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© dpa-Zentralbild

Lausitz: Wo Luther hohl ist

Die Lausitz bietet viel zum Schauen. 2500 Bilder hängen in Schloss Senftenberg, hunderte Büsten stehen im Kunstgussmuseum

Hier die „Junge Wendin“ in sorbischer Tracht, dort Eckhardt Böttgers düsteres „Tagebaurestloch“, dazwischen Harald Metzkes „Lausitzer Berge“ und das expressionistische „Empfindungsleben“ von Carl Lohse: Es sind schon starke Kontraste, die in Schloss Senftenberg aufeinanderprallen. Erst bei näherem Hinsehen wird offenbar, was die Gemälde verbindet. Es sind Werke von Künstlern, die entweder aus der Lausitz stammen, hier leben oder sich mit der Region beschäftigen. So fügt sich jedes Werk wie ein Mosaiksteinchen in die Kunstsammlung Lausitz, die aus rund 2500 Gemälden, Grafiken und Skulpturen besteht und Besuchern die Augen für den spannenden Wandel in der Region öffnet.

1985, als man mit dem Aufbau der Kollektion begann, wurden viele Werke noch aus Mitteln des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) oder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) angekauft. Mit der deutsch-deutschen Grenzöffnung konnten dann auch Stücke jener Künstler mit Lausitz-Bezug erworben werden, die – wie Gerhard Richter, Peter Herrmann oder Georg Baselitz – die DDR verlassen hatten oder deren Gemälde von der DDR abgelehnt wurden. „Damit wurde eine große Lücke in der Sammlung geschlossen“, erklärt Bernd Gork, der die Sammlung betreut, und freut sich, dass sie inzwischen auch eine ansehnliche Bleibe gefunden hat.

Neue Heimstatt ist Schloss Senftenberg, eine stattliche Renaissancefestung aus dem 16. Jahrhundert. Mit freundlich-heller Fassade ragt sie aus der grünen Parklandschaft des Städtchens hervor und lädt gleich auf mehreren Stockwerken zur Zeitreise ein. Neben der Kunstsammlung locken eine frühgeschichtliche Sammlung, ein historisches Klassenzimmer und eine sorbische Bauernstube. Besondere Attraktion: Im Untergeschoss dürfen die staunenden Besucher – mit Helmen ausgestattet – in einen vollständig erhaltenen Bergwerkstollen klettern.

Alles zusammen ergibt ein mehr oder weniger rundes Bild der Region, die sich wie kaum eine andere im Umbruch befindet und zurzeit als größte Landschaftsbaustelle Europas gilt. Jahrzehntelang bestimmte die Braunkohle den Alltag in der Lausitz. Jetzt werden die Tagebaugruben geflutet, die Region verwandelt sich in ein riesiges Seenland. Wie man sich das künftige Wassersport- und Freizeitparadies vorzustellen hat, führt nur ein paar Schritte vom Schloss der Senftenberger See eindrucksvoll vor: Bereits zu DDR-Zeiten mit Wasser gefüllt, hat er sich mit Stränden, Segelschulen und Campingplätzen zu einem beliebten Naherholungsgebiet der Brandenburger und Sachsen gemausert. Doch würde es keinen Sinn machen, dieses Modell auf alle übrigen Tagebaue zu übertragen.

Reizvoll wird das Lausitzer Seenland erst, wenn jedes Gewässer seine eigenen Attraktionen und seinen eigenen Charakter bekommt. Davon ist man jedenfalls bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) überzeugt, die Ideengeber für 25 Projekte war, die den Strukturwandel vorantreiben. Einbezogen wurden dabei auch Industriedenkmäler wie die Förderbrücke F60 oder das Erlebniskraftwerk Plessa, die inzwischen als Stationen der sogenannten Energie-Route zu wahren Besuchermagneten geworden sind.

Bevor man sich von Senftenberg aus auf den Weg macht, lohnt es, einen Blick auf die Gartenstadt Marga zu werfen, die im Senftenberger Stadtteil Brieske westlich des Zentrums liegt. Zwischen 1907 und 1915 von dem Dresdner Architekten Georg Heinsius von Mayenburg in Anlehnung an den Jugendstil für die Ilse-Bergbau-Actiengesellschaft entworfen, ist die Werkssiedlung die älteste Gartenstadt Deutschlands und ein eindrucksvolles Beispiel für das zukunftsweisende Bauen im vergangenen Jahrhundert. Charakteristisch ist der kreisförmige Grundriss mit großem Marktplatz, um den herum sich Kaufhaus, Schule, Kirche und das Gasthaus „Zur Kaiserkrone“ gruppieren. Nachdem das denkmalgeschützte Ensemble bereits dem Verfall preisgegeben war, erstrahlen die 72 Wohnhäuser heute wieder in neuem Glanz.

Von hier aus ist es nicht weit zu den 24 sogenannten Biotürmen, die bei Lauchhammer westlich von Senftenberg in den Himmel ragen. Was aussieht wie eine futuristische Burg, ist in Wirklichkeit Relikt einer riesigen Kokerei, in der bis in die neunziger Jahre aus Braunkohle hüttenfähiger Koks gemacht wurde. Wo früher die Öfen standen, bedeckt nun eine große Wiese das Areal. Doch die Türme, in denen einst die giftigen Abwässer geklärt wurden, sind stehen geblieben.

„Eigentlich hätte die Gemeinde sie am liebsten schnell entsorgt“, erinnert sich Geschäftsführer Wilken Straatmann. Doch dann konnte sie die hartnäckige Brandenburger Kulturministerin Johanna Wanka gerade noch rechtzeitig dafür gewinnen, sie unter Denkmalschutz zu stellen. Heute führen hier ehemalige Werktätige die Besucher in schwindelnde Höhe hinauf und lassen sie von modernen Aussichtskanzeln blicken.

Dabei ist zu erfahren, dass in Lauchhammer noch ein anderer, sehr viel älterer Industriezweig, die Gießerei, beheimatet ist: Nachdem es 1784 erstmals gelang, einen Hohlguss von einer antiken Figur herzustellen, wird hier bis heute die Tradition des Eisen- und Bronzegusses fortgeführt. Was im Lauf der Jahrzehnte so alles entstanden ist, lässt sich im Schaudepot des Kunstgussmuseums bewundern. Hier eine Büste vom Alten Fritz, dort Riesenköpfe von Marx und Lenin – und Luther. Der Reformator ist inzwischen zu einem der gefragtesten Exportartikel geworden.

Neben unvergänglichen Plastiken gehören aber auch rund 2800 historische Gips- und Metallmodelle zum Fundus der denkmalgeschützten Sammlung. „In Lauchhammer wurde und wird für die ganze Welt produziert“, sagt eine Mitarbeiterin stolz und fügt hinzu: „Das Interessante dabei ist, dass man an den jeweiligen Produkten den gesellschaftlichen Wandel ablesen kann.“ Erst waren Büsten des Alten Fritz gefragt, dann Arbeiterplastiken, die dem sozialistischen Ideal entsprechen. Und heute? Werden vermutlich bald Aufträge für Denkmäler des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama eingehen!

Marlies Gilsa

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