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Nach Fukushima: Ein Land unter Kontrolle

Nach der Katastrophe in Fukushima meiden Urlauber ganz Japan. Doch Angst ist unbegründet, erfuhren Besucher in Tokio.

Wer dieser Tage nach Japan reist, muss sich viele Fragen gefallen lassen. Ist das nicht zu gefährlich? Die Strahlung? Ist Tokio sicher? Was ist mit dem Essen und dem Trinkwasser? – Die dreifache Katastrophe von Fukushima am 11. März hat vieles verändert, auch das Reiseverhalten der Menschen, vor allem in Europa. Alle Reiseveranstalter hatten volle Auftragsbücher für dieses Jahr, dann kamen die Katastrophe und die Stornowelle. Aber es wurden nicht nur Japan-Reisen abgesagt, auch Reisen nach Korea, Thailand, China. Dass im 25. Jahr des Tschernobyl- Unglücks die Reaktorkatastrophe von Fukushima gerade in Deutschland auf sensible Reaktionen stößt, ist verständlich. Aber nun sind fünf Monate vergangen, Zeit, Bilanz zu ziehen.

Johannes Frangenberg von JF Tours in Solingen hat es besonders getroffen. Er rechnet in diesem Jahr mit Umsatzeinbußen von 18 Millionen Euro, sein Team aus etwa 40 Japanologen erarbeitet Japan-Reisen für große und kleine Veranstalter auf dem deutschen Markt. Es liegt natürlich in seinem Interesse, dass der Japan-Tourismus wieder angekurbelt wird, aber Frangenberg und andere Veranstalter sind nicht lebensmüde. Nur wegen des Geschäftes würde sich keiner in Gefahr begeben. Frangenberg hat Anfang des Monats mithilfe der Lufthansa und der japanischen Fluggesellschaft Ana sowie der Hotels Hyatt und Westin für seine Kunden eine Solidaritätsreise nach Tokio und Kioto organisiert, um zu zeigen, dass Japan sicher ist und die Japaner nicht vergessen sind.

„Es ist wichtig, dass wir dort Flagge gezeigt haben“, sagt Werner Sülberg, Bereichsleiter Unternehmensentwicklung Marktforschung Touristik der Rewe Group, zu der auch das Deutsche Reisebüro DER gehört. „Japan ist zwar ein kleines Zielgebiet im Vergleich zu Krisengebieten wie Tunesien und Ägypten, und wir haben auch schon Katastrophen in kleineren Zielgebieten gemeistert, etwa in Thailand oder auf den Malediven. Doch für Japan hat die Branche bisher wenig Solidarität gezeigt. Das ist unfair. Japan leidet mit den Hinterbliebenen der 20 000 Toten und Vermissten, das gerät gegenüber der Reaktorkatastrophe oft in Vergessenheit. Ich hoffe, dass es trotz dieser auf den Kopf gestellten Berichterstattung gelingt, dass auch die Reisebranche ihren Beitrag zum Wiederaufbau des Tourismus leistet. Man darf nicht vergessen – das Gebiet im Norden ist touristisch nicht bedeutend.“

Die öffentliche Wahrnehmung weit entfernt von Japan ist das eine, die gemessene Realität das andere. Täglich veröffentlicht die „Japan Times“ eine Strahlungskarte. Demnach hatte am 17. August die Präfektur Fukushima eine Strahlung von 2,56 Mikrosievert pro Stunde, Tokio hingegen eine Strahlung von 0,058 Mikrosievert. Ein Grund, nicht mehr nach Tokio zu reisen? Zum Vergleich: In Berlin wurde am 25. August eine Strahlung von 0,070–0,079 Mikrosievert gemessen – ohne jeden Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Berliner.

Also kann man doch ohne Bedenken nach Japan reisen? „Ich habe mir die Frage gar nicht gestellt“, gesteht Yvonne Gros, Produktmanagerin Asien/China von Dertour, als sie die Einladung zu Frangenbergs Reise bekam. „Die Lufthansa fliegt wieder im vollen Umfang nach Japan, und auch die deutschen Botschaftsangehörigen sind nach Tokio zurückgekehrt. Das waren wichtige vertrauensbildende Maßnahmen.“ Ein Problem sei die Kommunikation. „Dertour bietet nun den Reisebüros neutrale Informationen über die Lage in Japan an, um die vorhandenen Bedenken zu zerstreuen“, sagt Yvonne Gros. Dertour und Meier’s Weltreisen hatten ebenfalls ihr komplettes Sommergeschäft verloren. Das Interesse an Japan sei jedoch nach wie vor in den Reisebüros vorhanden. „Ich finde es wichtig, dass wir sagen können, man kann wieder reisen.“

Lesen Sie mehr über den Beistand für Japan auf Seite 2.

