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Abfahrt mit Päckchen. Der Sicherheitsrucksack ist Pflicht in Terrain, das nur per Hubschrauber erreichbar ist.

© Udo Bernhart, pa

Heliskiing in Kanada: Und dann den Wald hinunterstäuben

Wer einmal zum Heliskiing in Kanada war, schwelgt ein Leben lang in Erinnerungen. Doch der Preis für hüfthohen Pulverschnee ist auch extrem.

Roko erzählt beim Frühstück in der Bugaboo-Lodge eine Geschichte. Roko Koell, Bergführer, Heli-Guide, nach Kanada ausgewanderter Österreicher. Einmal habe er zwei Männer mit zum Klettern genommen. Beide Vegetarier. „Die hab’ ich so überanstrengt, am Abend haben die meine Wurstplatten weggeputzt. Das war’s dann mit dem Vegetarierdasein.“ Schallendes Gelächter. Solche Geschichten lieben Menschen, die Heliskiing buchen.

Koell sieht aus wie ein Hillbilly: ein Kleiderschrank von Kerl, trägt Schnauzer, Backenbart und ein John-Deere-Hemd mit Traktoren drauf. Und hat mehr auf dem Kasten, als er sich ansehen lassen will. Seit 25 Jahren trainiert er die Skiführer. Und während die Gäste morgens noch ihre vom Vortag geschundenen Knochen aus den Betten wälzen und im Gymnastiksaal ihre Aduktoren dehnen, sitzt Roko mit den anderen Guides längst im Besprechungszimmer.

Lodge-Manager Dave Cochrane sammelt täglich am Rechner Informationen von Forstbehörden, von 30 verschiedenen Wetterstationen zwischen Montana und Alaska, von allen touristischen Anbietern, von Catski bis Heliski. Dann kommen die Skiguides hereingeschlendert. Mit Kaffeepötten in der Hand reden sie mit Morgengrummelstimmen über die Abfahrten. Sie bringen kleine Bücher mit, in die sie tagsüber Notizen schreiben wie verliebte Teenager.

Heliskiing bedeutet nicht, auf irgendeinen Berg in der unermesslichen Weite Kanadas zu fliegen, um dann irgendwo abzufahren. Es gibt ausgewiesene Regionen, wie etwa die Berge um die Bugaboo Lodge, und dort wiederum bestimmte Abfahrten. „Bernardo? High Five? Groovy West? Airborne?“ Cochrane ruft eine Strecke nach der anderen auf, und nur wenn kein Einspruch erfolgt, gibt er die „runs“ für diesen Tag frei.

"Da war noch nie ein Mensch"

Vor genau 50 Jahren ging das los mit dem Heliskiing, aufgebaut von deutschen und österreichen Skipionieren. 1965 kam der Österreicher Hans Gmoser in British Columbia auf die Idee, statt mit Seilbahnen per Helikopter in den Tiefschnee zu gelangen. CMH nannte er seine Firma, Canadian Mountain Holidays. Und der Bad Homburger Pepi Erben gründete das Reiseunternehmen Aeroski, das schon 1967 Skifahrer übers Wochenende nach Salzburg flog. Seit 1975 organisiert Aeroski Flüge nach Kanada.

Skiguide Bob Geber aus Lauf an der Pegnitz, heute 80 Jahre alt, bekommt leuchtende Augen, wenn er an die Anfänge denkt. „Wir erkundeten das Gelände ja erst. Du steigst auf einem Gipfel aus dem Helikopter, und du weißt: Da war noch nie ein Mensch. Dann runter über Klippen, Felsen, Abhänge – dieses Gefühl war gewaltig.“

Wenn seine Eltern an der Küste gelebt hätten, sagt Geber, dann wäre er vielleicht Segler geworden. „Aber so waren es halt die Berge, die sind für mich Heimat, wo auch immer auf der Welt.“ 1957 war er zum Englischlernen nach Banff gekommen. Seine Eltern zahlten ihm auch noch ein zweites Jahr. „Als ich noch mal verlängern wollte, hat mein Vater geschrieben, ‚ja bist du denn so deppert, dass du kein Englisch lernen kannst?‘ “

10 000 Euro die Woche ist verdammt viel Geld

Geber traf bald darauf den CMH-Gründer Hans Gmoser und führte ab 1965 Skitouren am Rogers Pass – und blieb 44 Jahre dabei. Fast 30 Jahre lang hat er in den Bugaboos geführt, einem hochalpin anmutendem Gebiet mit Granitzacken und langen Waldabfahrten. Der große Mann ist eine sportliche Erscheinung und so ganz mag er es noch nicht wahrhaben, dass er mit 77 in Pension gegangen ist. Freiwillig. Weil er fand, dass er den schnellsten Skifahrern nichts mehr vormachen konnte.

