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Kleines Eiland im großen Meer. In einer knappen halben Stunde hat man Dhuni Kolhu zu Fuß umrundet. Und trifft oft keinen Menschen unterwegs.

© Coco Palm Dhuni Kolhu

Malediven: Die Weisheit des Krebses

Die Malediven sind fragile Träume im Meer. Wie schützt man sie? Auf Dhuni Kholu lernen das auch Touristen.

Das Spiel am Strand der Malediveninsel Dhuni Kholu hat eine einfache Regel. Wer sich zuerst rührt, hat verloren. Anfangs gewann immer der Krebs. Er stellte sich einfach so lange tot, bis der Mensch die Geduld verlor – und weiterging. Nach zwei, drei Tagen kehrt sich die Sache um. Der Urlauber hat den Rhythmus der Insel angenommen. Zeit, die sonst so schnell verrinnt, scheint es hier im Überfluss zu geben. Länger und immer länger hält der Mensch still vor dem Krebs. So lange, bis das Tier sich regt, um zu schauen, ob der Zweibeiner noch da sein könnte. Gewonnen! Es sind diese kleinen Siege, die glücklich machen auf den Malediven.

Dhuni Kholu ist ein Eiland im Baa- Atoll, zu dem insgesamt 70 Mini-Inseln gehören. Sieben von ihnen sind sogenannte Hotelinseln, das heißt: ein Urlauberresort steht drauf. Auf Dhuni Kholu ist es das Coco Palm. In einer halben Stunde hat man das Eiland zu Fuß umrundet – und sieht währenddessen kaum einen anderen Menschen. Wahrscheinlich ist jetzt keine Saison. „Das denken viele“, sagt Gästebetreuerin Marie lächelnd, „aber wir sind nahezu ausgebucht.“ 98 palmgedeckte Villen gehören zu Coco Palm – und wo sind ihre Bewohner, jetzt um elf Uhr vormittags?

Wahrscheinlich sind sie im wahrsten Sinne des Wortes abgetaucht. Versunken in der lauwarmen Unterwasserwelt zwischen all den fantastisch-bunten Fischen. Deshalb vor allem kommen die Menschen doch her, viele von ihnen mit neu blitzenden Eheringen. Die Malediven sind eins der viel beschworenen Traumziele für Hochzeitsreisende. Raffaele Solferino, der Hotelmanager, kann zufrieden sein. Das Geschäft brummt. Doch der Italiener will nicht über „business“ reden, sondern über Ökologie. „Dhuni Kolhu ist ein Naturreservat, das wir schützen müssen“, sagt Solferino. Nicht, weil es gut klingt, sondern weil es ihm ernst ist. Der Mann ist Mitglied bei Greenpeace.

Warum es keinen Pool gibt

Manche Gäste müssen noch lernen, was Umweltschutz bedeutet. Gerade hat wieder einer gefragt, wo denn der Pool sei. „Wir haben keinen“, sagt Solferino. Warum nicht, begreift man bei einer „Eco-Tour“ hinter die Traumkulissen. Eine Meerwasserentsalzungsanlage ist zu besichtigen. Jede Hotelinsel hat eine. „200 000 Liter Wasser verbraucht unser Resort täglich“, erklärt Solferino. Mit einem Pool aber wären es 450 000 Liter. Das sei nicht vertretbar.

Wer als Angestellter nicht, wie die rund hundert im Resort beschäftigten Malediver täglich per Boot zur Arbeit kommt, wohnt etwas verborgen in der Mitte des Eilands. Viele Arbeitskräfte stammen aus Bangladesh und Indien. Auch der thailändische Koch hat hier seine Bleibe. „Mein Name ist sehr schwierig auszusprechen“, sagt er und lächelt: „Nennen Sie mich einfach wie alle: Mister Pong.“ Stolz zeigt er seinen Gemüse- und Kräutergarten, weist auf lange Bohnen, Zitronen- und Currybaumblätter, auf Okra, Tomaten und Rosmarin. „Sehen Sie hier, Seegras, wir nutzen es als Dünger“, erklärt Marie. Nichts solle angepflanzt werden, was nicht auf den Malediven heimisch ist, betont sie. Seesalat gibt es in Hülle und Fülle. Mister Pong richtet ihn fürs abendliche Büfett mit aromatisch-feuriger Sauce an.

