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Party für die „Norwegian Escape“ in Hamburg. Getauft wird der Schiffsriese dann am 9. November in Miami.

© Andre Lenthe/NCL

Kreuzfahrt: Eine Riesin kommt in Fahrt

Die „Norwegian Escape“ ist keine Schönheit, eher ein schwimmendes Hochhaus für 4266 Passagiere. Doch hier zählen die inneren Werte.

Die See ist bewegt, das Leben allgemein ist unruhig. Da ist es doch eine besänftigende Erfahrung, dass sich manche Dinge allem Anschein nach nie ändern. Selbst wenn sie nicht zwangsläufig angenehm sind; eine gewisse Kontinuität in unserer Welt zu erleben, ist immerhin bemerkenswert. Und deshalb sollte es der Kreuzfahrtgast auf der nigelnagelneuen „Escape“ von Norwegian Cruise Line (NCL) positiv sehen, wenn er einen Kaffee bekommt, der mindestens genauso schlecht ist wie das braun gefärbte Heißgetränk, das seit Ewigkeiten in jedem Diner als „coffee“ ausgeschenkt wird.

Revolutionäres hat das in Papenburg für 4266 Passagiere gebaute Schiff auf seinen 334,6 Metern ohnehin nicht zu bieten. Es sei denn, man möchte die stetige Annäherung des Kreuzfahrtschiffbaus an die DDR-Plattenbauarchitektur der 1970er Jahre als umwerfend bezeichnen. Doch das Phänomen kantiges Hochhaus statt schnittiges Schiff hat sich uns ja in den vergangenen Jahren schleichend genähert.

Die von manchen Kritikern geschmähte Massenunterbringung an Bord kommt der Gewinnmaximierung der Reeder und – das sollte kein Gast vergessen – nicht zuletzt dem Geldbeutel des Reisenden zugute. Denn je größer das Schiff, desto geringer das pro genutzter Fläche zu zahlende Entgelt des Passagiers.

Möglichst viele Passagiere auf möglichst wenig Raum

So gemein wie manch hämische Spötter über moderne Kreuzfahrtschiffe herziehen, wollen wir nicht sein. Was soll ein Reeder auch machen? Alle Welt will aufs Schiff, sich verwöhnen lassen, fremde Länder sehen (von einem Kennenlernen kann in der Regel ja keine Rede sein) – nur kosten soll das alles nicht sooo viel. Also schicken die Reeder ein paar Schiffsarchitekten in Klausur, mit dem strikten Auftrag, möglichst viele Menschen in einem begrenzten Schiffsvolumen unterzubringen.

Sushi gefällig? Im Teppanyaki-Restaurant wird's serviert.
Sushi gefällig? Im Teppanyaki-Restaurant wird's serviert.

© I. Fiebak-Kremer/NCL

Dabei darf in der Praxis nicht herauskommen, dass der zahlende Gast nach wenigen Stunden Platzangst bekommt und über Bord springt. Diese Gefahr besteht auf der rund 800 Millionen US-Dollar teuren „Escape“ nicht. Der Kreuzfahrer soll sich hier vergnügen – und ordentlich Geld ausgeben: in Spezialitätenrestaurants und Bars, bei Wellness, auf der ausufernden Einkaufsmeile sowieso und nicht zuletzt im Kasino.

Und, um dieses wirklich unangenehme Thema gleich mal anzusprechen: Der Gast soll zusätzlich zum Reisepreis, bitt’ schön, auch noch einen Teil des Lohns für die Besatzung abdrücken. In Form von Zwangstrinkgeld, auch als „Servicepauschale“ bezeichnet. Diese Art der Kostenabwälzung ist gewiss nicht nur bei US-Reedereien gang und gäbe, doch die stellen sich zumindest gegenüber der potenziellen deutschen Kundschaft besonders ungeschickt an, weil sie ihr quasi vorschreiben, wie viel „Trinkgeld“ fällig ist.

Man darf so wenig Trinkgeld geben, wie man möchte

Diesen Obolus mag „der Deutsche“ genauso wenig wie NCL-Boss Frank J. Del Rio ebendieses Thema. Ja, er kenne die Diskussion, sagt er genervt, doch der Gast habe schließlich die Wahl. Stimmt, Seefahrer aus dem Land der ausgemachten Trinkgeldmuffel reagieren nämlich grantig, wenn in täglicher Regelmäßigkeit das Bordkonto zwangsweise belastet wird mit einem üblicherweise freiwilligen, als Belohnung für guten Service gedachten Betrag.

