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Painted Cliffs. Die „bemalten Felsen“ gehören zur bizarren Küstenlandschaft auf Maria Island. Wer die Insel entdecken will, geht zu Fuß oder nimmt das Rad.

© Markus Kirchgessner/laif

Australien: Natur ist gemustert

Maria Island liegt vor der Küste Tasmaniens. Ein Italiener wollte hier große Geschäfte machen – und scheiterte. Die Insel freut’s.

Der Himmel ist blau und klar, doch es ist kalt, als wir in der Früh unser Quartier im Freycinet Nationalpark verlassen, um in Tribuanna die Morgenfähre nach Maria Island zu erreichen. So sind sie eben – die Sommermorgen im rauen Tasmanien. In Tribuanna am kleinen Hafen haben Anne und John schon mit ihrer Arbeit begonnen. Sie betreiben die Fähre, die zweimal täglich nach Maria Island fährt. Außerdem verleihen sie Mountainbikes für die Inselerkundung. Anne ist Nachfahrin einer jüdischen Familie aus Wien, die auf der Flucht vor den Nazis einst hier eine neue Heimat fand.

Während der einstündigen Überfahrt steuert John den Katamaran, deutet hin und wieder auf vorbeiziehende Delfine oder am Himmel kreisende Seeadler, überlässt aber ansonsten seiner Frau die Gestaltung des Bordprogramms. Und Anne hat viel zu erzählen. Von den Ureinwohnern dieser Region, den Tyredemme, die in ihren Kanus aus Schilfrohr zu der Insel übersetzten. „Toarra-Marra-Monah“ haben sie das Eiland genannt. Oder vom Entdecker Abel Tasman, der die Insel 1642 nach Maria van Diemen benannte, der Frau des Generalgouverneurs von Niederländisch-Ostindien, Anton van Diemen. Der göttliche Name habe aber in krassem Gegensatz zu den rauen Gesellen gestanden, die die Insel in der Folgezeit besiedelten: Wal- und Robbenfänger zu Beginn des 19. Jahrhunderts, gefolgt von englischen Sträflingen von den 1820er Jahren an.

Und dann gab es noch Diego Bernacchi, jenen italienischen Unternehmer, der Maria Island 1884 gemietet hatte. Industrialisieren wollte er das Eiland und gleichzeitig ein zweites Venedig daraus machen. Zunächst ließ er eine Zementfabrik errichten, versuchte Wein und Maulbeerbäume anzupflanzen – und scheiterte. 1891 verließ er die Insel – und kam knapp zwei Jahrzehnte später dorthin zurück. 1925 starb er. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise musste auch diese, seine zweite Zementfabrik 1930 endgültig schließen. Gebäudereste und andere Spuren aus Bernacchis Zeit sind noch immer zu finden. Doch das Faszinosum vom 115 Quadratkilometer großen Maria Island heute ist die ursprüngliche Natur.

Anne hat für uns ein Tagesprogramm konzipiert, in dem alle Höhepunkte enthalten sind, die man ihrer Meinung nach auf der Insel gesehen haben muss. Mit den Worten „Ihr seht sportlich aus, das schafft ihr schon“, schickt sie uns erst einmal vom Schiffsanleger in der ehemaligen Siedlung Darlington auf den „Fossil Cliffs Circuit“, immer bergan und gegen den Wind. Den „Commissariat Store“, die heutige Ranger Station des Nationalparks und Reste der Zementfabrik hinter uns lassend, erreichen wir bald den Inselfriedhof und stoßen auf eine interessante Geschichte. Ein Grabstein weist auf einen Maori Krieger namens „Hohepa Te Umuora“ hin, einen ehemaligen Gefangenen der Maori Kriege, der hier 1847 starb. Sein Grabstein blieb, seine Gebeine wurden 1988 exhumiert und nach Neuseeland überführt, um dort im Rahmen eines traditionellen Stammesbegräbnisses beigesetzt zu werden.

Schließlich stehen wir verschwitzt und windumtost hoch über der Fossil Bay an der Nordküste der Insel. Der Ausblick ist nahezu „pilcheresk“, erinnert er doch mit seinem Mix aus blauem Meer, schroffen Felswänden und satten, grünen Wiesen stark an die Landschaften Cornwalls. Die Felswände hier sind übersät mit Abertausenden versteinerter Muscheln und Meeresschnecken. Es herrscht gerade Ebbe, so dass wir zu den riesigen Steinblöcken hinuntersteigen können, gegen die sonst die Wellen klatschen. Bizarre Versteinerungen entdecken wir und lesen später, dass sie viele Millionen Jahre alt sein sollen.

Wieder oben angekommen schwingen wir uns auf unsere Mountainbikes und lassen uns mit Rückenwind zügig bergab rollen. Eine kurze Pause aber gönnen wir uns, für eine intensive Begegnung mit einem Paar Cape-Barren-Gänsen, die uns ganz nahe an sich heranlassen. Unser Ziel sind die Painted Cliffs, die „angemalten Felsen“ die wir – so Annes nachdrückliche Empfehlung – unbedingt noch bei Ebbe erreichen sollen. Nur dann seien sie gefahrlos zu begehen und außerdem sei das Licht zum Fotografieren um diese Tageszeit am besten.

