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Zug durch den Orient: Nächster Halt: Märchenerzähler

Grandiose Landschaften, betörende Düfte, orientalische Speisen: Eine Zugfahrt von Damaskus nach Istanbul berührt alle Sinne

Düfte von Kardamom, Pfeffer, Minze, Kamille, Rosenöl und Olivenseifen durchströmen die Nase. Es riecht betörend. Mahmood ist Gewürzhändler im größten Suq der Welt, in Aleppo in Nordsyrien. Alle verwinkelten Gassen zusammengezählt, ist der Basar elf Kilometer lang. Mahmood betreibt das Geschäft in der dritten Generation. „Jeden Tag habe ich zwölf Stunden lang geöffnet“, erzählt er den Reisenden, die mit der Bagdadbahn eingetroffen sind. „Die meisten Kunden sind Einheimische, aber auch der eine oder andere Tourist nimmt schon mal ein Stück Olivenseife mit nach Hause.“

In seinem wenige Quadratmeter großen Verkaufsraum bietet er neben Gewürzen und Tees pflanzliche Kosmetik und Arzneimittel an. Auf den ersten Blick ist der Basar ein Labyrinth aus Straßen, die keinen Anfang und kein Ende zu haben scheinen. In denen tiefverschleierte Frauen ihre täglichen Einkäufe erledigen und Touristen nach einem Schnäppchen oder Souvenir Ausschau halten. Auf den zweiten Blick erkennt man doch eine gewisse Struktur. So gibt es einen Gang, in dem nur Kleidung angeboten wird, in einem anderen nur Seide oder Wolle, im nächsten sind es Teppiche, und im übernächsten wird mit Küchengeschirr gehandelt. Ein paar Reihen weiter im Suq as Sagha, dem Goldmarkt, versucht Ahmed, der Goldschmied, Ketten, Armbänder und Ringe in perfektem Deutsch an die Frau zu bringen. Sein Bruder wohne in Aachen, und er habe viele Bekannte in Deutschland, so habe er die Sprache gelernt, sagt er. Aufdringlich ist keiner der Händler, und so kann man unbekümmert durch die Gassen schlendern.

Ganz ähnlich geht es im Suq al Hamidiyeh in Damaskus zu. In der 3,8-Millionen-Metropole startete vor einer Woche die Sonderzugreise quer durch Syrien, die zwölf Tage später in Istanbul endet. Damaskus, eine Stadt mit chaotischem Autoverkehr, hoher Luftverschmutzung, vielen unfertigen oder verfallenen Häusern und Menschenmassen, die sich durch die Straßen der Altstadt schieben. Eine Stadt, die bei Nacht erst schön wird. Wenn man auf dem Aussichtsberg Qassioun in der Abenddämmerung beginnt, die grün-weißen Punkte zu zählen und irgendwann aufgibt. Jeder Punkt ist eine Moschee. „800 sollen es sein“, sagt Reiseleiter Samer. Die warme Luft flirrt, und von überall her schallt der Ruf der Muezzins, die die Gläubigen zum Gebet rufen. Auch in die Große oder Omaijaden-Moschee. Ein Ort der Toleranz und Herzlichkeit, an dem sich Muslime und Andersgläubige drängen.

Vom Vorortbahnhof Kadam geht es auf die 3100 Kilometer lange Strecke nach Istanbul. Luxus wie im legendären OrientExpress hat diese Bahn nicht zu bieten. Aus dem sächsischen Görlitz stammen die nüchtern wirkenden 80er-Jahre-Waggons. Jedes Abteil ist mit einem Doppelstockbett und einem kleinen Waschbecken ausgestattet. Toilette und Latrine befinden sich am Ende eines jeden Wagens – das ist auch für Eisenbahnromantiker gewöhnungsbedürftig. Aber während der zwölftägigen Reise wird ohnehin nur drei Mal im schaukelnden Zug übernachtet. In allen anderen Nächten kann man sich in ruhigen Hotelzimmern erholen.