Doch gemach. Wer der sogenannten Servicepauschale nichts abzugewinnen vermag und im Laufe des Buchungsvorgangs widerspricht, darf geben, was er möchte. Also auch nichts, wenn ihm dabei wohler ist. Wer den Widerspruch versäumt, der ist allerdings unwiderruflich dabei. So wie bei den 18 Prozent, die bei allen kostenpflichtigen Dienstleistungen an Bord auf den ausgewiesenen Preis anfallen. Das Verbergen von Zusatzposten wollen die Amerikaner einfach nicht lernen. Es möge sich allerdings kein Kunde einbilden, solche Kosten seien nicht auch in den Alles-inklusive-Preisen untergebracht, die hierzulande so beliebt sind.

Unser Rat: Wer bei einer US-Reederei an Bord geht, soll die Servicepauschale vorab zahlen, dann das Geld vergessen und staunen, was das Personal an Bord so leistet. Denn das ist wahrlich nicht hoch genug einzuschätzen.

Im Pub gibt es 24 Biere vom Fass. Gebraut wird aber nicht

Art Déco nach üppigem amerikanischen Muster im Manhattan-Restaurant.
Art Déco nach üppigem amerikanischen Muster im Manhattan-Restaurant.

© I. Fiebak-Kremer/NCL

Nach der ersten Kurzreise an Bord des eben erst aus der Emsmündung entlassenen neuen NCL-Sprosses werden die in Tausendschaften mitgefahrenen Reisebüroverkäufer sagen: Die Schiffsarchitekten sowie die Konstrukteure von der Meyer Werft im Emsland haben ordentliche Arbeit abgeliefert. Nun muss darob niemand völlig aus dem Häuschen geraten, wie es Frank Del Rio angesichts des Neubaus vorgibt zu sein, doch „Welcome to the good life“, wie auf jeder Bordkarte zu lesen ist, darf schon so stehenbleiben.

Nicht weniger als 28 Futterkrippen gibt es an Bord, dabei ist der Verzehr in 11 Restaurants im Reisepreis enthalten. Die Bandbreite reicht vom ur-amerikanischen Frühstück mit Hashbrowns, Bacon an’ Eggs und danach Pfannkuchen mit Sirup über kubanisch inspirierte Küche und Fleischvariationen samt Burgern bis zum exotischen Konzeptrestaurant „Food Republic“, in dem der Gast Kleinigkeiten aus aller Welt auf einem am Tisch installierten iPad bestellen kann. Hinter der Qualität der Kochkunst steckt die kulinarische Erfahrung der NCL-Luxustöchter Oceania Cruises und Regent Seven Seas Cruises. Da gibt es nichts zu meckern.

Ganz stolz sind die NCLer auf ihr „District Brew House“, ein Pub, in dem es 24 Biere vom Fass und mehr als 50 verschiedene Flaschenbiere gibt. Gebraut wie auf einigen Aida-Schiffen wird zwar nicht, doch der Laden ist auch so sehr nett. Wenn er gut besucht ist. Wenn nichts los ist, ist es fad. Da könnte sich einer der Innenarchitekten noch etwas einfallen lassen, um zumindest optisch für Stimmungsaufheller zu sorgen. Sollten Weinfreunde an Bord kommen, können die sich im gut bestückten „The Cellars“ (gegen Aufpreis) bei einer Weinprobe gütlich tun.

Der Kaffee ist dünn, aber die Shows sind spitze

Atmosphärisch und auch optisch ist der sogenannte Waterfront-Bereich auf Deck 8 ein echter Knüller. Der Erfolg dieser Öffnung einer Reihe von Restaurants zum Wasser hin war schon Vorgängerschiffen beschieden, jetzt gibt es dort noch mehr Platz. Allerdings: Es wird dabei klar, dass die „Escape“ ein Schiff für Schönwettergebiete ist. So offen, so zugig wäre das nichts für unsere Breiten.

Weinrot geht immer. In diesem Club-Restaurant dürfen die Abende gern länger werden.
Weinrot geht immer. In diesem Club-Restaurant dürfen die Abende gern länger werden.

© I. Fiebak-Kremer/NCL

Am künftigen Revier Karibik ausgerichtet sind auch die zahlreichen Aktivitäten, die an Deck geboten werden: von ausgedehnten Wasserrutschen für Klein und Groß bis zum „größten Hochseilgarten auf See“, wo mehr als 40 Kletterelemente auf mehreren Ebenen existieren.

Mehr als eine Bugspitze Vorsprung vor allen anderen haben amerikanische Kreuzfahrtschiffe, wenn es um das Entertainment an Bord geht. Da macht NCL, da macht die „Escape“ keine Ausnahme. Wer beobachtet, wie bei sehr viel Aufwand und Tamtam vermeintlich große Abendshows auf deutschsprachigen Schiffen vergleichsweise kläglich daherkommen, darf sich an Bord des neuen Schiffs einmal mehr freuen, wie die Amis mit scheinbar leichter Hand hochprofessionelle Unterhaltung in vielen Genres produzieren.

