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Norditalien: Die Magie der Langsamkeit

Slowfood, Oldtimer, Rennmaschinen: Norditalien bringt Besucher auf den Geschmack. Ein Lamborghini kann auch hundert fahren

Ein Name wie ein langgezogener Blitz. Stanguellini. Was nach einer seltenen Nudelsorte oder einem exotischen Varietékünstler klingt, steht für Rennsportnostalgie und Pioniergeist. Das blaue, gezackte „S“ auf gelbem Grund: eine Legende. Stanguellini war einst die älteste Autofirma in der Region Modena-Bologna, der Heimat von Maserati, Ferrari, Lamborghini und der Ducati-Motorräder. Nirgendwo sonst findet sich solch eine nachbarschaftliche Versammlung von Luxusautoherstellern wie in der Emilia-Romagna, der nach der antiken römischen Landstraße benannten Provinz im reichen Nordosten Italiens.

„La Terra dei Motori“. Land der Motoren. Busseto und Parma prunken mit Giuseppe Verdi, dem Komponisten und Gutsherrn. Rund um Modena – von hier stammte auch Luciano Pavarotti – werden Autofestspiele gefeiert. Design und PS-Gewalt: Der Traum von atemraubender Beschleunigung, von unbegrenzter Geschwindigkeit findet ein Echo im Pathos, in der Todessehnsucht, im Freiheitsdrang der italienischen Oper.

Ursprünglich besaß die Familie Stanguellini ein Patent für Orchesterpauken – kein schlechter Vorlauf für die Autoproduktion, die um das Jahr 1900 begann. Bis in die späten Sechziger baute Stanguellini mit schwindender Fortune Sportwagen und Renngeschosse, deren Formschönheit und strenge Eleganz an Zeppeline oder Haifische erinnert. Die roten Oldtimer – weltweit gibt es noch 700 Exemplare – stehen heute in Privatsammlungen. Das Museum Stanguellini von Modena, das sich in der hinteren Halle eines Autosalons befindet, ist der letzte Boxenstopp. Ein Ort der Stille und Melancholie, wo die alten Kraftmaschinen wie gestrandete Meerestiere die Zeiten überdauern. Und welch ein Gegensatz zur dröhnenden, blitzenden, protzigen, videogestützten Disneyworld der Galleria Ferrari in Maranello!

Arturo Vicario liebt die Hightech-Fahrzeuge des 21. Jahrhunderts nicht. „Ich bin doch eher klein von Wuchs und sitze nicht gern hinter all diesen Armaturenbergen.“ Vicario, selbst ein gepflegter Oldtimer, betreut die Sammlung und die Werkstatt mit dem exklusiven Stanguellini-Ersatzteillager. Gelegentlich werden die kostbaren Spielzeuge – eine „1100 Barchetta“ aus den dreißiger Jahren kostet um die 200 000 Euro – für historische Rennen präpariert. Der berühmte Workshop erinnert an die Requisite eines Opernhauses.

Im Alter von 17 Jahren kam Vicario zu Fiat, sein Leben jedoch gehört dem Familienunternehmen, das so lange schon keine neuen Modelle mehr auf die Straße bringt. Seit 45 Jahren arbeitet er für Stanguellini, und wer ihn bei seinen futuristischen Artefakten von einst besucht, muss sich Zeit nehmen. Jeder Wagen hat seine Geschichte, und nach einem einstündigen Rundgang beginnt Arturo Vicario von vorn – Schneckenrennen der Erinnerung.

Es ist eine seltsame Magie um diese abgestellten Maschinen, die Zeit hat sie gnadenlos überholt, und was einmal pfeilschnell war, strahlt jetzt eine majestätische Ruhe aus.

Nächster Halt: Panini. Noch so ein Name, der nach Idolen, Weltklasse, Kindheit klingt. Die berühmten Fußballbildchen, natürlich. Panini ist ein weit verzweigtes Unternehmen, und einer der Senioren der Familie, Umberto Panini, hat sich im Lauf der Jahre eine spleenige Maserati-Sammlung zugelegt. Die blitzblanken, bejahrten Traumwagen stehen säuberlich aufgereiht in einer großen Halle auf dem Gelände der Käserei „Hombre“, einige Kilometer außerhalb von Modena. Panini gehört zu den größten Produzenten des Parmigiano-Reggiano, dessen Form und Größe auch an breite Rennreifen denken lassen.

Eine faszinierende Kombination: wie dicht in der Emilia Essen und Motoren beieinander liegen. Slow Food und schnelle Wagen. Very Slow Food und sehr schnelle Autos. Ein bis zwei Jahre reift und schwitzt der Parmesan in den Regalen, bis er verzehrt wird, beim Aceto Balsamico Tradizionale dauert der Prozess eine halbe Menschengeneration. Die Qualität der Produkte wird von Konsortien überwacht, mittelalterlich anmutenden Geheimbünden, die ihre strengen Gesetze tradieren und die historisch-politische Landkarte der Emilia-Romagna mit ihren familiären Stadtstaaten und kleinen Herzogtümern widerspiegeln.

Im flachen „Land der Motoren“ regiert kulinarische Langsamkeit, schließlich sammelt Umberto Panini nicht nur Maseratis, sondern auch antiquarische Landmaschinen. Der spanische Name des Käses – „Hombre“ – stammt aus Paninis Zeit in Lateinamerika.

Ist es Zufall, dass Ferruccio Lamborghini als Traktorenfabrikant begann, bevor er zu Beginn der sechziger Jahre – aus Ärger über die Arroganz und die lausige Kupplung von Ferrari, wie die Legende geht – seine Vision vom eigenen Sportwagen in die Realität umsetzte? All diese Orte sind nur einen Katzensprung voneinander entfernt, und auch bei Lamborghini sind die Modellnamen spanischer Herkunft. Gallardo, Murciélago – das leitet sich ab von Kampfstierrassen der iberischen Halbinsel. Lamborghinis Wahrzeichen zeigt einen Bullen mit zum Angriff gesenktem Kopf, Ferrari firmiert mit einem springenden Hengst, Maserati mit martialischem Dreizack.

