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Zitadelle

© dpa

Iran: Das Wunder von Bam

Die iranische Lehmstadt wächst fünf Jahre nach dem verheerenden Erdbeben neu heran. Und es gibt viel Hoffnung.

Akbar Panjalizadeh hat durchgehalten und ist heute zuversichtlich. Gleich die ersten Stöße des Bebens hatten sein Hotel einstürzen lassen, mehrere Gäste und einen Freund begraben. Fünfzehn Sekunden später war Bam, die wundersame Oasenstadt am Rande der iranischen Dascht- e-Lut-Wüste, fast vollständig zerstört. Die Bilder gingen Ende Dezember 2003 um die Welt: Schreiende, verzweifelt grabende Menschen, halb erfrorene Kinder, die aus kollabierten Häusern gerettet werden, chaotische Hilfsversuche der heillos überforderten iranischen Regierung ... Akbar baute Zelte auf, mitten auf der Straße. Brachte Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen unter, so gut es eben ging. „31 000 Tote, mehr als die Hälfte der Bevölkerung“, berichtet er.

„Wir hatten unsere Angehörigen verloren, unsere Arbeit, unsere Häuser. Wir hatten nicht einmal Werkzeug und Baumaterial für einen Neuanfang, wir hatten nichts!“ Erst Monate später, als die Tage wieder etwas wärmer wurden, begannen die Menschen, von Hilfsorganisationen mit dem Nötigsten versorgt, mit dem Wiederaufbau ihrer Stadt. Und Akbar legte den Grundstein für sein neues Hotel.

Heute empfängt er seine Gäste auf einer schönen Terrasse mit Blick auf Dattelpalmen und Orangenbäume. Heißes Wasser kann er ihnen noch nicht bieten, aber hübsche, frisch geweißte Zimmer und sogar Internetzugang – „sobald mein Sohn das Modem repariert hat“. Es kommen wieder Besucher nach Bam, längst nicht so viele wie vor dem Beben, aber immerhin. Der Mythos zieht sie her, vor allem der Mythos von Arg-é Bam, der legendären Zitadelle. Vor dem Beben war sie das größte Lehmbauwerk der Welt. Was ist von ihr übrig?

Bam ist heute die größte Lehmbaustelle der Welt. Im April 2004 wurde die Stadt von der Unesco auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt – kurze Zeit später rückten die ersten Archäologen, Restauratoren, Architekten und Ingenieure an. Mehr als dreihundert Experten arbeiten mittlerweile in Bam. „Unser Ziel ist nicht, alles wieder aufzubauen wie vor dem Beben“, erläutert Samaneh, eine Restauratorin aus Teheran. Einige Gebäude – die Zitadelle, die Moschee, den Basar – werde man ungefähr in den alten Zustand bringen, vieles andere soll Ruine bleiben. „Das Beben ist Teil der Geschichte von Bam. Die können und wollen wir nicht auslöschen.“

Wer Bam besucht, erlebt Archäologie in Aktion: In Staub und glühender Hitze transportieren die Arbeiter Schutt ab, bauen Gerüste, formen Ziegel, während Experten aus dem In- und Ausland mit verschiedenen Lehmmischungen experimentieren oder die Provenienz einer Porzellanscherbe diskutieren. „China“, sagt Archäologin Zohreh strahlend und lässt die Glasur in der Sonne funkeln. „Im Mittelalter war Bam eine reiche Handelsstadt. Die haben ihr Porzellan in China gekauft.“ In einem kleinen Museum stellt Zohreh ihre Schätze aus, meist Scherben aus Glas, Keramik, Ton. Dem Laien sagen sie wenig, aber Zoreh kann anhand dieser Funde die Besiedlung der Oase rekonstruieren – bis in die Bronzezeit.

