zum Hauptinhalt
Südseeträume können sich in in den Gewässern um Neukaledonien für Robinsone und – natürlich – Segler erfüllen.

© FVA Neukaledonien

Neukaledonien: Vermächtnis der guten Geister

Neukaledonien liegt am Ende der Welt, 1300 Kilometer vor Australien im Südpazifik. Die Bewohner lehren Respekt vor der Schöpfung.

Flauschige Polster aus weißem Moos breiten sich über das rot-schwarze Geröll, die gelben Kolben der Zahnbürstenblume bringen etwas Farbe ins Grau-Grün, eine Kandelaber-Araukarie trotzt majestätisch dem Wind. Wandern am Pic de Pines im Süden Neukaledoniens – das heißt so viel wie: unterwegs zu sein in Saurierland. Vor mehr als 80 Millionen Jahren gehörte die Insel zum Superkontinent Gondwana, ehe er auseinanderdriftete. Ein Teil der Vegetation hat sich noch erhalten – von rund 3200 endemischen Pflanzenarten ist die Rede. Kein Wunder, dass die BBC die Macchia aus ledrigen Blättern, grünen Lanzetten und eingestaubten Rosetten als Kulisse für eine ihrer Urzeit-Dokumentationen wählte. Die Inselgruppe Neukaledonien liegt etwa 1500 Kilometer östlich von Australien im Südpazifik.

Die Hauptinsel Grande Terre ist 400 Kilometer lang und bis zu 70 Kilometer breit. Die 250 000 Einwohner stammen zum einen von weißen Siedlern und Sträflingen ab, zum anderen von melanesischen Ureinwohnern, die sich selbst Kanaken nennen. Zwischen diese Gruppen aber hat sich so einiges gemischt: Malaiische Wangenknochen, polynesische Pausbacken, olivfarbene Tahitihaut, walisische Quadratschädel und Kräuselhaar aus Vanuatu.

Etwa 100 000 Touristen kommen jedes Jahr – die meisten natürlich des Wassers wegen: Direkt vor der Haustür erstreckt sich das mit 1600 Kilometer Länge zweitgrößte Korallenriff der Erde. Im eleganten Segelhafen der französisch geprägten Hauptstadt Nouméa treffen sich Jachten aus aller Welt. Die Strände schließlich taugen als Vorlage für jedes Hochglanzmagazin: Wiegende Palmen umschließen sanft geschwungen Sandbuchten, über das türkisfarbene Wasser gleitet ein Kanu.

Jeder Teil Neukaledoniens weist seine Besonderheiten auf: Über die sonnenverbrannten Savannen des Westens ziehen große Kuh- und Pferdeherden, und französischstämmige Cowboys purzeln bei den Rodeos vom Pferd wie ihre Kollegen in Arizona. Auf der Ile des Pins finden sich Zeugnisse einer schmerzhaften Vergangenheit: Die von Grün überwucherte Gefängnisanlage von Ouro erinnert an die 3000 Pariser Kommunarden, die nach dem Aufstand 1871 auf die Insel gebracht wurden. Den Nationalvogel schließlich, den Cagou, erlebt man am ehesten in einem der Naturparks.

Unter Riesenfarnen spielt der Ranger den eigenartigen Schrei vom Band ab, bei dem der Vogel zu kläffen beginnt. Und plötzlich bricht ein hühnergroßer, grau- weißer Irrwisch aus dem Wald, rast kopfnickend wie ein zornbebender Louis de Funès auf den Weg – und ist schon wieder im Unterholz verschwunden. Bisher verdient an dieser aufregenden Vielfalt vor allem der Süden des Landes. Jetzt will der Norden sich anschließen – allerdings mit einer etwas anderen Art von Tourismus.

Mitten im Wald stehen Taropflanzen in roter Erde

Frankophil. Die Kanaken haben einen großen Respekt vor ihrer Kultur, ihrem Land und seinen Früchten. Das wollen sie auch ihren Gästen vermitteln.
Frankophil. Die Kanaken haben einen großen Respekt vor ihrer Kultur, ihrem Land und seinen Früchten. Das wollen sie auch ihren Gästen vermitteln.

