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Dichterland. „Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend“, schrieb Stifter über seine Heimat. Und hat ihr in Bildern und Geschichten ein Denkmal gesetzt. Im Mühlviertel, hier im Bild, versteht man es nur zu gut.

© Georg Knobl/laif

Österreich: Da sind Tage, blank vor Glück

Adalbert Stifter hat den Böhmerwald gepriesen und oft durchwandert. Er labte sich an Bier und Forelle – wie Urlauber heute.

Gut 1000 Meter hoch ist der Sulzberg, doch eigentlich könnte man ihn Heimwehberg nennen. Denn hierher sind die Sudetendeutschen nach 1945 gekommen und haben wehmütig zur verlorenen Heimat hinübergeschaut. Auf die andere Moldauseite, nach Oberplan etwa, das nun Horni Planá hieß. Doch mit der Zeit wuchsen die Bäume höher und höher und verstellten die Sicht. Was jetzt? Die Oberösterreicher im Mühlviertel hatten eine Idee. Ein Aussichtsturm musste her. 1967 wurde ein ausgedienter Ölförderturm herbeigeschafft und auf den Gipfel gestellt. Seither führen 137 Stufen hinauf zum „Moldaublick“. „Damals hat der Tourismus bei uns angefangen“, sagt Reinhold List vom Touristenverband Böhmerwald.

Heute fließen kaum noch Tränen auf der Aussichtsplattform. Die Urlauber sind allein vom Panorama überwältigt. „Wie weit man über das Moldautal in die Landschaft blicken kann“, sagt ein Berliner – und kann sich gar nicht sattsehen.

Zahlreiche Dichter haben den Böhmerwald, von dem ein Drittel zu Österreich und zwei Drittel zu Tschechien gehören, gepriesen. Aber keiner tat es mit so viel Inbrunst wie der Malerpoet Adalbert Stifter. 1805 war er in Oberplan zur Welt gekommen. Und bis auf Studien- und Künstlerjahre in Wien blieb er seiner Heimat treu. „In mir ist durch die prächtigen Berge, Thäler und Wälder eine Ruhe und Stille, die mir so unsäglich wohl tut, daß ich es kaum sagen kann“, schrieb er einmal. Und schwärmte von Tagen, blank vor Glück.

Noch immer könnte sich Stifter hier wohlfühlen. In die sattgrün gewellte Landschaft schmiegen sich Dörfer und Weiler, oft mit einem Kirchlein in der Mitte. Seit die Grenze gefallen ist, fügt sich harmonisch zusammen, was getrennt war. „Wir können wieder rüberradeln und rübergehen und auch mal drüben unser Bier trinken“, sagt Ewald Fuchs zufrieden.

Soeben steht der rüstige Rentner in traditioneller schwarzer Trifterkleidung mit breitkrempigem Hut am „achten Weltwunder“. So bezeichnete man die Ingenieurleistung von Joseph Rosenauer, der Ende des 18. Jahrhunderts den Schwarzenberger Schwemmkanal gebaut hatte. Damit wurde die Wasserscheide zwischen Moldau und Donau, mithin zwischen Nordsee und Schwarzem Meer überwunden. Das Holz des Böhmerwaldes konnte erschlossen werden. Lose, von Triftern geschubst, trieben die dicken Scheite durch den Kanal und weiter auf der Großen Mühl bis kurz vor deren Mündung in die Donau. Dort wurde das Holz aufgenommen, auf Schiffe verladen und in Wien verkauft. „Wir haben den Wienern ordentlich eingeheizt“, sagt Fuchs schmunzelnd.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor die Wasserstraße ihre Bedeutung. Die Eisenbahn übernahm den Holztransport. Nach und nach wucherte das Weltwunder zu. Inzwischen sind große Teile des insgesamt 52 Kilometer langen Schwemmkanals restauriert. Man kann das Ergebnis im Fahren bewundern, denn entlang des Kulturdenkmals führt jetzt ein Radweg. „Purer Genuss“, sagt Ewald Fuchs, „denn es gibt ja keine Steigung.“

Subprior vom Stift Schlägl Josef Prügl ist der wohl älteste Snowboarder in der Gegend.
Subprior vom Stift Schlägl Josef Prügl ist der wohl älteste Snowboarder in der Gegend.

© Hella Kaiser

Das ist natürlich anders, will man die Höhen des Böhmerwaldes per Pedalkraft erkunden. Da muss man fit sein wie Joseph Prügl, Subprior vom Stift Schlägl. „Ich bin wahrscheinlich der älteste Snowboarder in der Gegend“, erzählt der schlanke 66-Jährige schmunzelnd. 40 Mitbrüder, stets gewandet im weißen Ordenskleid, gehören zu dem Prämonstratenser Chorherrenstift. Die gotische Stiftskirche mit dem Altarbild „Madonna mit Kind auf der Rasenbank“ (um 1500), ist ebenso zu besichtigen wie die Schatzkammer mit Kostbarkeiten wie goldbestickte Messkleider, Mitras und die ehrwürdige Bibliothek mit ihren 60 000 Büchern.