Saskia Wübben, Produktmanagerin bei RV Touristik, sieht es ähnlich. Auch für sie war die Rückkehr der Lufthansa zur Normalität das schlagende Argument. „Ich darf nicht krank zurückkommen. Ich muss hinter dem Produkt stehen, um es meinen Kunden anbieten zu können.“ Sie habe im übrigen Verwandtschaft in Kioto und Osaka und die hätte auch keine Bedenken geäußert. „Ich vertraue auch der Lebensmittelkontrolle der Japaner“, sagt Wolf-Rüdiger Uhlig, Geschäftsführer des Reiseveranstalters Poppe & Co in Mainz. „Man muss jetzt solidarisch sein, wir haben so gute Geschäfte gemacht, man darf die Japaner jetzt nicht hängen lassen.“

Beistand für Japan liest sich auch aus einem Bericht an den Deutschen Bundestag von Jürgen Trittin (Die Grünen), der nach seiner Rückkehr Ende Juni verkündete: „Überall im Lande finden Kontrollen der radioaktiven Belastungen von Luft, Wasser, Lebensmitteln und anderen Produkten statt. Es gibt hierüber eine transparente Diskussion und inzwischen auch eine einheitliche Methodik bei der Messung der Luft.“ Der Ex-Bundesumweltminister sieht daher „keinen Grund, von Reisen und Begegnungen in Japan abzuraten. Im Gegenteil, die Pflege politischer, kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen wird von den Menschen als gelebte Solidarität mit ihrem Schicksal empfunden.“

Bei einem gemeinsamen Mittagessen mit Vertretern japanischer Offizieller und Reiseveranstalter dankte Herr Iguchi von der Tokioter Regionalregierung für die Solidaritätsreise. „Ich kann Ihnen versichern, ein Besuch in Tokio bringt keine Probleme mit Wasser und Essen. Alle Züge fahren pünktlich, Tokio ist genauso sicher wie vor dem Unglück. Wir hoffen auf deutsche Touristen!“ Dietmar Kielnhofer, Direktor des Westin Hotels Tokio, sagte, die Reise zeige, dass das Vertrauen zurückkomme. Es gehe nicht um Konkurrenz, sondern darum, zu zeigen, dass Tokio eine sichere Destination sei.

Ganz spurlos ist die Katastrophe nicht an Tokio vorbeigegangen, die Klimaanlagen kühlen nicht mehr auf Kühlschrankniveau, was aber nicht von Nachteil ist, und die exzessive Beleuchtung der Hochhäuser entfällt, man spart Strom. Aber das tangiert den Reisenden nicht.

In Kioto, das südwestlich von Tokio liegt und damit noch weiter von Fukushima entfernt ist, hat man ebenfalls unter dem Ausbleiben der Touristen gelitten. „Wir sind mit zwei blauen Augen davongekommen“, erzählt Richard Suter, der Direktor des Traditionshotels Westin Miyako Kioto. „Die Buchungen ziehen langsam wieder an, die Reiseerfahrenen kommen wieder. Wir hoffen auf den April kommenden Jahres. Vereinzelt begrüßen wir schon jetzt wieder deutsche Gäste, doch vor allem die Asiaten sind bereits zurück.“

Unterstützung und Werbung kommen auch von unerwarteter Seite. Der Vizeabt des Zentempels Shunkoin in der Tempelstadt Miyoshin-ji in Kioto, Takafumi Kawakami, sagte bei einer Zeremonie für die 20 000 Opfer der Tsunami- Katastrophe, die Menschen in Japan hätten Angst. Man müsse aus den Katastrophen lernen und Konsequenzen ziehen. Der Wiederaufbau dauere bestimmt 25 Jahre. Dabei sei man auf Hilfe angewiesen. „Wenn Japaner Touristen sehen, fühlen sie sich wieder normal. Mit ihnen kehrt die Normalität zurück.“

Dazu will auch Bundespräsident Christian Wulff beitragen. Bei der Eröffnung der grandiosen Hokusai-Ausstellung in Berlin im Martin-Gropius-Bau am Donnerstag gab er bekannt, dass er im Oktober nach Japan reisen werde.

Weitere Informationen im Internet: http://www.jnto.go.jp/eq/eng/04_recovery.htm

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