© Bildagentur Huber/PictureFinders

Hélèn Nymbaye hat sich heute sehr fein gemacht, ins krause Haar sind rote Federn geflochten. Vorsichtig schlägt sie die Blätter über der Blechschüssel zurück. Ein erdig-süßer Duft steigt auf, gelbe Bananen, weiße Scheiben von Yams und Stücke von Maiskolben schwimmen in einer Soße aus Kokosmilch. Der gegrillte Fisch dazu liegt in Plastikschalen daneben. Während die Besucher die Bounga verzehren, das traditionelle Gericht aus dem Erdofen, erzählt Hélène über das Leben im Tchamba-Stamm, die Rolle des Chefs, die Arbeit, die Kirche und die Rituale, die das Ganze zusammenhalten. „Ich bin Kanak mit Leib und Seele“, sagt sie. „Ich habe großen Respekt vor meinem Volk und meiner Heimat.“

Nach dem Essen geht es aufs Feld. Auf einem Platz mitten im Wald stehen Taropflanzen in roter Erde, Kürbisse suchen Schatten unterm Blätterdach. Vorsichtig flicht Hélène lange Ranken um Holzstangen: Je fester der Halt, den die Triebe der Yamswurzeln finden, desto prächtiger entwickeln sich die unterirdischen Keulen. Eine Lektion in Landwirtschaft als Unterhaltungsprogramm für Touristen – macht das Sinn?

Welche Bedeutung Pflanzen im Leben der Kanaken einnehmen, erschließt erst ein Besuch im Tjibaou-Kulturzentrum in Nouméa. Wie halbfertige Flechtkörbe reihen sich zehn Gebäude aneinander, Symbole melanesischer Grashütten. Der Kanak-Weg zeigt die Menschwerdung: Erst als der erste Kanak vom guten Geist erklärt bekommt, wie er Yams und Taro nutzen kann, wird er sesshaft auf der Erde. Kein Wunder, dass die Kanaken 72 Namen kennen für die Knolle. Und nicht nur Gemüse findet seinen Platz im spirituellen Universum: Der Banyanbaum steht für die Einheit der Stämme. Buntnesseln schützen gegen den Tod. Im Wind in den Ästen der Kasuarine vernimmt man die Stimmen der Ahnen.

Der Norden ist wild und schön und aufregend. Dicht von Regenwald überzogen sind die steil zum Meer abfallenden Felsen, die kleinen Dörfer wirken wie hineingeschnitten. Gleich hinter dem letzten Haus explodiert das Grün. Lianen, Bromelien und Niaouli-Bäume ranken ineinander. Palmen spreizen ihre Wurzeln wie umgedrehtes Regenschirmgestänge, die feingezackten Säbel der Pandanusblätter ragen über den Weg. Und rötlich-braun, wie ein kleiner Lampion, sitzt an einer Pflanze ein drei Zentimeter hoher Zylinder. Die „Gourde des Voyageurs“, des Reisenden Trinkflasche, lockt Insekten mit einem kühlen Trunk – und verdaut sie anschließend genüsslich.

Der Küste vorgelagert wie eine düstere Geisterburg sind die messerscharfen Grate der Felsen von Linderalique. Seepferdchen, Elefanten, Löwen und einen schlafenden Mann entdeckt Jean Houala, wenn er mit seinen Gästen im Schlauchboot an den zerfressenen Wänden entlangtuckert. Die „Henne“ und die „Sphinx“, die unbeweglich über dem Wasser brüten, schützen die Bewohner von Hienghène seit Jahrhunderten vor allem Bösen.

Und auch mit Südsee-Idylle, schön bis zur Schmerzgrenze, kann der Norden aufwarten: In der Schildkrötenbucht züngeln gertenschlanke Araukarien durcheinander. Der Entdecker James Cook verwechselte 1774 die struppigen Riesenwedel der „Pins Colonnaire“ mit dem Mastenwald einer Flotte, hielt sich zunächst respektvoll abseits und taufte, der grünen Hügel wegen, das neu entdeckte Ensemble „Neu-Kaledonien – Neu Schottland“.

Es ist ein abwechslungsreiches, von Bedeutung durchströmtes grünes Universum. Respekt vor diesem Land, Respekt vor seinen Früchten, seinen Bewohnern und ihrer Kultur – das ist es, was Hélène Nymbaye ihren Gästen vermitteln will.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false