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Reise: Mit Pulsuhr an der Küste

Nicht alle mögen auf See nur ruhen und faulenzen. Jogging- und Fitnesswochen sind gefragt

Die Enttäuschung ist groß, denn Ägypten fällt gleich mal flach. Ausgerechnet beim ersten Stopp müssen die Startnummern in der Kabine bleiben. Und die wenigsten wollen die Pyramiden sehen. Schließlich haben die rund 50 Teilnehmer eine Jogging-Kreuzfahrt auf der „Aida diva“ gebucht. Lauf-Event statt Landausflug. Zu dumm, dass zurzeit ein Wettrennen auf ägyptischem Boden nicht möglich ist.

So beginnt der Pyramiden-Tag um sieben Uhr auf Deck zwölf mit einem Trainingslauf, der gerade mal das Grundbedürfnis nach Bewegung befriedigt. Fast alle Teilnehmer sind Marathon-Männer oder -Frauen und anspruchsvollere Übungseinheiten gewohnt, als zwanzig Minuten im Gänsemarsch im Kreis zu laufen. Trotzdem sind alle hoch zufrieden, erst recht, weil am Nachmittag das Sportprogramm noch um Gymnastik und Volleyball erweitert wird. Und am Abend, als die zurückgekehrten Landausflügler in der Buffetschlange von den „fantastischen Pyramiden“ berichten, erzählen die Läufer begeistert von ihrem Tag auf dem Schiff.

Das Kulturinteresse der sportlichen Gruppe hält sich zweifelsohne in Grenzen. Das hat nichts mit dem jeweiligen Bildungsstand zu tun. Ärzte und Juristen gehören genauso zu den Läufern wie Arbeiter und Lkw-Fahrer. „Ich bin hier, weil ich joggen will. Jeden Tag eine neue Strecke, schönes Wetter, das ist doch toll“, sagt David aus Starnberg.

Beim ersten Lauf auf Zypern regnet es dann wie an einem Sturmtag in Hamburg. Bernd aus Lübbecke legt mit 31 Minuten die Bestzeit hin. St.-Pauli-Fan Uwe kommt 34 Minuten später ins Ziel, wird aber gefeiert, als hätte er einen Marathon in zweieinhalb Stunden absolviert. Das hält zum einen warm, während die trockene Wechselkleidung im Bus liegt, der die Läufer erst in einer Stunde wieder zum Schiff bringt. Zum anderen zeigt es aber auch: Jeder gehört dazu – auch wenn er hinterherläuft. Weil ohnehin schon alle pitschnass sind, nimmt die Gruppe anschließend ein gemeinsames Bad im nahen Meer. Die Triathleten nutzen die Gelegenheit gleich noch für ein kurzes Schwimmtraining. Als der Bus kommt, hat der Regen endlich aufgehört. So entscheidet sich eine kleine Gruppe zum Schiff zurückzujoggen. Elf Kilometer. Zum Auslaufen.

Von dem Elf-Kilometer-Erlebnis an der zypriotischen Küste erzählen die Sportler am Abend den „normalen“ Passagieren. Viele von ihnen hätten auch gern Sand zwischen den Zehen gespürt und die salzige Mittelmeerluft eingesogen. Aber der entsprechende Badeausflug wurde wegen des schlechten Wetters kurzfristig abgesagt. Einige sind auf dem Schiff geblieben, andere nach Nikosia gefahren, wo sie sich ständig unter Dächer retten mussten. Heute sind die Läufer keine Sonderlinge mehr, über die man in Ägypten noch den Kopf geschüttelt hat. Jetzt sind einige Gäste sogar neidisch auf den Erlebnisbonus der Sportgruppe.