Flechten fürs Dach. Auf Hithadoo hat diese Handwerkskunst Tradition.
Flechten fürs Dach. Auf Hithadoo hat diese Handwerkskunst Tradition.

© Hella Kaiser

Es gibt keine Plastikflaschen in Coco Palm, Teller und Becher für Picknickausflüge sind aus recyceltem Material, Duschgel und Shampoo werden in Steingutspendern nachgefüllt. Aufbereitetes, extra gefiltertes Seewasser wird den Gästen als Trinkwasser in wiederverwertbare Flaschen gefüllt. Frische Frucht- und Gemüsesäfte werden ausgeschenkt, aber „manch einer möchte eben auch eine Dose Bier oder Cola“, sagt Marie. Hunderte leere Dosen sehen wir, gepresst und zu dicken Bündeln verschnürt. Wein- und Mineralwasserflaschen sind zu Scherben zertrümmert und je nach Farbe in Kisten sortiert. Das alles wird dann nach Tilafushi verschifft, der sogenannten Müllinsel der Malediven.

Aus Kokosnüssen werden Lampenschalen

Im Resort gilt die Devise: Wiederverwenden, was irgend geht. Die Füllungen alter Matratzen sind noch nützlich, um die Sitzkissen der Strandliegen zu füllen. In der Schreinerei werden Liegebetten repariert. Aus Kokosnüssen werden Lampenschalen, abgestorbene Palmstängel werden in Scheiben geschnitten und dienen als Aschenbecher. Palmblätter, zu Kegeln gebunden, dienen als dekorative Hauben für Papierkörbe.

Marie deutet auf ein paar weiße Vögelchen, die munter zwischen den Bäumen herumflattern. „Wir haben sie auf einer Nachbarinsel eingefangen und hierhergebracht“, sagt sie. Inzwischen hätten sie sich gut eingewöhnt und schon Nachwuchs bekommen. Ein Glück, denn die Tiere sind nützlich. „Sie fressen viele Insekten weg“, freut sich Solferino. Man wolle so wenig Pestizide wie möglich einsetzen. „Aber was machen Sie, wenn sich ein Gast über eine Kakerlake beschwert“, sagt er seufzend. „Schnippen Sie sie einfach weg“, möchte er am liebsten sagen – und schickt dann eben doch jemanden mit der Sprühflasche hin.

Alles nachhaltig – die Papierkörbe haben Hauben aus Palmblättern.
Alles nachhaltig – die Papierkörbe haben Hauben aus Palmblättern.

© Hella Kaiser

Keine Kompromisse aber gibt es, wenn ein Gast zum Tauchen oder Schnorcheln in die Hanifaru-Bucht will, zu den Manta-Rochen und Walhaien. Seit kurzem ist das Gebiet streng geschützt. „Kein Resort auf den Baa-Atollen schickt noch Urlauber hin“, sagt Solferino zufrieden.

Die Einheimischen sollen mitverdienen am Tourismus, findet der Manager. Und geht mit gutem Beispiel voran. Regelmäßig lädt er Bewohner der Nachbarinseln ein, damit sie lernen, was man alles pflanzen kann. „Wir bekommen unsere Hühner gefroren aus Brasilien“, sagt er – und es gefällt ihm nicht. Hühnerfleisch könnte man auch regional beziehen. „Wenn eine Familie auf unserer Nachbarinsel nur zehn Hühner hält, sind das bei zehn Familien schon 100 Hühner“, rechnet er vor. Auch mehr Obst könnte auf den Malediven wachsen. Für Coco Palm und andere Resorts wird es aus dem rund eine Flugstunde entfernten Sri Lanka gebracht.

