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Winterstill. Nur in der Sommersaison wird es trubelig in Swinemünde. Familien mit Kindern lieben das Ostseebad.

© UM Swinoujscie

Kuraufenthalt in Polen: Massagen mit Ostseeblick

Polen ist beliebt bei deutschen Gesundheitsgästen. In Swinemünde können sie am Strand spazieren.

Sechs Uhr früh an einem winterlichen Sonnabend in Berlin. Auf dem Bürgersteig in Buckow wartet ein Paar mit zwei Koffern. Ein Kleinbus hält an. „Heute liegen wir gut im Zeitplan“, freut sich die Fahrerin Petra Franke. Es sind sind die letzten Fahrgäste, die sie abzuholen hat. Mit Schwung schließt sie die Tür. „So, ab nach Swinemünde!“Jedes Wochenende rollen allein aus Berlin mehrere Dutzend Reisebusse in Richtung polnische Ostseeküste. Nach Swinemünde, Kolberg, Darlowo, oder Misdroy. Beinahe 300 000 Deutsche fahren jährlich nach Polen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen, weit mehr als 100 000 machen dort eine reguläre Kur. Tendenz steigend.

„In diesem Jahr schicken wir etwa 12 000 Kunden zur Kur nach Polen“, sagt Rainer Löwenberg von MediKur-Reisen in Berlin, einer von mehreren Veranstaltern, die auf Gesundheitstourismus spezialisiert sind. Ende der 1990er Jahre zog es die ersten deutschen „Pioniere“ zu einem Kuraufenthalt in die bekannten Seebäder Polens. Darunter viele Ältere, die in Westpolen früher ihre Heimat hatten. Doch die Folgen der Gesundheitsreform in Deutschland machten das polnische Kurwesen für eine größere Zielgruppe interessant. Die Kur in Polen war und ist zum günstigen Preis zu haben.

„Guten Tag, herzlich willkommen! – Auf Wiedersehen, gute Reise!“ Im Kurhotel Irys in Swinemünde wird an Wochenenden ständig ein- und ausgecheckt, die Empfangsdame hat keine Pause. An Wochenenden wird ständig ein- und ausgecheckt. „Morgen haben Sie einen Arzttermin und Behandlungen, dann ein Treffen mit der Reiseleiterin“, erklärt sie zigmal. Gesprochen wird nur Deutsch.

„Im Schnitt sind ungefähr 90 Prozent unserer Gäste Deutsche“, schätzt Jerzy Fifielski, der das Haus leitet. Vor mehr als 100 Jahren wurde die Villa gebaut und schon damals als Erholungshaus konzipiert. In sozialistischen Zeiten ein Betriebserholungsheim, wurde das Irys nach der Wende verkauft, 2010 komplett renoviert. „Nach der Renovierung meldeten sich bei uns neue Reisebüros und -veranstalter aus Deutschland“, sagt Fifielski. Darauf hatte er gebaut, denn durchschnittliche polnische Arbeitnehmer können sich den Aufenthalt nicht leisten, polnische Rentner sind immer noch zu arm. „Natürlich gibt es viele Polen, die über genügend Geld verfügen“, sagt er. Doch die wollten lieber ein luxuriöses Hotel mit entsprechendem Wellnessangebot am Mittelmeer als eine traditionelle Kur an der Ostsee. Diese Art der Erholung hingegen sei wiederum bei deutschen Rentnern gefragt.

Das Irys fügt sich an der Promenade von Swinemünde in eine Reihe von villenähnlichen Gebäuden ein. Im gesamten Viertel stehen fast ausschließlich Kurhäuser dieser Art. Zwei „Klötze“, übriggebliebene Werksanatorien aus sozialistischen Zeiten, bilden die Ausnahme. Anders als in Kolberg oder Mielno, wo es große Hotelzentren gibt, ist das Kurviertel in Swinemünde etwas traditioneller. Im Sommer gibt es zahlreiche Freizeitangebote, im Winter ist es sehr ruhig.