Während des dreigängigen Mittagessens im Speisewagen gewöhnen sich die 84 Gäste aus Westeuropa langsam an das Rattern und Schwanken der Waggons. Was Zugkoch Khalid auftischt, verwöhnt durchaus den Gaumen: Maklube, ein Gericht aus Lamm, Reis, Auberginen, Mandeln und Pinienkernen, dazu Humos (Kichererbsenpüree) und als Dessert Mabrume (Pistaziengebäck).

Schon erreicht der Zug Hama. Bei einem Bummel durch die Altstadt kann man die größten Wasserräder der Welt, die Norias, bestaunen. Seit Jahrhunderten schöpfen sie das Wasser des Orontes in höher gelegene Kanäle, um Gärten zu bewässern. Ihr lautes Ächzen gehört zur vertrauten Geräuschkulisse der Stadt.

Weiter rumpelt die Bahn gen Osten. Hinter den Hochhausbauten der Industriestadt Homs geht die Steppe allmählich in die Wüste über. Wie eine Fata Morgana taucht schließlich die Oasenstadt Palmyra auf. Auf halbem Wege zwischen Euphrat und Mittelmeer. Überreste von Tempeln, Kolonnaden und Peristylhäusern vermitteln einen Eindruck von einer einst blühenden Stadt des Altertums. Am Abend entführt Märchenerzähler Hassan im Beduinenzelt bei Hammelfleisch und orientalischer Musik in die Welt von 1001 Nacht.

Der Zug zuckelt quer durchs Land bis an die Mittelmeerküste nach Tartus. Der Boden wird fruchtbarer. Tomatenfelder und Olivenhaine verleihen der kargen Landschaft grüne Farbtupfer. Die Kreuzritterburg Krak des Chevaliers ist die interessanteste Sehenswürdigkeit auf diesem Streckenabschnitt. Erst ab Aleppo beginnt die Original-Bagdadbahn-Route, die von 1904 bis 1940 mit größtenteils deutscher Finanzierung und von deutschen Ingenieuren gebaut wurde. Sie verlief von Konstantinopel (Istanbul) bis nach Bagdad. Als Sultan Abdul Hamid II. Ende des 19. Jahrhunderts den Zusammenhalt seines Osmanischen Reiches schwinden sah, das damals bis zum Persischen Golf reichte, sollte diese Bahn seinem Machterhalt dienen. Aufgrund der politischen Unruhen in Irak wurde ein Großteil der Verbindung eingestellt.

Die Fahrt durch das Taurus-Gebirge gehört zum schönsten Teil der gesamten Strecke: zahlreiche Tunnel, enge Schluchten, immer wieder überraschende Ausblicke auf schneebedeckte Gipfel und auf die „Kilikische Pforte“, eine Verbindung zwischen dem anatolischen Hochland und dem Mittelmeer.

Eine wie von Geisterhand gezauberte Landschaft erwartet die Reisenden in Kappadokien. „Im Göreme-Tal hat man sich schon in früher Zeit die Frage gestellt, warum Häuser auf dem Boden bauen“, meint Murad, der türkische Reiseleiter, „wenn doch der Tuffstein es erlaubt, auch darunter zu leben.“ Ab dem 4. Jahrhundert nach Christus entstanden fast 200 unterirdische Städte als Fluchtburgen. Wind-, Regen- und Sonneneinwirkung haben aus dem Tuffstein bizarre Schluchten und Feenkamine geschaffen. Sie schillern im Lauf des Tages von hellgelb bis rosa.

Fast pünktlich erreicht der Zug die Endstation Haydarpascha auf der asiatischen Seite Istanbuls. Auch wenn der Große Basar längst eine Mischung aus traditionellem Handwerk und moderner Einkaufspassage ist, ein Hauch von Orient ist auch hier noch zu riechen und zu fühlen. Und nach einer nächtlichen Fahrt auf dem Bosporus glaubt ohnehin jeder, er habe es erlebt, das Märchen aus 1001 Nacht.

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