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Der unendliche Raum im „House on the Rock“ – völlig zweckfrei, „Dr. Evermor“, Schrotthändlerund-künstler aber eine Attraktion inWisconsin.

© Rainer Würth

Wisconsin: Stadt der sympathischen Spinner

In Madison, Wisconsin, sind die Werke eines großen Architekten, eines engagierten Baumeisters – und eines Schrotthändlers zu bewundern.

Ungezwungene Lebensart, liberaler Geist und ein starker Fokus auf Kultur – Madison, Wisconsin, überrascht. Hier im Mittleren Westen der USA geht es beschwingt und weltläufig zu. Zu diesem Ambiente tragen nicht nur Fußgängerzonen mit Galerien und Boutiquen oder die 50 000 Studenten bei, von denen viele nach ihrem Abschluss in der 200 000-Einwohner- Stadt bleiben. In Madison und Umgebung finden sich auch jene sympathischen „Spinner“ beziehungsweise ihre Spuren, die man in einer als eher konservativ bekannten Region so gar nicht vermutet.

Zum Beispiel Alex Jordan, der 1914 in Madison geboren wurde und zeitlebens dort blieb. Er war ein Träumer. Allerdings einer, der sich seinen Traum erfüllte. Ein Haus auf einer 60 Fuß hohen Felsnadel aus Sandstein inmitten der grünen Hügel von Wisconsin musste es sein. Als Kind hatte es ihm dieser Felsen schon angetan. Später war Alex geradezu besessen von der Idee, auf der Spitze des Deer Shelter Rock ein Haus zu bauen. Dass er keine Ahnung von Architektur oder Statik hatte, störte ihn nicht. Geld fehlte ihm auch. Er schlug sich als Taxifahrer durch, arbeitete während des Zweiten Weltkriegs in einer Munitionsfabrik. Auch dass ihm der Felsen überhaupt nicht gehörte, brachte Alex nicht von seiner Idee ab. Erst im Jahr 1956 kaufte er das darum herum liegende Farmgelände. Zu diesem Zeitpunkt standen bereits die Mauern seines Traumhauses auf der Felsnadel. Fünftausend Tonnen Steine und fünfhundert Tonnen Mörtel hatte er in den Jahren zuvor eigenhändig den Felsen hinauf geschleppt und verbaut. Hin und wieder halfen ihm Freunde. Erst 1957 leistete sich Alex seinen ersten Angestellten. Pläne gab es für den Bauherrn übrigens nicht. Er hatte alles im Kopf und baute einfach drauf los.

Das asiatisch anmutende, aus dreizehn Zimmern bestehende Haus auf dem Felsen in den grünen Hügeln von Wisconsin zog natürlich Schaulustige und Neugierige an. Anfangs bat Alex die Besucher einfach herein und zeigte ihnen sein Reich. Ende der fünfziger Jahre begann er, Eintritt zu verlangen – fünfzig Cents – und verwandelte sein „House on the Rock“ in eine Touristenattraktion. „Am ersten Tag hatte ich 15 Dollar in der Kasse“, erinnerte er sich mal. Im ersten Jahr nahm Alex mit seinem Haus rund 5000 Dollar ein. Ein Jahr später waren es bereits mehr als 34 000 Dollar.

Alex baute weiter. Da auf dem Felsen kein Platz mehr da, mauerte er einfach in die Landschaft hinaus, und in den Himmel. Was die Statik anging, ließ er sich allerdings für seinen „Infinity Room“, der sich ohne Stützen oder Säulen in 50 Meter Höhe rund 70 Meter weit über die Bäume streckt, beraten. Wenn man jedoch mit ein paar wohlgenährten amerikanischen Touristen durch die zum Ende hin immer schmaler werdende, lichtdurchflutete Röhre schreitet, beruhigt einen das nicht wirklich. Denn die futuristische Konstruktion, durch die man sich bewegt und die tatsächlich so wirkt, als sei sie endlos, schwankt gewaltig. Kurz vor seinem Tod 1989 verkaufte Alex sein „House on the Rock“ – die neuen Besitzer bauten weiter. Es ist heute die wohl berühmteste Touristenattraktion Wisconsins.

