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Reise: Licht aus um zehn!

Rigide Regeln in Jugendherbergen waren die Norm. Ausstellung über die Nachkriegsjahre des DJH

Meist war es der einzige Ort, wo Reisende nach Kriegsende und in den frühen fünfziger Jahren eine Übernachtung bezahlen konnten. Ob jemand zu Fuß oder mit dem Fahrrad kam – Jung und Alt landeten abends in der Jugendherberge. Die Geschichte der Herbergen von 1945 bis 1955 ist nun in einer Ausstellung zu sehen: „Wiederaufbau: Zehn Jahre zwischen Kontinuität und Wandel“. Die von dem Historiker Eberhard Harms im Auftrag des Deutschen Jugendherbergswerks zusammengetragenen Rechercheergebnisse und Dokumente bilden eine Wanderausstellung, die vom 8. Juni an auch in Berlin Station macht.

„Die Übernachtung in der Jugendherberge war für viele Eltern ein Garant für die wohlbehütete Unterkunft der Heranwachsenden“, heißt es in der Ausstellung. Was damit gemeint sein könnte, deuten einige Plakate aus der damaligen Zeit an. Da stützt sich ein Strichmännchen auf einem Podest ab, auf dem in großen Lettern „Hausordnung“ steht. Mit dem Finger weist es auf eine Uhr, die gerade 10 anzeigt, womit wohl 22 Uhr gemeint war – Licht aus!

An Ge- und Verbotsschildern mangelte es in den Herbergen nicht. An Ordnung und Akkuratesse der Hausgäste wurde sogar per Reim appelliert: „Deckenfalten ist nicht schwer, gib nur acht und schau mal her: die lange Seite ... die halbe Seite ... noch mal falten ... dann so gehalten und aufs Bett ... ist das nicht nett? Wie fröhlich ist der Wandersmann, wenn er sein Bett gut bauen kann!“

Im Buch zur Ausstellung (Eberhard Harms: Jugendherbergen von 1945 bis 1955. Sutton-Verlag, 17,90 Euro), wird das Thema wesentlich ausführlicher behandelt, mit der Anmerkung: „Ein durch und durch reglementierter Herbergsalltag, autoritär auftretende Herbergseltern und deren fehlende Anpassung an das aktuelle Sozialverhalten der Jugend beschworen manchen Konflikt herauf.“

Autoritäre Herbergseltern, eine rigide Moral, feste Rollenzuweisungen – dies war in den Jugendherbergen nach dem Krieg offenbar gang und gäbe. Umso mehr verwundert, wie das Jugendherbergswerk eines der Ziele der Ausstellung beschreibt: „Die Jugendherbergen boten jungen Menschen die Möglichkeit, die engen, restaurativen Grenzen der fünfziger Jahre durch Fahrten und länderübergreifendes Reisen spielerisch aufzubrechen.“ Was damit gemeint sein könnte, deuten wenige Fotos an wie das aus dem Jahre 1948, auf dem sich deutsche und britische Jugendliche vor der von ihnen gemeinsam renovierten Jugendherberge Cuxhaven zum Gruppenbild postieren.

Interessant erscheint der unmittelbare Neubeginn im Jahre 1945, bei dem sich der Jugendherbergsverband von seiner jüngsten Vergangenheit unter Leitung der Hitlerjugend distanziert. So heißt es in einem Aufruf zur Neugründung: „Daß wesentlich belastete Herbergsväter nicht bleiben können, ist selbstverständlich. Abgesehen von besonders schweren Fällen sollte aber unbedingt von übereilten örtlichen Eingriffen abgesehen und die Entscheidung den Landesverbänden vorbehalten werden.“

Die Jugendherberge als Ort der politischen Agitation – darum geht es in einem einleitenden Kapitel zur Vorgeschichte während der Nazizeit, in der spätestens ab Kriegsbeginn 1939 die Jugendherberge das Wandern zur Wehrertüchtigung fördern sollte.

Der politische Einfluss spielt auch bei der Darstellung der Jugendherbergen in der DDR ab 1949 eine Rolle. Dazu findet sich ein Schreiben von Wilhelm Sticke, damals vermutlich Leiter der DJH Lübben: „Die Erziehungsarbeit des Leiters einer Jugendherberge richtet sich in besonderem Maße auf die patriotische Erziehung. Seine Aufgabe ist es, die Jugendlichen mit den Schönheiten und Eigenarten der Natur und Gesellschaft seines Heimatkreises und -bezirkes vertraut zu machen.“

Viele westdeutsche Herbergsväter – diese Bezeichnung gab es übrigens offiziell im Osten nicht – hätten ihre Aufgaben zur damaligen Zeit vermutlich ähnlich beschrieben. Mit folgender Definition, wie sie im „Wörterbuch zur sozialistischen Jugendpolitik“ zu finden ist, hätten sie wohl ihre Probleme gehabt: „Das Jugendherbergswesen fördert das Streben der Jugendlichen, die DDR näher kennenzulernen, die revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung zu erforschen und zu bewahren, sich mit den Errungenschaften des Sozialismus in der DDR vertraut zu machen und mit der Jugend der sozialistischen Bruderländer freundschaftlich zusammenzutreffen.“

So weit die Theorie. Wer die gezeigten Fotos betrachtet, die sich kaum von denen aus den West-Jugendherbergen unterscheiden – Mädchen kochen, Jungen schleppen Stühle und treiben Sport, Erwachsene halten Vorträge –, kann vermuten, dass es in den ostdeutschen Jugendherbergen in der Nachkriegszeit nicht viel anders zuging als im Westen.

Der Architektur ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Da werden die unterschiedlichen Baustile beschrieben – hier der Heimatstil in Form von Fachwerkbauten, dort das Neue Bauen mit flachen Dächern und viel Glas –, doch ein Hauptaspekt der Veränderung gegenüber früher wird nicht erwähnt: Nach 1945 sollen Jugendherbergen möglichst 120 Betten oder mehr haben, um Schulklassen aufnehmen zu können.

Im Jahre 2009 feiert das Deutsche Jugendherbergswerk sein 100-jähriges Jubiläum. Bis dahin will es seine Geschichte umfassend aufarbeiten. Hoffentlich mit weniger idyllischen Fotos und mehr substanziellem Text.

Die Ausstellung wird vom 8. Juni bis zum 21. August in der Jugendherberge Berlin-Wannsee, Badeweg 1, gezeigt.

Joachim Göres

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