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Österreich: Abtauchen am Berg

Klare Sicht, kaum Strömung - und keine Korallen. Unter Wasser in Oberösterreich.

Taucheranzüge können schon an Land nass und kalt sein. Mit dieser Erkenntnis muss man als Anfänger erst einmal warm werden. Denn es gibt wohl kaum etwas Unangenehmeres, als sich im Frühtau der Berge in einen klammen Taucheranzug zu zwängen. Der Heizstrahler in der Ecke des Umkleideraums ist zwar gut gemeint, aber er lindert nur die ärgsten Qualen. „Igitt“ und „Bäh“, lauten die Kommentare der Tauchschüler. Weil der Sommer auch in Oberösterreich eine Pause eingelegt hat und die Anzüge auf dem Wäscheständer nicht rechtzeitig trocken geworden sind, empfiehlt Tauchlehrer Robert: „Augen zu und rein.“

Taucherschicksal. Profis kostet der Kaltstart ein Lächeln, Neulinge echte Überwindung. „Nachher im Wasser werdet ihr davon nichts mehr spüren“, verspricht Robert grinsend.

Seine Tauchschule bietet sogenanntes Schnuppertauchen an. Und die österreichischen Seen sind für Anfänger auch sehr gut geeignet. Vor allem im Attersee mit seiner Größe von etwa 50 Quadratkilometern herrschen außerdem oft beste Sichtverhältnisse: 20 bis 25 Meter weit können Taucher sehen. Tageslicht dringt bis in eine Tiefe von 30 Metern vor. Die klare Sicht erleichtert Anfängern den Einstieg in den Tauchsport. Und natürlich die Tatsache, dass es – anders als im Meer – kaum Strömungen gibt.

An den Anblick von Froschmännern inmitten der Berge hat man sich im Salzkammergut längst gewöhnt, obwohl man in der Region eher Wanderer sieht. Die Szenerie könnte ohnehin kaum österreichischer sein: barocke Kirchtürme, alte Bauernhöfe, duftende Kräuterwiesen. Und in manchem Hotelbadezimmer liegt neben der Duschhaube statt einer parfümierten Bodylotion altbewährter Franzbranntwein im Körbchen – zum Einreiben müder Glieder.

Auch uns droht Muskelkater, denn unsere Gliedmaßen werden schon beim Überstreifen der Neoprenanzüge aufs Äußerste beansprucht. Vor allem die Beine und Hüften erweisen sich – unabhängig von den Körperproportionen – als echte Problemzonen. Dabei ist das Anlegen eines Taucheranzugs eigentlich ganz simpel: volle Pulle zwängen und ziehen. Mehr ist nicht zu tun. „Ihr schafft das schon“, ermuntert uns Robert, „wenn ihr ihn über den Hüften habt, seid ihr fast schon drin.“

Nachdem auch der letzte Teilnehmer in seinem Taucheranzug verstaut ist, gehen alle gen Ufer. Besser gesagt: wanken. Denn der Bleigurt um den Bauch und die Luftflasche auf dem Rücken machen jedem Teilnehmer das Leben schwer. „Und das soll Spaß machen?“, fragt ein Tauchneuling gequält. Er wurde von seiner Frau, einer passionierten Taucherin, zum Schnupperkurs gelotst – mittels Geschenkgutschein. „Wart’s nur ab!“ Robert versucht, Hoffnung zu machen.

Nach einer kurzen, aber intensiven Einweisung über die Zeichensprache und die wichtigsten Verhaltensregeln unter Wasser – „Ganz ruhig weiteratmen, genau wie an Land“ – werden wir auch schon ins Wasser gescheucht. Keiner von uns war jemals länger als eine Lungenfüllung unter der Wasseroberfläche, geschweige denn mit Tauchausrüstung.

„Die Einweisung an Land soll möglichst schnell gehen“, sagt Robert. „Wir wollen ja niemanden langweilen.“

Ins kalte Wasser wird trotzdem keiner geworfen: Auf zwei Teilnehmer kommt ein Übungsleiter. Die Sicherheitsstandards bei der Taucherausbildung sind auch in Österreich hoch. Hinter den Zweiergruppen treiben die Betreuer im See und lassen die Novizen nicht aus den Augen. Bewegungsfehler werden durch beherzte Griffe korrigiert. Wir tauchen zunächst auf stolze zwei Meter Tiefe ab.