Aber nicht nur Symbole und Geschichte verbinden die landwirtschaftlichen Spitzenprodukte mit den superflachen PS-Bomben. Es ist die aufwändige, kunstvolle und im Grunde anachronistische Produktionsweise. Bei Lamborghini in Sant’Agata – man kann die Fabrik nach Anmeldung besichtigen – wird von Hand gefertigt. Kein elektronisches Fließband, die entspannte Atmosphäre in der Werkshalle erinnert an einen Manufakturbetrieb, die meisten Einzelteile werden an Ort und Stelle hergestellt. Was den Preis eines Lamborghini erklärt (es beginnt bei knapp 200 000 Euro) und die kleine Stückzahl: zehn Wagen pro Tag.

Eine Probefahrt im orangefarbenen Gallardo bestätigt die nun schon nicht mehr so überraschende Beobachtung der kunstfertigen Langsamkeit in dieser zutiefst europäischen Kulturlandschaft. Weil die Firma Lamborghini keine Test- und Rennstrecke besitzt, tuckert man mit 530 PS und maximal 100 Stundenkilometern durch Felder, Pappelalleen, pittoreske Dörfer, im Windschatten landwirtschaftlicher Nutzfahrzeuge, die jedem Überholversuch spotten. Das ist der wahre Luxus der Zivilisiertheit. Das Wissen um die schiere Möglichkeit, die schlafende Urgewalt. Für den Ausritt bekommt man – im Grunde überflüssig – ein „Road Book“ mit exakten Angaben über Radarfallen.

Ein paar Kilometer weiter nördlich, in der Po-Ebene bei Zibello, enden die Straßen am Deich. Pfauen und Gänse bewachen das Anwesen von Massimo und Luciano Spigaroli, den Antica Corte Pallavicini, ein renoviertes Kastell aus dem 14. Jahrhundert. Vor bald zwanzig Jahren kauften die Spigaroli die Ruine jenes Gutshofs, den ihr Urgroßvater im 19. Jahrhundert als Pächter bewirtschaftet hatte. Damals zählte Giuselle Verdi zu den Kunden der Spigaroli.

Ihre Philosophie wirkt wie die Apotheose der entschleunigten Gastronomie in der Emilia. Herzstück ist der Culatello, ein nur hier in ein paar Dörfern produzierter Schinken, den mit dem Prosciutto di Parma zu verwechseln ein Sakrileg darstellt. Haselnuss- und Vanille-Noten, ein wenig Unterholz im Abgang: Geschmacksbeschreibungen des Culatello erinnern an selige Rotweinpoesie, und von da ist es wieder nicht weit zu den lyrischen Überschlägen, die sich Aficionados für hochgezüchtete Motoren mit ihren Soundboxen einfallen lassen.

Das Fleisch stammt aus den Schenkeln schwarzer Schweine. Es wird mit Salz, Pfeffer, Knoblauch, Weißwein massiert und in Schweinsblase eingenäht, anschließend sechs Monate trocken und noch einmal bis zu zwei Jahren in feuchter Atmosphäre gelagert. Der birnenförmige Culatello (wörtlich: kleiner Hintern) braucht die Nebelwetter des Po, um außen zu schimmeln und innen zu reifen; dazu wird er einmal im Monat gebürstet. Kilopreis: um die 200 Euro.

Im ersten Stock des Antica Corte Pallavicini haben die Spigaroli sechs Gästezimmer eingerichtet. Man schläft über einem organischen Vermögen. Tausende Culatelli, die in Kellerverliesen hängen wie vergessene Gefangene, und die satten Parmigiano-Käselaiber verströmen ein erotisierendes Trüffelaroma. Alles fließt, alles gärt, die Pfauen tönen. Seltene Vögel leben in den Feuchtgebieten des Flusses, dessen Nähe man spürt.

Massimo Spigaroli ist ein sympathischer Dickschädel, ein Visionär: „Wir wollen den natürlichen Kreislauf erhalten“. Er lässt seine Nutztiere entgegen der Landessitte auf die Weide. Einen „gestylten Hotelbetrieb mit Management und all diesen Dingen“ lehnt er ab. Die Zimmer strahlen schlichte Noblesse aus. Im Ristorante Cavallino Bianco, das man nach einem kleinen Deichspaziergang erreicht, wird der Culatello in allen Variationen und Jahrgängen aufgeschnitten; dazu ein Risotto oder ein Flussfisch, zu erstaunlich fairen Preisen. Was immer man auf Reisen sucht, hier ist man angekommen.

Der Po als Wasserstraße (wenn er denn genug Wasser führt): ein wunderbarer Schleichweg. In Ferrara, der Stadt der Fahrräder, liegt in einem Po-Arm die „Nena“. Georg Sobbe, ein aus Deutschland stammender Fremdenführer, der vor Jahren mit einer freien Theatergruppe nach Ferrara kam, hat das alte venezianische Fährschiff vor der Verschrottung bewahrt. Unlängst erwarb Sobbe das Kapitänspatent. Er fährt mit seiner „Nena“ Gäste in die Lagune von Comacchio – und über die Kanäle bis nach Venedig. Ganz, ganz langsam. – Slow Turismo, wie Sobbe es nennt. Morgens legt man in Ferrara ab und kommt abends nicht mehr zurück. Dafür aber in den Genuss, in der Serenissima zu übernachten.

Fortsetzung auf Seite R 2

Rüdiger Schaper

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