nachdem „Emma“ eine Biegung hinter sich gelassen hat, scheint sie auf einem einsamen, dunklen See zu gleiten; wie auf einem Bergsee in den Hochalpen, aus dem es für den knapp 100 Meter langen und 16 Meter breiten Containerfrachter nun kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Irgendwann leuchten wieder rote Lichter auf, die Durchfahrt und Weg markieren. Und so schleicht sich „Emma“ nach Sauda, links und rechts steigen steile Bergflanken von mehr als tausend Metern Höhe auf, unterm Kiel ruhen mehrere hundert Meter Wasser. Norwegens faszinierende Fjordwelt ist erreicht.

Wie in Sauda wird der Aufenthalt auch in den kommenden kleinen Hafenstädten nicht lang sein, wenige Stunden nur. Ein paar Container abladen, ein paar neue aufladen, und schon geht es weiter beim Hafenhopping nach Husnet, Husoy, Egersund, Florö, Skutevika, Knarrevik und Sunndalsoera. Es sind Orte mit nur wenigen Häusern, aber Hafenanlagen, wo die dicksten Pötte der Welt abgefertigt werden können. Dörfer, denen die Natur Tiefwasserhäfen geschenkt hat.

Käpt’n Iglo auf der „Emma“ mit

In Norwegens Naturhäfen stehen keine weit ausladenden Containerbrücken bereit, weshalb „Emma“ mit eigenem Ladegeschirr ausgestattet ist: zwei auf der Backbordseite hoch aufragende 40-Tonnen-Kräne, mit denen die Blechboxen schaukelnd aufgenommen und abgesetzt werden. Für die beiden Kranführer Oleksandr Dzhugan (41) aus Odessa und Viaceslavas Stoliaras (37) aus Klaipeda bedeutet das Präzisionsarbeit. Und Kopfarbeit für den smarten 35-jährigen Zweiten Offizier Sergiy Gagalinsky aus der Ukraine, der – bisweilen der Verzweiflung nahe – immer wieder neue Staupläne entwickeln muss, um die Boxen optimal und vorschriftsmäßig zu platzieren. Die Kräne selbst werden tagein, tagaus von Schlosser Igoris Latvis in Schuss gehalten. Der Litauer flext und schweißt, hämmert und fettet jede Minute, in der die Kräne nicht in Betrieb sind.

In Husoy gehen die ersten weiß gestrichenen Kühlcontainer an Bord, die eiligst an die bordeigene Stromversorgung angeschlossen werden müssen, damit die Kühlkette nicht unterbrochen wird. Denn ab sofort fährt Käpt’n Iglo auf der „Emma“ mit. Mit den rund 150 000 Kilogramm „frozen salmon“ und „box frozen mackerel“ könnte sich die gesamte Crew die nächsten 130 Jahre täglich von reichlich Fischstäbchen ernähren.

Für das leibliche Wohl ist aber in Wirklichkeit die einzige Frau an Bord zuständig: Seit zehn Jahren bekocht die 50-jährige Liudmila Titova Besatzung und Passagiere abwechslungsreich und sehr deftig dreimal am Tag, wobei rote Rüben und Salzgurken nie fehlen dürfen.

Die Crew hat also mittlerweile eine Aufgabe mehr um die Ohren: Die vorgeschriebene Kühltemperatur müsse penibel eingehalten und alle sechs Stunden bei Wind und Wetter kontrolliert sowie protokolliert werden, erzählt Bootsmann Vladimir Kaveckij (60), der bereits zu Zeiten der Sowjetunion reichlich Erfahrung auf Fischtrawlern sammelte.

Norwegen ist der drittgrößte Fischexporteur der Welt, 62 Prozent der Meerestiere stammen allerdings aus einer der mehr als 800 Aquakulturen, die hier in den Schären und Fjorden im Laufe der vergangenen Jahre angelegt wurden. Auf der Weiterfahrt nach Bergen kommt auch „Emma“ an dutzenden dieser in Norwegen „erfundenen“ Fischfarmen – von Tierschützern kritisch als „Hühnerbatterien des Meeres“ bezeichnet – vorbei: Es sind kreisrunde, etwa 30 Meter tiefe Netzgehege. Die aus dem Wasser springenden Lachse kann man mit bloßem Auge erkennen.

In Bergen ändert sich für „Emma“ ein weiteres Mal der Fahrplan – sechsmal musste der Kurs bereits korrigiert werden. „New Schedule“, jammert Kapitän Knutsen, und hängt einen neuen Ausdruck an die Pinnwand. „Emma“ soll in den Hardangerfjord bis nach Alvik. Das sind zusätzliche sechs Stunden Revierfahrt hinein und sechs Stunden wieder hinaus. Nur für ein paar Container!

Als wolle Alvik sich dafür entschuldigen, hält es eine besonders imposante Dämmerung für die ankommende „Emma“ mit ihren weit ausgestreckten, ockergelben Bordkränen bereit. Windstill liegt der Fjord unter stattlich aufragenden Bergen, deren Schneedecke sich noch weiß glänzend bis tief hinunter zum ölig glatten Wasser zieht. Alles ist dabei in ein mystisch anmutendes Licht getaucht. Ein Anblick, von dem man nicht lassen kann. Solch intensive blaue Stunden gebe es nur hier, versichert der Erste Offizier Jurij Logutenkov aus Litauen. Und all das nur für die fleißige „Emma“, scherzt der 28-Jährige, um seiner ersten großen Liebe zur See ein Kompliment zu machen.

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