zum Hauptinhalt
„Staffa in Sicht!“, bekam schon Theodor Fontane zu hören, als er sich im Sommer 1858 wie heutige Kreuzfahrer dem Lavainselchen vor Schottland näherte, um die sagenumwobene Fingalshöhle zu besichtigen.

© Gerd W. Seidemann

Nordeuropa Kreuzfahrt: Neptun hilft in den Hafen

Auf der „Bremen“, unterwegs von Island bis zur Isle of Man, staunen die Reisenden – und werden schlau.

Die sportlich-schick gekleidete Frau hat eben an der Rezeption eingecheckt. Nun steht sie vorm Schwarzen Brett der „Bremen“, liest und nickt wissend. Sie studiert die Namen der Offiziere und Lektoren an Bord, die das Expeditionsschiff auf dieser Reise navigieren und begleiten werden. „Ach ja, den einen Lektor kenn’ ich, der weiß Bescheid und ist lustig“, sagt sie zu uns, die wir ebenfalls erste Orientierung suchen.

Aah ja. Stammgäste auf Schiffen von Hapag-Lloyd haben eben ihre Favoriten. Fundierte und dabei unterhaltsame Erläuterungen der Lektoren werden willkommen sein auf unserer Fahrt von Reykjavik zu den Färöer und den schottischen Hebriden, zur Isle of Man bis nach Dublin. Schließlich haben die 155 Passagiere keinen Spaßtörn auf einem Hully-Gully-Schiff gebucht, sondern eine Art Studienreise.

Sie interessieren sich vor allem für Kultur sowie Flora und Fauna im hohen Norden. Und fragen sich schon jetzt, wie wohl das Leben der Menschen auf den zum Teil sehr abgeschieden gelegenen Inselchen entlang der Route aussieht.

Man trifft sich wieder

Wie es sein muss, nach Sekt und Häppchen, Kaffee und Kuchen zur Begrüßung der neuen Passagiere, steht vor dem Ablegen die unvermeidliche Seenotrettungsübung an. Die fast durchweg schiffserfahrenen Gäste nutzen diesen Pflichtteil jeder Kreuzfahrt, bei dem sich alle Mitreisenden an Deck versammeln, gleich mal, um nach alten Bekannten Ausschau zu halten. „Ach, Herr Doktor, schön, dass Sie auch wieder mit dabei sind. Geht es Ihnen gut?“ – „Hallo, gnädige Frau, bestens, danke. Habe mir fast gedacht, Sie hier wiederzutreffen.“

Doch jetzt bittet Navigationsoffizier Christoph Schmidt nachdrücklich um Gehör. Er steht an einem der Rettungsboote. „Im Fall des Falles werden Sie alle Platz finden, keine Sorge. Proviant gibt es für sieben Tage, Signalgeber sind an Bord, ebenso Angelzeug.“ Na, wie beruhigend. „Und eine Toilette?“, tönt es etwas verzagt aus den Reihen der mit Schwimmwesten bewehrten Kreuzfahrer. „Gibt’s nicht, doch wir haben da so unsere Methoden…“

Ein leicht gequältes Raunen geht durch die Reihen. Weitere Erläuterungen auch zum Ausschiffen mit den Zodiacs (Schlauchbooten) folgen, dann sind die Gäste von der Pflicht befreit. Der Lotse ist bereits an Bord, die „Bremen“ legt um 19 Uhr ab. Kurs Heimaey, eine der Westmänner-Inseln südlich von Island, die am folgenden Morgen erreicht sein wird. Doch zunächst: Abendessen.

Die Einfahrt ist knifflig

Auf der „Bremen“ speisen alle Passagiere in einer Sitzung im Restaurant. Und der Gast wird „platziert“, jeder bekommt für die Dauer der Reise seinen festen Tisch. Gewiss, das ist immer ein kleines Lotteriespiel. Doch allem Anschein nach kommt es auf dieser Reise zu keinen größeren Rochaden wegen unüberbrückbarer Differenzen bei der allabendlichen Konversation zu erlesenen Menüfolgen oder extravaganter A-la-carte-Auswahl. Mit dem gemütlichen Bäckermeisterehepaar a. D. aus der Schweiz, dem lebenslustigen Pärchen im Vorruhestand aus Luxemburg und der alleinstehenden Pensionärin aus Hamburg hat sich an unserem Tisch eine gesellige Runde gefunden.