Platt wie ein Pfannkuchen

Während die Einheimischen mit ihren jeweils wenigen Quadratkilometern zurechtkommen müssen, wird bei den Hotelinseln kräftig angebaut. Besonders bei den neuen Anlagen ragen enorm lange Stege ins Meer, an deren Flügeln Villen auf Stelzen überm Wasser stehen. Im Coco Palm, 1998 eröffnet, sind die Ausmaße bescheidener, aber auch hier gibt es die sogenannten Lagunenvillen. Solferino mag sie nicht, denn „sie verändern die Strömung“. Die Inselwelt ist ohnehin verletzlich. An manchen Strandabschnitten von Dhuni Kholu werden schützende Sandsäcke verzurrt, täglich aufs Neue. In ein, zwei Strandvillen haben die Urlauber täglich einen Blick darauf und können sich ausmalen, wie verheerend sich ein Anstieg des Meeresspiegels auswirken würde. Dhuni Kolhu ist schließlich, wie alle übrigen rund 1200 Inselchen der Malediven, platt wie ein Pfannkuchen.

Coco Palm ist ein Luxusresort – eine künstliche Welt. Nach nur einer halben Bootsstunde kann man in der Wirklichkeit aussteigen, auf Hithadhoo. Yussuf Qasim, im langen, weißen Gewand, begrüßt die Besuchergruppe. Unlängst wurde er zum Bürgermeister gewählt – und er hat einiges vor. Ein Gästehaus wünscht er sich, mit fünf, sechs Zimmern vielleicht. „Die Ausländer können doch auch bei uns Urlaub machen“, sagt er. Und wenn sie ein Bier trinken wollen? Der Bürgermeister streicht sich bedächtig über seinen dichten grauen Vollbart und sagt: „Wer mal Alkohol trinken will, kann doch einen Ausflug zur Hotelinsel machen.“ Auf Hithadhoo wird er selbstverständlich nicht ausgeschenkt, die Malediven sind muslimisch. Die Frauen tragen Kopftücher, kein weibliches Wesen sitzt in der einzigen Kaffeebar im Ort. Zwei Moscheen gibt es auf der Insel. „Wir glauben an Allah“, sagt Yussuf Qasim, „und wir wollen nicht kämpfen. Wir wollen mit allen Menschen friedlich zusammenleben.“

Häuser aus Korallen

Schmal und ungeteert sind die Straßen auf Hithadhoo. Viele Häuser sind noch aus versteinerten Korallen gebaut, „das ist heute verboten“, sagt der Bürgermeister. Die Dächer sind oft aus Wellblech und nicht pittoresk mit Palmblättern gedeckt wie im Coco Palm Resort. „Aber die Menschen, die sie dort anfertigen und ausbessern, kommen von unserer Insel“, sagt Yussuf Qasim stolz.

Hier und da liegen Müllhaufen herum. Der Bürgermeister entschuldigt sich dafür. „Den Abfall sammeln wir an einigen Stellen zusammen – aber da bleibt er dann eine Weile liegen. Uns fehlt das Geld, ihn in kürzeren Abständen auf die Müllinsel bringen zu lassen.“ Auch das soll sich bald bessern, denn die 2008 gewählte Regierung unter Mohamed Nasheed nimmt die Hotelresorts stärker in die Pflicht. Steuern werden fällig, die Hotels sollen Kindergärten, Schulen und Hospitäler auf den Einheimischeninseln mitfinanzieren.

Manager Raffaele Solferino will keinen Pool im Resort.
Manager Raffaele Solferino will keinen Pool im Resort.

© Hella Kaiser

Sehr einfach leben die Menschen auf Hithadhoo – doch einen Fernseher besitzen fast alle. Im Coco Palm Resort gibt es keinen. Wer will auch vor der Glotze sitzen, wenn jeder Abend einen herrlichen Sonnenuntergang beschert und nachts die Sterne funkeln? Animation findet nicht statt in Coco Palm – und keiner scheint das zu vermissen. Ruhe hat Wert. Auch wenn einige länger brauchen, um das zu spüren. „Manche Gäste kommen täglich zu einer Anwendung“, wundert sich die balinesische Leiterin des offenen, palmbedeckten Spa-Bereichs. „Gut für unser Geschäft“, sagt sie, „aber falsch für den Menschen.“ Eine gute Massage berühre auch die Seele. „Man muss das wirken lassen.“

Einfach am Strand bleiben und aufs Meer schauen. Wie der Krebs.

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