Der Tag auf Maria Island endet mit einem überraschenden Genuss

Prächtige Versteinerungen. Millionen Jahre alte Muscheln und Meeresschnecken schmücken die schroffen Felswände in der Fossil Bay.
Prächtige Versteinerungen. Millionen Jahre alte Muscheln und Meeresschnecken schmücken die schroffen Felswände in der Fossil Bay.

© laif

Beides stimmt. Wir klettern und klettern, können uns nicht sattsehen an diesem Farbenspektakel. Eisenhaltiges Wasser hat den ursprünglich weißen Kalkstein mit rötlich-gelben Färbungen versehen. Jede Änderung des Lichteinfalls führt zu neuen imposanten Farbimpressionen. Wir können uns gar nicht von diesem Naturschauspiel lösen. Also picknicken wir am Hopground Beach, der sich direkt an die Felsen anschließt. Da haben wir das leuchtende Wunder noch länger im Blick. Wir radeln weiter an der Küste entlang, entdecken stille Buchten und tauchen sogar einmal in die ebenso klaren wie kalten Fluten ein. Aus den Wäldchen zwischen den Stränden springen öfter Wallabys und Forester-Kängurus heran, und beäugen uns aus sicherer Distanz.

Für den Rückweg zum Schiffsanleger wählen wir den Weg durchs Inselinnere, auf einsamen Wegen durch dichten Urwald. Hier hört man das Rauschen des Meeres nicht mehr, die Luft ist erfüllt von sich leicht im Wind wiegenden Baumkronen und unzähligen, fremdartigen Vogelstimmen. Wir legen uns eine Weile unter einen der riesigen Gummibäume. Und sehen einige der exotischen Vögel vorbeihuschen, deren Stimmen uns schon eine Weile begleitet haben. Den grünen „Swift Parrot“ zum Beispiel, der sich im Gegensatz zu seinen Artgenossen von Nektar ernährt. Unten am Boden versucht ein fotoscheuer Igel, sich rasch im Unterholz zu verkriechen. Der Wombat in der Nähe lässt sich indes nicht stören, weiter einen Grashalm nach dem anderen zu futtern.

Einen letzten Umweg machen wir noch, bevor wir zum Schiff zurückkehren – aus Neugier. Was ist aus der Zeit des Visionärs Diego Bernacchi, den die Zeitgenossen in seiner unternehmerischen Blütezeit „King Diego“ nannten, noch zu sehen außer den Resten seiner Zementfabrik? Enttäuschend wenig, müssen wir feststellen, als wir südwestlich der Mühle ein Ruinenfeld vorfinden, dort, wo einmal das Wohnhaus der Familie und das „Grand Hotel“ gestanden haben. Anne erzählt uns später, dass Bernacchi hohes Ansehen genossen habe, weil er immer voller Ideen und Optimismus gewesen sei. Reich ist er nicht geworden.

Doch Bernacchi und seine belgische Frau Barbe schenkten Australien einen berühmten Sohn: Ihr Erstgeborener Louis Charles wurde einer der bedeutendsten Antarktisforscher, war der erste Australier, der in diesen unwirtlichen Gefilden arbeitete und überwinterte. Als Physiker war er Mitglied von Captain Scott’s erster britischer Antarktisexpedition, Scott wurde später sein Trauzeuge.

Kurz bevor wir Tasmanien zehn Tage später verlassen, entdecken wir im Hafen von Hobart ein Denkmal zu seinen Ehren. Es zeigt ihn mit seinem Lieblingshusky.

Unser Tag auf Maria Island indes endet mit einem unerwarteten kulinarischen Genuss: Beim Verlassen ihres Bootes fragen Anne und John, ob wir nicht bei ihrem Freund Hans vorbeischauen wollen. Er sei gebürtiger Wiener und betreibe in Tribuanna ein Wiener Kaffeehaus. Er freue sich immer, mal wieder Deutsch sprechen zu können. Rein äußerlich betrachtet, ist das Café von einem Wiener Kaffeehaus so weit entfernt wie Tribuanna von der österreichischen Hauptstadt. Aber der warme Apfelstrudel und der dazu servierte „große Braune“ sind in bester Wiener Qualität. Und dann ist da noch Hans, der ein Gemisch aus Englisch, Wiener Schmäh und Hochdeutsch spricht. Das allein wäre schon der Besuch seines Etablissements wert.

Wir würden gerne noch mal herkommen, um die wunderbare Natur auf Maria Island intensiver erleben zu können. „Kein Problem, ihr könnt hier bei uns im Ort euer Basisquartier aufschlagen und dann zu einem viertägigen Maria Island Walk mit Führer starten“, bietet man uns an. Werden wir machen.

Uwe Junker

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