Auch ein anderer baute in den grünen Hügeln von Wisconsin. Doch im Gegensatz zu Jordan war er Architekt und konnte richtig planen – selbst wenn die Nachwelt oftmals nicht so richtig schlau daraus wird. Mit dem Anwesen Taliesin bei Spring Green, etwa 50 Kilometer westlich von Madison hatte 1911 der große Frank Lloyd Wright (Guggenheim Museum in New York City) eins seiner Studios gebaut. Hier wohnte er und hier unterrichtete er seine Studenten. „Wir wissen zum Teil nicht, welche Materialien er verbaut hat und werden auch aus seinen statischen Berechnungen nicht schlau“, sagt Mary Keiran Murphy von der Gesellschaft, die sich um die Erhaltung von Taliesin kümmert, und zeigt an die Decke. „Wir wissen zum Beispiel nicht, was dieses Dach hält, wie er das gemacht hat. Aber es hält“, versichert sie lachend, obwohl Taliesin 1914 und 1925 abbrannte und von Wright in Windeseile neu aufgebaut wurde. Eine Architektenschule ist Taliesin immer noch, kein Museum, wie man vielleicht vermuten könnte. Sämtliche Möbel, Teppiche, Bilder und Bücher und natürlich die Gebäude von Taliesin sind original und werden von den Studenten genutzt. Das Schlafzimmer von Wright ist heute ein Gästezimmer. Auch T. C. Boyle sei hier gewesen, als er für seinen Roman über Lloyd Wright – „Die Frauen“ – recherchiert habe, erzählt Mary.

Ähnlich skurril wie Alex Jordan ist die Kunstfigur „Dr. Evermor“, 1938 als Tom O. Every in Brooklyn, Wisconsin, geboren. Every hat viele Jahre lang ganze Maschinenparks mit seiner Firma entsorgt, Fabriken und Kraftwerke demontiert. „Dabei habe ich immer wieder ungewöhnliche Sachen gefunden“, sagt der Mann, der heute im Rollstuhl sitzt.

Wir befinden uns auf einem Gelände, dass er im Laufe der Jahre von einem Schrottplatz in einen „Art Park“ verwandelt hat, ein Freilichtmuseum und Atelier. Hier in der kleinen Ortschaft Sumpter, 60 Kilometer nördlich von Madison, arbeitet Every fünf Tage in der Woche an Skulpturen. Sein bevorzugtes Werkzeug ist der Schweißbrenner. Es müssen hunderte von Skulpturen sein – zum Teil haushohe Objekte, an denen Every mehrere Jahre gearbeitet hat –, meist skurrile, insektenartige Wesen, wie aus einer anderen Welt. wie viele Skulpturen hat er denn schon geschaffen? Every schaut sich um und zuckt mit den Schultern.

Zu Beginn sei es ihm mehr um das Thema Recycling gegangen, erzählt er. Er wollte die Sachen nicht einfach wegwerfen. „Mit der Zeit habe ich mehr und mehr die Energie dieser Dinge wahrgenommen, die immer noch in ihnen ist.“ Auch habe er großen Respekt vor den Ingenieurleistungen. „Heute nutze ich die Energie dieser Dinge und transformiere sie zu etwas Neuem“, sagt Tom Every. Sein Meisterstück, „Forevertron“: die angeblich weltweit größtes Schrottplastik mit Teilen einer Edison-Turbine von 1880 und der Dekontaminationskammer der „Apollo 11“. Mehr als 15 Meter hoch, 36,5 Meter breit und 300 Tonnen schwer. „Heute gibt’s einen Haufen Professoren, die durch die USA touren und jede Menge Geld damit verdienen, indem sie über Dr. Evermor philosophieren.“ Er lacht schallend. „So ein Scheiß, ich bin doch nur ein kleiner Schrotthändler aus Wisconsin.“

Rainer Würth

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