Überhaupt fällt auf: Der Wiederaufbau Bams liegt vor allem in der Verantwortung junger Frauen aus Teheran. Die Männer sind meist einfache Arbeiter aus Bam und den umliegenden Dörfern. Die Zitadellenstadt ist eben nicht nur Weltkulturerbe, sondern auch, in Zeiten von Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit, ein dringend nötiges Arbeitsbeschaffungsprogramm. Das größte der Region, aber nicht das einzige. Auch im neuen Teil der Stadt wird bis in die späten Abendstunden gehämmert, gesägt, gemörtelt und geschweißt, der Wiederaufbau ist noch längst nicht abgeschlossen. Überall entstehen neue Häuser, Werkstätten und Geschäfte, natürlich erdbebensicher. Und weil in vielen Familien die älteren Angehörigen fehlen, müssen auch die Kinder anpacken. Für den adretten neuen Unesco-Kinderspielplatz bleibt dann höchstens am Freitag Zeit – wenn ihre Väter in der prächtigen neuen Moschee beten.

„Für die Überlebenden ist heute vieles besser als vor dem Beben“, sagt Hossein, der Obsthändler. Die Welle der internationalen Hilfe erlebten die Bewohner als kleines Wunder – selbst Amerika, der „Große Satan“, war plötzlich mit Geld und Know-How zur Stelle. Und auch wenn ein beträchtlicher Teil der Spenden in den Taschen korrupter Bürokraten verschwand: Kanalisation, Strom- und Telefonnetz funktionieren heute besser als vor dem Beben, Krankenhaus und Schulen sind in weit besserem Zustand. „Ist natürlich nicht so romantisch für euch Touristen“, sagt Hossein lachend.

Das Erdbeben hat Familien ausgelöscht und kulturelles Erbe für immer vernichtet. Viele Menschen leiden bis heute an Einsamkeit und chronischer Angst. Drogenkonsum – vor allem Opium aus dem nahen Afghanistan – ist ein großes Problem. Aber das Erdbeben hat Bam eben auch ein Stück weit in die Moderne katapultiert – und deren Annehmlichkeiten will man hier so wenig missen wie im Rest der Welt. Eindrucksvollstes Symbol dieses Modernisierungsschubs: Das neue Fußballstadion. Ein Monster aus Stahl und Aluminium, gesponsert von Real Madrid. Wie ein havariertes Raumschiff liegt es zwischen Ruinen und Dattelpalmen und ist der Stolz der Stadt. Mag man im Rest Irans für die Bundesliga und vor allem Bayern München schwärmen – Bam steht geschlossen hinter den Königlichen von Real Madrid.

Kann sich die Katastrophe wiederholen? Das Erdbeben hatte auf der Richter-Skala die Stärke 6,8 – das ist viel, aber längst nicht iranischer Rekord. Haben die Bewohner keine Angst, ein neues, noch stärkeres Beben könnte die Arbeit der vergangenen fünf Jahre aufs Neue vernichten? „Unsere Häuser sind jetzt sicher“, gibt sich Akbar überzeugt. Kleinere Tests haben die Neubauten alle paar Monate zu bestehen, denn in Bam gehören Erdbeben fast zum Alltag. Aber die Lehmzitadelle? Stahlträger und Beton sind hier keine Option. Stattdessen soll spezieller Mörtel, senkrecht und waagerecht in die Lehmwände gegossen, zusätzliche Stabilität verleihen. Ob das im Ernstfall reicht, weiß niemand.

Der Wiederaufbau von Bam und der Zitadelle ist auch für die Experten Neuland. Fünf Jahre arbeiten Samaneh und Zohreh nun schon hier, weitere zehn Jahre hat die Unesco angesetzt. Doch schon jetzt ist abzusehen: Die Zeit wird nicht reichen. Die Vorstellung, ein neues Beben könnte die Arbeit von fünfzehn Jahren binnen Sekunden wieder in Schutt und Asche legen ... Die beiden Frauen schütteln den Gedanken ab wie einen bösen Traum: „Unsere Arbeit wird halten!“

Kai Hensel

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