In den ersten Jahren reisten die Gäste aus den USA an, „dann kamen Deutsche und Schweizer, und schließlich aus der ganzen Welt“. Frauen waren anfangs kaum dabei, kamen später mit ihren Männern, „und ab den 80er Jahren alleine“. Heute, so Geber, „sind die Reisen im Vergleich viel teurer, weil der Spritpreis so gestiegen ist. Das können sich wirklich nur Wohlhabende leisten. 10 000 Euro die Woche, das ist schon verdammt viel Geld.“

Dabei sieht es in der Bugaboo Lodge nicht aus wie in Hotels gehobener Preiskategorien, sie erinnert eher an ein Skilager. Am Frühstückstisch sitzen Männer, die seit 15 Jahren jeden Winter kommen, die Sätze sagen wie: „Weißt du noch, damals in den Adamants?!“ – „Nein, das war doch im Jahr vorher, in den Bobby Burns.“ Beides Heliski-Regionen. Die davon erzählen, dass sie ihre Kinder ins Chalet in der Schweiz einladen. Die 50 Skitage im Winter verbringen. Die sogar hier über Börsenkurse reden. „Krise hin oder her: Die reichen Leut’ sterben nicht aus“, sagt Geber.

Umweltfragen sind inzwischen ein großes Thema

Skiguide Bob Geber
Skiguide Bob Geber

© Barbara Schaefer

Jede der zehn CMH-Chopper verbraucht 3000 Liter Kerosin am Tag. Das sind 280 000 Liter pro Saison. Wenn Kerosin versteuert werden sollte, „dann wird es halt noch teurer – und wir bleiben ausgebucht“. Rar sind Gäste wie Sigrun, Lehrerin aus Bayern, 48 Jahre alt. Sechs Jahre lang hat sie monatlich gespart, bis sie das Geld zusammenhatte. „Ich hab drei Kinder groß gezogen und mir jetzt meinen Jugendtraum vom Heliskiing erfüllt.“

Geber kommt immer noch privat in die Bugaboo-Lodge. Was hat sich geändert in den Jahren? „Sicherlich die Umweltfragen“, sagt Geber. Neue Waldabfahrten freizuholzen, gehe kaum noch. „Wenn ein Tier, ein Hirsch oder ein Vielfraß, auch nur in der Nähe eines Landeplatzes zu sehen ist, dann sperren wir die Abfahrt.“ Unlängst hat Erich Unterberger, Österreicher, Chef aller CMH-Bergführer, „einen Tag lang Rentierflechten gesammelt“. Das Woodland-Mountain-Caribou sei vom Aussterben bedroht, erzählt er, deshalb bringe man trächtige Kühe in ein umzäuntes Schutzgebiet. „Aber die müssen ja was fressen, deswegen diese Aktion. Ob das was wird – keine Ahnung, aber wir machen halt mit.“

Alle Gäste schnallen sich beim Skifahren einen kleinen orangefarbenen Rucksack um, mit Schaufel und Sonde sowie einem Lawinenpiepser. Ist ihm, Geber, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen auch Schlimmes passiert? Geber antwortet: „Wenn du dauernd im Regen bist, wirst du auch mal nass.“ Er hat zwei Helikopter-Unfälle überlebt. Als Guide „war das Wichtigste immer, dass ich am Abend wieder mit all meinen elf Leuten hier zur Türe der Lodge reinkam“.

Alle eint das breite Grinsen

Warum kommen die Menschen eigentlich hierher, fliegen um die halbe Welt für eine Woche Skifahren? Einer erzählt, er sei vor zehn Jahren von einem Freund überredet worden, „ich hab’ die erste Abfahrt mitgemacht, nach drei Schwüngen wusste ich: Das mach ich jetzt jeden Winter.“ Das kommt davon, wenn man nur einmal durch den Pulverschnee fährt, den „Bauder“, wie Roko sagt, und sich das anfühlt wie mit dem Finger durch Sahne zu ziehen. Wenn man durch den Wald hinunterstäubt und der Schnee bis zum Skihelm aufwirbelt. Wenn man wieder und wieder und wieder abfährt. Und dann noch einmal.

Die einen lieben die freien Hänge, das alpine Gelände, die andern die steilen Waldabfahrten. Alle eint das breite Grinsen, wenn sie nach den mörderisch anstrengenden Stunden zurückkommen in die Lodge. Mit dem Gang eines Cowboys nach einem langen Tag im Sattel. Roko Koell bewegt sich ohnehin mit diesem schwer-geschmeidigen Schritt durch die Lodge. Manchmal, so sagt er, merke er doch das Alter. „Aber dann dusche ich lange heiß, dann geht es wieder.“

Hat er denn immer noch Spaß daran, in einen Heli einzusteigen? Er scheint die Frage gar nicht zu verstehen. Natürlich, sagt Roko, der österreichische Hillbilly: „Am Schnitzel isst man sich ja auch nicht über.“ Will sagen: Mit dem Heliskiing aufhören? Da könnte ich ja gleich Vegetarier werden.

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