Und siehe da, was für alte Tauchhasen Routine sein mag, ist für einen Neuling ein echtes Aha-Erlebnis: diese Ruhe unter Wasser. Diese Stille. Die Unterwasserwelt erscheint wie ein eigener Kosmos. Das hektische Leben über der Wasseroberfläche verkommt schon mit den ersten Flossenbewegungen zur Nebensächlichkeit. Das Blubbern der Atemgeräte ist das einzig vernehmbare Geräusch. Und es wirkt irgendwie beruhigend.

Dass es im Attersee keine farbenprächtigen Korallenriffe oder andere bizarre Lebewesen zu bestaunen gibt, stört nicht weiter. Der Frieden unter Wasser ist es, der Profis und Anfänger gleichermaßen fasziniert. Und natürlich die Schwerelosigkeit. Doch diese macht es nicht jedem leicht. Ein Mittaucher, ein dürrer Typ von fast zwei Metern Länge, rudert wie ein hilfloser Maikäfer in Rückenlage. Seine Flossen kreuzen sich mit anderen, seine Handschuhe fahren dem zugeteilten Partner ständig vor die Brille. Der Tauchguide hat alle Hände voll zu tun, ihn auf den rechten Kurs zu bringen. Nachdem das einigermaßen gelungen ist, dirigiert der Lehrer die Gruppe in etwas tiefere Regionen. Drei Meter. Vier Meter. Jetzt fühlt es sich fast wie Tauchen an.

Mir dämmert, weshalb Tauchen süchtig machen kann. Auch wenn auf dem Boden des Attersees nur Steine und Muscheln zu sehen sind und nur hin und wieder ein paar Fische vorbeihuschen – um diese Weltentrücktheit zu erleben, hat es sich gelohnt, sich in den Taucheranzug zu zwängen und jegliche Angst vorm Abtauchen beiseitezuschieben. „Respekt ja, Angst nein“, beschreibt Robert seine Gefühle unter Wasser. Weil manchem der Respekt vor den Elementen abhandenkommt, passieren auch im Attersee regelmäßig tödliche Unfälle. In Österreich ist der See deshalb öfters in den Negativschlagzeilen, wurde schon als „Todessee“ bezeichnet. Das liegt an der Tiefe: Bis zu 175 Meter geht es im Attersee hinunter. „Die Euphorie unter Wasser lässt manche leider die Gefahren vergessen“, sagt Robert. Selbstüberschätzung habe bei Tauchern wie bei Autofahrern häufig tödliche Folgen.

Er und seine Kollegen der anderen Tauchschulen am Attersee sind von den Diskussionen schon etwas genervt. „Manche Menschen muten sich zu viel zu, und wenn sie verunglücken, bringt das den gesamten Tauchsport in Misskredit“, sagt Robert. Würden alle Sicherheitsvorschriften beachtet, sei Tauchen eine Sportart mit durchaus kalkulierbarem Risiko.

In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat sich ein regelrechter Boom um das Süßwassertauchen in Österreich entwickelt. An manchen Wochenenden werden pro Tag rund 3000 Tauchgänge im Attersee gezählt. Andere Reviere wie der Mondsee, der Traunsee oder der Hallstättersee liegen ganz in der Nähe.

Wir sind zunächst froh, dass die Ausstiegstreppe in Reichweite liegt. Denn die ungewohnte Art der Fortbewegung und die vielen optischen Eindrücke lassen den Anfänger rasch ermüden. Rücklings – schließlich flippern noch die Flossen an den Füßen – geht es die Treppe hinauf. Ah, fester Boden unter den Füßen. Luftflaschen abschnallen, tief durchatmen. Das tut gut. „Ich fühl mich irgendwie immer noch so schwer“, schnauft ein Teilnehmer, „im Wasser war’s so schön leicht und unbeschwert.“ Robert wirft einen Blick auf den Anfänger. „Schnall doch mal den Bleigurt ab, dann geht’s dir auch besser.“ Der Anfänger lächelt gequält. Auch beim Tauchen fallen manche Lasten eben nicht von alleine ab.

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