Am nächsten Tag bleibt keiner mehr an Bord. Die Einfahrt in die Bucht von Marmaris hat selbst die Liegestuhldauernutzer aus ihrer Lethargie gerissen. Zuerst waren nur ganz schemenhaft die Zacken in der Ferne zu erkennen. Dann haben die Gebirge ihren Nebelmantel abgeworfen und ihr saftiges Grün präsentiert. Die gesamte Küste ist von Akazien, Pinien- und Orangenbäumen gesäumt. Als es immer enger wurde für den Ozeanriesen und er einen Zeitlupen-Slalom durch Dutzende bunte Segelboote hindurch zum schönen Hafen absolvieren musste, hat auch der letzte Zweifler entschieden, den Platz am Pool aufzugeben und „Kleopatras Insel“ zu erkunden oder „mit dem Ausflugsboot die Küste entlang“ zu fahren.

Für die Jogger stehen keine Varianten zur Wahl. Ihr Programm heißt „Küstenlauf“. Mal mit mehr, mal mit weniger Aussicht. Zum einen hängt es davon ab, wie viele Bäume gerade den Blick aufs Meer versperren, zum anderen liegt das an den sportlichen Ambitionen. Bernd hat seinen ersten Platz zu verteidigen, Peter und Jochen machen ihm diesen streitig. Der Großteil hat tatsächlich die Platzierung im Kopf, auch die Frauen. „Bis zum Start sind wir Hobbyläufer, aber dann wird es ernst“, erklärt Ute aus Essen. Aber es gibt genügend Genussläufer. Diese Bezeichnung trifft auf Nicole zu, die ausgerechnet die Freundin von Platz-1-Bernd ist. Am Abend allerdings ist sie der Star und nicht ihr Lebenspartner, der heute sogar unter einer halben Stunde geblieben ist. Die 33-Jährige zeigt den Landausflüglern die Fotos, die sie gemacht hat und erntet neidisches Staunen, dass sie so viele verschiedene Pflanzen und Küstenabschnitte vor die Linse bekommen hat. „Wir sehen vielleicht nicht die Top-Sehenswürdigkeiten, aber vielmehr von der Landschaft", erklärt Ulrike aus Oldenburg, die in Marmaris ebenfalls im Bummeltempo unterwegs war. Seit dem ersten Laufevent 2006 war sie jedes Jahr mit von der Partie.

Vor vier Jahren fiel auch der Startschuss für die Aida-Themenreisen, heute bietet das Unternehmen 15 bis 20 solcher Sonderfahrten rund ums Jahr an. Vor allem die Sportthemen sind der Renner: Das Soccercamp für Kinder, Golf oder eben Laufen kommen besonders gut an. Das Prinzip ist stets gleich: Eine kleine Gruppe mit Spezialinteressen zahlt einen Aufpreis und genießt Sonderbehandlung und -programm. Die Teilnehmer der Laufgruppe dürfen fast in jedem Hafen zuerst von Bord und steigen vor den Augen der überraschten „normalen“ Kreuzfahrer, die an der Reeling oder im Gang auf ihren Landausflug warten, in den Bus. Vom Abendprogramm der Sportler bekommen die übrigen Gäste gar nichts mit. Im Konferenzraum laufen Veranstaltungen zum Thema Ernährung und als Höhepunkt zeigt ein Mitarbeiter des betreuenden Sportgeschäfts einen Vortrag, wie er den Inkatrail im Laufschritt bewältigt hat.

Nicht alle Themenreisen sind Selbstläufer. Christopher Tieß, der „Manager Special Programs“ bei Aida, war begeistert von der ausbaldowerten Extrem- Jeep-Tour. „Aber die Nummer ging total in die Hose.“ Trotz allem will er an so gewagten Ideen auch in Zukunft festhalten. Geplant ist zum Beispiel „Skifahren auf den Dünen“ während der Dubai- Route. Nur eins wird er nicht hinbekommen, das weiß Tieß jetzt schon: ein Rennen rund um die ägyptischen Pyramiden. Aber die meisten Läufer wollen dieses Weltwunder ja ohnehin nicht sehen.

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