Die Chorherren leben in klösterlicher Gemeinschaft, teilen „unser Leben, unsere Arbeit und was wir besitzen“. Und das ist eine ganze Menge. Das Stift ist ein florierendes Wirtschaftsunternehmen und wichtiger Arbeitgeber in der Region. 6500 Hektar Wald gehören zum Klosterbesitz, dazu Unterkünfte und Einkehrhütten wie das „Gasthaus zum Überleben“. Unter dem lockeren Motto „Oafach done sitzn, oafach guat ge’lossn, oafach gonz urig“, wirbt es erfolgreich um Gäste. Die Kulturveranstaltungen des Stifts sind Höhepunkte in der Region.

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Im Kloster selbst wird gebetet, meditiert und gut gegessen. Gibt’s Alkoholisches dazu? „Natürlich“, sagt der Subprior lächelnd, „wir brauen ja unser eigenes Bier.“ Seit mehr als 430 Jahren ist das so. Bis zu 25 000 Hektoliter sind es inzwischen täglich, die in der Stiftsbrauerei abgefüllt werden. Zehn verschiedene Sorten, darunter ein Bio-Roggenbier, „Abschlag“, das Bier für Golfer und natürlich ein Stifter-Bier.

Bier gehört zum Böhmerwald wie Wein zur Toskana. Für beides gilt: Schluck für Schluck genießen. Wie es funktioniert, lernt man bei Karl Schiffner. Der Mann ist Biersommelier, einer von 400 weltweit. In seinem Gasthaus in Aigen kann man ein fünfgängiges Menü mit Bierbegleitung bestellen. So wird zur Gorgonzolabirne mit Prosciutto das leichte „Bismarck“ ausgeschenkt und zum Forellenfilet auf Safranrisotto Schlägl Bio-Roggen. Zum Topfendessert wird ein Trappistenbier eingegossen: 150 Biersorten lagern im Gasthauskeller.

Auch Adalbert Stifter, so heißt es, habe Bier geschätzt. Dazu Taube, Wacholderdrossel und eine Böhmerwald-Forelle. So eine, wie sie nach der köstlichen Sieben-Kräuter-Suppe im Adalbert-Stifter- Hof in Schwarzenberg serviert wird. Im alten Schulhaus des Ortes haben sie dem Malerpoeten ein Museum eingerichtet. Man erfährt dort, dass es in Deutschland 400 Orte mit einer „Stiftergasse“ gibt, Bücher und Kopien seiner Bilder sind ausgestellt. Als „Musik für das Auge“, hat er seine Landschaftsmalereien einst bezeichnet.

Wenn es um seine Heimat ging – „Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend“ – war Stifter Romantiker. In seiner Tätigkeit als Schulinspektor zeigte er sich als kritischer Realist. Über zu kleine und feuchte Klassenzimmer schimpfte er und wetterte: „Man sollte nicht glauben, daß es möglich wäre, daß Gemeinden ihre eigenen Kinder in solchen Räumen zusammenpferchen.“

Stifter, in späteren Jahren von einem Nervenleiden geplagt, fuhr zur Kur an einen renommierten Ort. „Karlsbad ist sehr reizend“, schrieb er von dort. „Aber mit der Großartigkeit und erhabenen Einsamkeit meines bayerischen Waldes und Dreisesselberges ist es auf Himmelweite nicht vergleichbar“, schrieb er im Mai 1865 an einen Freund. Von Schwarzenberg kann man hinaufsehen zum Dreisesselberg im Bayerischen, zum steinernen Meer, einer bizarren Felsgruppe östlich davon und zum Plöckenstein. Ein Lieblingsplatz von Stifter. Von hier aus konnte er hinunterblicken zum Plöckensteiner See, der ihm wie eine „versteinerte Träne“ schien. 1877, zu seinem zehnjährigen Todestag, hat man Adalbert Stifter hier ein Denkmal gesetzt, einen gut 14 Meter hohen Obelisken.

Der Wanderweg dorthin führt durch den tschechischen Sumava-Nationalpark. Auf Deutsch bedeutet Sumava die Rauschende. Doch hier oben rauscht kaum noch etwas. Es ist ein Caspar-David-Friedrich-Wald. Die meisten Bäume ragen blattlos wie fahle Mahnmale auf, der Borkenkäfer hat ganze Arbeit geleistet. Vom Nationalpark Bayerischer Wald hat er sich durchgefressen nach Österreich und Tschechien. Im Bayerischen Nationalpark war man überzeugt, dass die Natur sich selber helfen müsse – und könne. „Ein Schmarrn“, sagen die Österreicher. Schneisen hätte man schlagen müssen, um die Käfer zu stoppen.

Die Experten vom Stift Schlägl roden Schutzräume von 500 Metern Breite. Und siehe – es hilft. Der Stiftswald mit Fichten, Buchen und Tannen steht so prachtvoll da wie in Stifters Schilderungen. „Die Tschechen mit ihrem Nationalpark können einem leidtun“, sagt der Mühlviertler Förster Manfred Hafner.

Unterhalb des Plöckensteins aber ist es noch zu durchwandern, „das Dunkel des Waldes“, wie es Stifter sah. In ewig langen Schachtelsätzen hat er seine Heimatliebe zu Papier gebracht. Beschreibt „das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, das Grünen der Erde, das Glänzen des Himmels“. Kann man Stifter heute noch lesen? „Natürlich“, sagt der Stifter-Kenner Ferdinand Stiller, „die Lektüre beruhigt ungemein." Aber um damit beginnen zu können, müsse man selbst innerlich „sehr ruhig“ sein.

Da hilft der Böhmerwald.

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