Die „frühen Vögel“ unter den Passagieren haben mal wieder die Nase vorn. Wer bereits um 6 Uhr an Deck ist, erlebt gleich mit, wie eng die Einfahrt in den Hafen von Heimaey auf der gleichnamigen, einzigen ständig bewohnten Insel der Westmänner-Gruppe ist. „Bei rauer See und Sturm wäre diese Passage zu riskant für unser Schiff“, erklärt Kapitän Jörn Gottschalk später. Auch wenn es nieselt, Neptun hat ein Einsehen, das Manöver gelingt.

Nach dem Frühstück rüsten sich die Gäste zu den Ausflügen. Das Reizwort des Tages: „Pompeji des Nordens“. Das wollen die meisten sehen. Wie sollte es auf einer zu Island gehörigen Insel anders sein: Vulkanismus spielt im Alltag der Menschen eine immerwährende Rolle.

"Pompei des Nordens" - das wirkt

Für die Einwohner von Heimaey insbesondere. Denn im Januar 1973 brach auf der Insel der Vulkan Eldfell aus. Alle 5000 Bewohner mussten evakuiert werden. Das Resultat des gut fünf Monate dauernden Hustenanfalls des Bergs: mehr als 100 von Lavamassen zerstörte Häuser und eine bis zu acht Meter dicke Ascheschicht auf großen Teilen der Ortschaft.

Viele, wenn auch nicht alle Insulaner kehrten zurück, packten an, gruben aus. Auch einige von Lava überrollte Häuser wurden teilweise freigelegt, wie Museumsstücke ausgestellt. Eine umstrittene Aktion, doch die Werbung mit „Pompeji des Nordens“ wirkt halt.

Die langsame Vorbeifahrt an der Vulkaninsel Surtsey, quasi der südlichste Punkt Islands, provoziert den Einsatz von Lektor Hajo Lauenstein. Der promovierte Bergbauingenieur und Vulkanismusexperte erläutert, dass dieser heute eineinhalb Quadratkilometer kleine Hühnerschiss im offenen Meer am 14. November 1963 durch einen „untermeerischen Vulkanausbruch“ entstanden sei. Die ursprüngliche Größe habe sich bereits halbiert und „in hundert Jahren ist die Insel vermutlich durch Wind und Wellen abgetragen“.

Wetter, Wetter, Schafe und Fisch

Klein und wendig: die „Bremen“
Klein und wendig: die „Bremen“

© Gerd W. Seidemann

Der lange Weg zu den Färöern beschert einen „Seetag“ und gibt den Passagieren Gelegenheit, sich mit dem vergleichsweise kleinen Schiff vertraut zu machen. Oder sie arbeiten das vorgeschlagene Tagesprogramm ab, mit Gymnastik, Spieletreffs oder bei diversen Vorträgen.

Land in Sicht! Auf Mykines, eine Außeninsel der Färöer, sind alle Reisenden gespannt. Gerade mal 18 Einwohner und 1200 Schafe sollen dort leben. Aber: „Keine Chance“, tönt es von der Brücke. „Der Schwell ist zu hoch für eine Anlandung.“ Schade, doch schon richten sich alle Augen gen Tórshavn, der Hauptstadt der Färöer.

Vier Themen beherrschen den Alltag der Färinger: Wetter, Wetter, Schafe und Fisch. Hauptstadt und -hafen Tórshavn lockt heute Morgen die Passagiere mit Sonnenschein von Bord. Die mit Grassoden gedeckten, ochsenblutroten Holzhäuser des 12 000-Einwohner-Städtchens leuchten wie bestellt. Das vergnügliche Spazieren ist jedoch nicht von Dauer: das Wetter. Es zieht sich zu.

Trotz dichten Nebels und Dauerniesels wollen wir wenigstens den kulturhistorisch bedeutendsten Ort der Färöer kurz besuchen: die Ruine der Magnuskathedrale aus dem 12. Jahrhundert im nahen Kirkjubøur. Und gleich daneben ein noch älteres Haus aus der Wikingerzeit, das in seiner Kargheit eindrucksvoll belegt, dass der Spaßfaktor im damaligen Alltag irgendwie stark begrenzt war.

Fischfang war nicht ihr Ding

„Genießen Sie das Leben!“ Mit dieser Ermunterung beschließt Kapitän Gottschalk alleweil seine Durchsagen über die Bordlautsprecher. Darin sehen die Passagiere auch heute kein Problem, zumal es flott in Richtung Schottland geht und vor der Ankunft auf Hirta, die zu den St. Kilda-Inseln gehört, noch diverse Mahlzeiten und Cocktails liegen.

