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Einfach loslaufen. Durch die weiße Landschaft gleiten – nur ein Grund, den norwegischen Winter zu lieben. Foto: laif

© Rabouan/Hemis.fr/laif

Reise: Kronprinz Haakons lange Schritte

Täglich werden Loipen gespurt, rund um das Dagalifjell. Auch Mitglieder der Königsfamilie sind hier gern sportlich unterwegs.

Es ist sechs Uhr in der Früh und noch dunkel, als Vilhelm Håvardsrud seine tägliche Tour startet. Der blonde Norweger im dicken Strickpullover knipst die Scheinwerfer an und startet Motor und Heizung. Dann klettert er auf den Fahrersitz und gibt Gas. Mit lautem Rattern zuckelt die Loipenmaschine ins Langlaufgebiet. Unter Krüppelkiefern flattern Schneehühner auf. Wenig später blinzeln die ersten Lichtstrahlen durch das Grau des Morgens. Noch ist niemand hier oben auf dem „Fjell“ – so heißen die baumlosen Hochebenen Norwegens.

Vilhelm ist Loipenmacher. Jeden Wintermorgen fährt er mit der „Tråkkemaskin“ rund 70 Kilometer auf und ab, dekoriert Hügel und Ebenen mit zwei sauber gestanzten Gleitrinnen. „Mein Job ist etwas ganz Besonderes, das muss ich mir immer wieder bewusst machen“, sagt Vilhelm und seine Augen leuchten. Er stoppt auf seinem Lieblingshügel für eine Kaffeepause, vor allem aber für den Blick in die Ferne: Zu seinen Füßen breitet sich das Dagalifjell aus. Eine schneebedeckte Hügellandschaft, die aussieht, als hätte Verpackungskünstler Christo die Welt in weiße Planen gehüllt. Ein besonders beeindruckendes Erlebnis war es für Vilhelm, als eines Morgens eine Gruppe Elche für mehrere Minuten vor seiner Maschine herstakste. Zu Fuß würde man die scheuen Wildtiere aus solcher Nähe kaum sehen können, erzählt er.

Viel größer ist die Wahrscheinlichkeit, Norwegens Königsfamilie in der Loipe zu treffen, etwa das sympathische Kronprinzenpaar Haakon und Mette-Marit mit ihren Kindern. Sie besitzen seit Kurzem ein Ferienhaus am Rande des Dagalifjells, das in der Provinz Nore og Uvdal, nur 250 Kilometer von Oslo entfernt liegt. „Kronprinz Haakon erkennt man an seinem Laufstil. Er ist sehr groß und macht lange Schritte“, sagt Vilhelm. Oder an den beiden Leibwächtern mit Funkverbindung im Ohr, die vorauslaufen oder folgen.

„Das Paar grüßt genauso freundlich wie alle anderen", erzählt Vilhelm. Wohl niemandem würde hier oben die offizielle Anrede „Eure Königliche Hoheit“ über die Lippen kommen. Minister werden im hierarchiearmen Norwegen auch außerhalb der Loipe geduzt. So heißt Premier Stoltenberg einfach „Jens“.

Die Nähe zum Volk kann sich die Obrigkeit leisten, denn auf Privatsphäre wird viel Rücksicht genommen. Hier pilgert man nicht in Scharen zum königlichen Feriendomizil, um sich an den Fensterscheiben die Nase plattzudrücken. Nur eine einzige Skispur zweigt von der Loipe ab und führt querfeldein am Haus vorbei. Ein einfacher Holzzaun umgibt das Grundstück, daran hängt ein unauffälliges Metallschild mit Aufschrift „Det kongelige Hoff“ (der königliche Hof). Von Weitem unterscheidet sich die königliche ‚Ferienhytta' kaum von den Nachbarhäusern. Nur ihr Holz ist noch hell wie das Haar von Mette-Marit. Und zwei Videokameras bewachen den Eingang.

Für Frank Olsen ist die berühmte Nachbarschaft gute Werbung. Zehn Langlaufminuten entfernt vermietet er – nicht königlich, aber gemütlich eingerichtete – Ferienhütten. „Hi, my friend“, begrüßt er seine Gäste und zeigt seine selbst renovierten Herbergen, ausgestattet mit Kamin, Grillterrasse oder Open-Air-Whirlpool. Dort serviert er seinen Gästen am Abend bei minus 17 Grad ein kühles Bier, während diese mit Badeanzug und Sturmhaube bekleidet ihre Muskeln im heißen Sprudelbecken entspannen und dabei die Sterne auf der Milchstraße zählen.

Jeden Sonnabend schwingt sich Frank auf den Schneescooter und legt mit seinem Anhänger dort Loipen, wo Vilhem nicht fährt, weil er keinen Auftrag von der Kommune dafür hat. „Es ist traumhaft, besonders wenn morgens die Sonne aufgeht. Da könnte ich vor Freude im Schnee tanzen", sagt Frank – ein Mann mit ebenso viel Körpergewicht wie Lebenslust.

Auf der anderen Talseite erstreckt sich die Hardangervidda, Norwegens größter Nationalpark und Europas größte Hochebene. Mit dem Fernglas kann man dort manchmal Rentiere beobachten, wie sie mit ihren Hufen im Schnee nach Flechten graben. Wer einmal Rentiere und Elche streicheln möchte, kann das im Nachbartal im Naturpark Langedrag. Hier leben 26 Tierarten, darunter auch Luchse und Wölfe. Gegründet wurde der Park von dem kürzlich verstorbenen Edvin Thorson, einem großen Natur- und Tierfan, der durch die Entwicklung der ersten Funktionsunterwäsche in den fünfziger Jahren zum Millionär wurde und sein ganzes Vermögen in seinen Lebenstraum steckte. Ein moderner Noah, dessen Ziel es war, die Ur-Rasse jeder Tierart zu bewahren. Sein Wunsch: Menschen sollten seltene Tiere nicht nur durch den Blick hinter einen Maschendrahtzaun oder im Käfig sehen. Seine Tochter Tuva führt sein Lebenswerk nach diesen Grundsätzen weiter. Hin und wieder kommen Mette-Marit und Haakon mit ihren Jüngsten vorbei, „aber nur noch unangemeldet, damit nicht so viel Aufhebens um sie gemacht wird", sagt Tuva.

Am nächsten Morgen spielen Sonne und Wolken Fangen miteinander. Der Wind faucht übers Fjell, als wolle er die Langläufer rückwärts den Hügel hochschieben, den sie gerade heruntergekommen sind. Die Arbeit von Vilhelm und Frank macht er dann in Minuten wieder zunichte. „Tja, es ist wie mit der Hausarbeit“, sagt Vilhelm lachend.

Wenigstens spürt er in seiner Fahrerkabine nichts vom Wind. Wer trotzdem gute Loipen haben möchte, kann im Internet nachsehen, wo Vilhelm oder sein Kollege gerade spurt. Die GPS-Koordinaten werden direkt an den Rechner gesendet.

Privatspuren für die Königsfamilie? Nein, die gibt es hier nicht. Auf dem Fjell sind alle Menschen gleich.

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