Hast du eine Kabine gesehen, kennst du alle

Aber wie wohnt es sich nun an Bord? Kaum anders als auf anderen Kreuzfahrtschiffen. Hast du eine Kabine gesehen, kennst du alle. Zumindest annähernd. Die Standardkabinen sind mit 19 Quadratmetern keine Raumwunder, dabei ist allerdings angenehm, dass ein, zwei Quadratmeter zugunsten der sehr geräumig geratenen Nasszelle vom Schlafraum abgeknapst wurden. In der Farbgebung von Möbeln, Teppichböden und Wänden überwiegen die Töne des amerikanischen Standardeigenheims: braun/beige und etwas bordeaux. Ungemein praktisch für ein Schiff.

Ein Kuriosum sind die bei NCL üblichen innen liegenden Studios für Einzelreisende: Hier sind auf neun Quadratmetern alle Elemente eines Hotelzimmers untergebracht. Die Auslastung dieser Kabinen zeigt, dass das reicht und der Gast eher auf etwas Ellbogenfreiheit verzichtet, als den Aufpreis für eine Doppelkabine zur Alleinnutzung zu zahlen.

Dass Geld manchmal keine Rolle spielt, zeigt die „Oberklasse“ an Bord, die NCL auch auf der „Escape“ anbietet. Der exklusive Wohnbereich heißt „The Haven“ und ist quasi ein Schiff im Schiff. Die zwischen 28 und 53 Quadratmeter großen Suiten liegen vor allem auf den Decks 17 und 18, jeweils mit bester Aussicht. Dieser „Zufluchtsort“ ist nur für seine etwa 250 Bewohner zugänglich, die sich eines Butlerservices erfreuen können, exklusiv für sich ein nobles Restaurant mit Außenterrasse sowie einen Pool haben.

"Der Gast braucht das Schiff eigentlich nie anzuschauen"

Wer sich’s traut: Diese Rutschen mit Looping-Effekt locken Fortgeschrittene.
Wer sich’s traut: Diese Rutschen mit Looping-Effekt locken Fortgeschrittene.

© I. Fiebak-Kremer/NCL

Also, eine Augenweide ist das Schiff nicht. Hier zählen allein die inneren Werte. Und die Branche denkt durchaus pragmatisch: „Der Gast braucht das Schiff eigentlich nie anzuschauen, er muss sich jedoch an Bord wohlfühlen und das Gefühl haben, dass er für sein Geld einen angemessenen Gegenwert bekommt“, sagt Vera, eine Reisebüro-Veteranin aus Münster.

Nach dem, was sie an Bord gesehen hat, kann sie sich vorstellen, den ein oder anderen aus ihrem Kundenkreis für die „Escape“ zu buchen. „Sicher keine großen Zahlen wie bei Aida oder Tui Cruises. Dafür ist NCL einfach zu amerikanisch.“ – „Ja, bei diesem Schiff wird es nicht einfach“, sagt eine junge Expedientin aus der Gegend von Fulda. „Unseren Kunden wird weder die Größe des Schiffs zusagen noch wird ihnen gefallen, dass in manchen Restaurants von diesen Plastiktellern gegessen wird.“

Teller aus Melaminharz stören die Amis nicht

Und das ist der Unterschied: Einen Amerikaner stört kein dünner Kaffee, auch hat er kein Problem mit dem „Plastik“, einem Kunststoffgeschirr aus Melaminharz, wie es in US-Haushalten durchaus üblich ist. Wer also eine gute Portion amerikanischen Lebensstils kennenlernen oder bewusst in denselben eintauchen möchte, der ist an Bord dieses neuen Schiffes gut aufgehoben. Rudimentäre Englischkenntnisse wären von Vorteil. Und man muss natürlich mögen, dass die „Escape“ in Miami stationiert ist und ausschließlich einwöchige Schleifen durch die östliche Karibik ziehen wird.

Da wir fest davon ausgehen, dass die „Escape“ die Transatlantikreise von Hamburg über Southampton nach Miami gut überstehen und auch bei der Taufe am 9. November keinen bleibenden Schaden davontragen wird, setzen wir auf die Kontinuität dünnen Kaffees und professioneller Shows. Beides sind anerkannt zuverlässige Größen an Bord amerikanischer Schiffe.

Die „Norwegian Escape“ fährt ganzjährig ab Miami durch die östliche Karibik. Preisbeispiele: Ein Alleinreisender zahlt im Single-Studio Anfang Dezember 1846 Euro mit Flug ab Tegel; eine Standard-Balkonkabine kostet zur selben Zeit 1854 Euro pro Nase, ebenfalls mit Flug. In beiden Fällen wird eine Servicepauschale in Höhe von 161 Euro pro Person fällig. Auskunft in Reisebüros oder online unter ncl.de, kreuzfahrten.de, oder ahoi.de.

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