Hirta. 2000 Jahre bewohnt, 1930 geräumt
Hirta. 2000 Jahre bewohnt, 1930 geräumt

© Gerd W. Seidemann

Nüchtern und bei Tageslicht von Bord aus betrachtet, ist Hirta eine Insel wie viele in nordischen Gewässern. Bei näherem Hinsehen an Land jedoch eröffnet sich eine absonderliche Geschichte. Nachweislich seit mehr als 2000 Jahren besiedelt, wurde Hirta 1930 auf behördlichen Beschluss geräumt, die etwa 100 Menschen aufs schottische Festland umgesiedelt. Ihre geduckten kleinen Feldsteinhäuser mit alten Namensschildern vor den Türen stehen jedoch wie einst im Schutz eines Bergrückens.

Ausgestellte Fotodokumente lassen erahnen, warum die von Seevögeln und Eiern lebenden Menschen – Fischfang war nicht ihr Ding – an Land geholt wurden: Das über Generationen abgeschottete Leben unter Wenigen bekam dem sich unweigerlich einstellenden Nachwuchs sichtlich nicht… Heute ist auf Hirta allein Militär stationiert.

Auch Theodor Fontane war hier

„Es war um die Mittagsstunde, und die Sonne lag leuchtend auf dem wenig bewegten Ozean, als es auf Deck hieß: ,Staffa in Sicht‘.“ Ja, auch Theodor Fontane war hier, bestaunte im Sommer 1858 die kleine Lavainsel („Jenseits des Tweed“), die nun die Gäste der „Bremen“ in Zodiacs umkreisen. Leider ist die See nicht so wenig bewegt wie bei Fontanes Reise, der Besuch der sagenhaften Fingalshöhle muss heute entfallen.

Wesentlich gastfreundlicher zeigt sich wenige Seemeilen weiter die Insel Iona, Teil der Inneren Hebriden. Auch hier landen die Passagiere – inzwischen routiniert – mit den Zodiacs an. Vor mehr als 1000 Jahren mussten sich die Insulaner der Angriffe von Wikingern erwehren, heute haben sich die gut 120 Einwohner mit ihren blitzeblanken Häuschen und Gärten allem Anschein nach bestens mit dem Leben (und dem Geld der Touristen) arrangiert.

Zwei kleine Hotels, diverse B & Bs und Hostels sowie ein Campingplatz, dazu zahlreiche Zeugnisse der schottischen Geschichte – fertig ist das Urlaubsrefugium. „Ruhig und gemütlich“, urteilen unsere Kreuzfahrer. Ja, auch weil größere Schiffe hier selten auftauchen…

"Schade, dass wir nur einen Tag haben"

Dröhnende Motoren hingegen auf der Isle of Man? Nein, nur Anfang Juni, wenn die legendären Motorradrennen stattfinden. Das Leben auf diesem Kuriosum in der Irischen See – weder Teil des Vereinigten Königreichs noch der EU – läuft in ruhigem Takt. Der Ruf als Steueroase und der Tourismus machen es möglich.

Isle of Man. Kuriosum in der Irischen See
Isle of Man. Kuriosum in der Irischen See

© Gerd W. Seidemann

Wer auf der Promenade der Hafenstadt Douglas spaziert, meint, den Wohlstand förmlich riechen zu können. Zu sehen ist er allemal, gut erkennbar an prächtigen viktorianischen Fassaden und viel gepflegtem Grün. Doch die Insel, in der Fläche gut halb so groß wie Berlin, hat viel mehr interessante Facetten.

Unsere Kreuzfahrer sind hin- und hergerissen: Ausflug mit der alten Schmalspurbahn zum Great Laxy Wheel, Europas größtem Wasserrad, das seit 1929 Bergwerksstollen leerpumpt? Bestens erhaltene mittelalterliche Burgen und Klöster besichtigen? Das Schweizer Bäckerehepaar entscheidet sich für Castle Town, wo sich die Sehenswürdigkeiten ballen.

„Schade, dass wir hier nur einen Tag haben“, sagt sie. Und er schiebt nach: „Noch mehr bedauere ich, dass wir morgen in Dublin nicht über Nacht bleiben. So einen Abend in den Pubs zu erleben, das wär’s gewesen!“ Wohl wahr, aber das wäre eine ganz andere Geschichte…

Zur Startseite