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Alentejo, Portugal

© Vario images

Portugal: Ankern vorm Glockenturm

Die Region Alentejo in Portugal kann man gut im Hausboot erkunden - und den größten Stausee Europas bestaunen. Mit einem schwimmenden Wohnmobil ist das "tudo facil".

Ob wir uns da nicht zu viel vorgenommen haben? 250 Quadratkilometer Wasser sind kein Pappenstiel. Und ein 8,80 Meter langes Hausboot muss man auch erst mal manövrieren. „Tudo facil, alles kein Problem“, beruhigt uns Luis am Steuerstand der Nicols Duo, lacht und deutet auf das Armaturenbrett. Dort thronen über einem Gewirr von Schaltern und Rundinstrumenten die Ikonen der modernen Navigation: ein Farbkartenplotter und ein Echolot. „Damit kann nichts schiefgehen“, versichert der gute Mann, „man muss nur das Ziel eingeben, das Boot nach den Bildschirmvorgaben steuern und ab und an einen Blick auf das Echolot werfen.“ Wir nicken. Und drehen eine Proberunde. „Gar nicht schlecht.“ Luis nickt anerkennend. Dann drückt er uns eine Revierkarte in die Hand und wünscht eine gute Zeit.

Die Bedenken sind wie weggeblasen. Im Handumdrehen ist das Gepäck in der Bugkabine und der Proviant in den Schränken und Schubladen der Küche verstaut. Leinen los. Eine Woche werden wir den Grande Lago, den größten Stausee Europas im Süden Portugals, unter den Kiel nehmen, die weißen Dörfer des Alentejo erkunden und mit den bordeigenen Fahrrädern durch sanft geschwungene Hügellandschaften, Korkeichenwälder und Olivenhaine strampeln. Gnade für die strapazierten Waden gibt es in Dorfkneipen und Winzerkellern.

Mit Pauken und Trompeten feierte Portugal 2002 die Fertigstellung des Barragem de Alqueva, des Staudamms von Alqueva. Fünfzig Jahre geisterte das Projekt durch die Köpfe der Politik, nun soll es den ausgedörrten, von Armut und Arbeitslosigkeit gezeichneten Alentejo in eine blühende Landschaft verwandeln, den Tourismus ankurbeln und Geld in die leeren Kassen spülen. Nach knapp einer Stunde Fahrt rückt die Staumauer ins Bild. Auf 458 Meter Breite und 96 Meter Höhe stauen Stahl und Beton den Rio Guadiana auf – sage und schreibe – 83 Kilometer Länge. Wir legen in der Nähe der Staumauer an und nehmen das technische Wunderwerk in Augenschein.

Zwei Stunden später pflügt unser schwimmendes Wohnmobil wieder durch die Wellen. Gischt sprüht, zerteilt sich in kleine Fragmente und liegt dann als feuchter Gruß über dem Bug. Mit den ersten Häuschen von Estrela fordert der Kartenplotter eine Kurskorrektur. Doch hinter welchem Hügel versteckt sich das Dorf? Die Elektronik gibt darauf keine Antwort. Dafür die Markierungstonnen. Im Zickzack lotsen sie uns vorbei an den Untiefen und enden in einer winzigen, von Wiesen und Weiden umrahmten Bucht.

„Bem Venido a Estrela“, Herzlich willkommen in Estrela, steht da in weißen Lettern geschrieben. Das klingt nicht nur freundlich sondern ist auch so gemeint. Den Beweis dazu liefert Jaime. Wir treffen den 62-Jährigen am Glockenturm der Dorfkapelle. Als er hört, dass wir mit dem Hausboot unterwegs sind, packt er das Glockenseil und schickt ein paar Klänge gen Himmel. „Der Wind frischt kräftig auf“, sagt er, „da könnt ihr höheren Beistand gut brauchen.“

Im Himmel hatte wohl jemand dienstfrei – das Anlegemanöver später am Steg von Luz gerät zum bösen Flop. „Rumms“ – läuft die Nicols bei auflandigem Wind auf Grund. Nichts geht mehr! Die Schiffsschraube quirlt zwar sehr reichlich braune Brühe auf, doch das Boot bewegt sich keinen Millimeter. Entnervt der Griff zum Handy, Luis hilf! „Tudo facil! Alles kein Problem“, beruhigt er uns, „morgen hat sich der Wind gelegt. Dann ist wieder alles okay.“ Er sollte recht behalten.

Mit den ersten Sonnenstrahlen vertäuen wir den Binnenkreuzer am Anleger und spazieren ins Dorf. Irgendwie herrscht eine merkwürdige, ja künstliche Atmosphäre. Kein Wunder: Luz – besser gesagt Nova Luz – ist ein Reißbrettprodukt.