„Drei Autostunden, und wir sind schon da“

Urlauber und Kurgäste legen Wert auf eine gute Infrastruktur. Ein Schwimmbad beispielsweise ist inzwischen ein Muss. Und so entstand in Swinemünde vor gut einem Jahr nah am Strand das erste Vier- Sterne-Kurhotel. Das Interferie Medical Spa gibt sich relativ elegant, die 600 Betten sollen vorwiegend mit deutschen Gästen gefüllt werden. Neben medizinischen Anwendungen wird auch Wellness in verschiedenen Variationen angeboten.

Neben den Kosten ist auch die Entfernung ein entscheidendes Kriterium, wenn die Wahl auf einen Kuraufenthalt in Polen fällt. Die meisten deutschen Kurgäste an der Ostsee kommen aus den östlichen und nördlichen Bundesländern. „Drei Autostunden, und wir sind schon da“, sagt der Berliner Fred Garbaczok. Zum achten Mal machen er und seine Frau in Swinemünde eine Kur. Immer im selben Hotel, immer im Winter. Außer ihnen gibt es eine Reihe von Stammgästen, einige kommen sogar zwei Mal im Jahr, meist im Herbst und Frühling. Im Sommer, sagt Fifielski, sei es hier vielen zu laut. „Dann ist Familienurlaub angesagt, es ist voll und entsprechend trubelig.“

Außerhalb der Hochsaison lassen sich Kuraufenthalte auch wesentlich günstiger gestalten. Seit sich auch deutsche Krankenkassen mit einem Zuschuss an Kuren im Ausland beteiligen, nutzt etwa jeder dritte Gast die Gelegenheit. Doch immer noch zahlen die meisten die Reise aus eigener Tasche. „Der bürokratische Weg über die Kassen ist den meisten zu beschwerlich“, sagen die Garbaczoks aus Berlin. „Und der Preis ist immer noch so günstig, dass wir uns die Reise einmal pro Jahr leisten können.“ „Leichtkur“ nennen sie den Aufenthalt: viele Massagen, Wassergymnastik, Entspannung und Spaziergänge. Mit der Qualität der Gesundheitsangebote sind die Eheleute auch zufrieden.

Den Ansturm der Ausländer auf die polnischen Kurorte und Kliniken haben auch die Behörden wahrgenommen. Der Gesundheitstourismus wurde von der Regierung zu einer der polnischen „Exportspezialitäten“ erklärt. Inzwischen hat sich die Gesundheitssparte zu einer wichtigen Stütze der polnischen Wirtschaft entwickelt. „Das Potenzial ist schon sehr groß“, sagt auch Jan Wawrzyniak, Leiter des Polnischen Fremdenverkehrsamtes in Berlin. „In dieser Sparte kann es Polen durchaus mit Tschechien und Ungarn aufnehmen.“ Die Erreichbarkeit sei zudem ein Argument, das besonders für Polen spreche. Dazu komme die Bandbreite der Indikationen. Es könnten praktisch alle Leiden behandelt werden, noch dazu in landschaftlich attraktiven Regionen wie an der See oder im Bergland.“

Reiseunternehmer Löwenberg sieht es nüchterner. „Mittlerweile gibt es ein Überangebot an Kurreisezielen in Polen“, sagt er. „Künftig werden sich vor allem Angebote durchsetzen, die bei der Qualität mithalten.“ Doch er schätzt, auch die Nachfrage nach „einfacheren Kur-Urlauben“ werde bleiben, angesichts der wirtschaftlichen Situation in Deutschland. Dass die Reisebusse weiterhin vor allem in Richtung polnische Ostsee fahren werden, daran hat er keinen Zweifel. Auch Busfahrerin Petra Franke bereitet sich auf weitere Reisen vor. Für die kommenden Wochen sind die Plätze schon ausgebucht.

Mehr im Internet unter: swinoujscie.pl/de

Agnieszka Hreczuk

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