Jahrhundertelang döste das alte Luz verschlafen vor sich hin. Mit dem Staudammbeschluss jedoch schlug für das Dorf das letzte Stündlein. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Fluten über den Dächern zusammenschlagen würden. Wie in all diesen – oder ähnlichen Fällen – gab es natürlich einen „Sozialplan“, sprich, die Staudammgesellschaft spendierte den Bewohnern zwei Kilometer weiter auf einer Anhöhe ein neues Dorf. „Ja“, sagt die Wirtin der Taska-Bar, „hier in Nova Luz wohnen wir prima.“ Joaquim nickt. Auch er ist mit seinen neuen vier Wänden mehr als nur zufrieden. Zumal er nun einen Job als Schiffsführer auf dem neuen Ausflugsdampfer hat. Die Alte am Eingang zum Friedhof dagegen sieht die Sache anders. „Wir haben zwar neue Häuser. Auch hat der Bischof die Toten umgebettet. Doch unsere Tradition“, sie deutet mit knorrigen Fingern Richtung See, „liegt da unten auf Grund. Die passte eben nicht in Umzugskartons oder Möbelwagen“, sagt sie.

Die Probleme hat Mourão nicht. Das 2500-Seelen-Dorf eine Hausbootstunde nördlicher präsentiert sich als entzückende Rolle rückwärts in längst vergangene Zeiten. Es gibt viel zu sehen: eine furchteinflößende Burgruine mit fantastischem Blick über den Lago, ein exorbitant holpriges Kopfsteinpflaster, eine Allee aus Orangenbäumchen und dazu die Praça da Republica mit kachelverkleideten Häuschen und kleinem Park. Wir stellen unsere Fahrräder an der Bar D. Pipas ab und lassen uns den Alentejo als frischen Sommerwein im Glas kredenzen. Dazu serviert die Küche Oliven, frischen Ziegenkäse, Schinken und Meeresfrüchte.

Von Bord aus gesehen besteht die Welt vor allem aus Wasser. Neben rund 600 Inseln – die vor dem Staudamm einmal sanfte Hügel waren – verzweigt und verästelt sich der See auf eine Uferlänge von sage und schreibe 1160 Kilometern. Das ist mehr, als Portugals Atlantikküste zu bieten hat. Etwa 20 Prozent des Grande- Lago-Ufers liegen auf spanischer Seite.

Hinter Cheles, dem ersten Dorf auf spanischem Terrain, schrumpft der See auf Flussbreite. Die Physiognomie des Ufers wechselt zwischen Viehweiden, schroffen Felsklippen und Wald. Nach vier Stunden Fahrt ragen die Konturen des Castelo de Juromenha in den Himmel. Vor die Ansteuerung hat Neptun freilich noch ein paar Schweißperlen gesetzt. Knorrige Bäume, sperrige Äste und modrige Büsche lugen aus den Fluten. Mal haben wir knapp eine Bootslänge Wasser unterm Kiel, gleich darauf beunruhigend minimale 120 Zentimeter (bei immerhin einem Meter Tiefgang!) und – schwupp – signalisiert das Echolot wieder höchst kommode Kirchturmtiefen.

Juromenha selbst ist ein verschlafenes Irgendwo im portugiesischen Nirgendwo. In dem Dorf hoch auf einem steilen Hügel sitzen die Alten vor den Türen ihrer schneeweiß gekalkten Häuschen und vertratschen den Tag. „Geradeaus, geradeaus“, deuten sie uns freundlich den Weg zum Castelo. Das freilich hat schon bessere Tage gesehen. Jahrhundertelang trotzte die Festung den Stürmen der Geschichte, wurden ihre Mauern und Türme immer wieder zum Schauplatz blutiger Schlachten und Kriege. Im Kampf gegen die Fremdherrschaft der Spanier flog 1659 der Pulverturm und mit ihm die halbe Burg in die Luft. Damit hatte es sich ein für alle Male ausgekriegt. Was blieb, sind in Margeriten und Mohnblumen gebettete Ruinen. Und ein traumhafter Blick über Land und Wasser.

Zurück Richtung Marina steht das Unesco-Weltkulturerbe-Dörfchen Monsaraz auf dem Programm. Die Fahrt hinauf mit den bordeigenen Fahrrädern wird zum Tour-de-France-reifen Wadenstress. Als Lohn für die haarsträubend steile Strapaze präsentiert das Dorf eine Mixtur aus bestrestauriertem Mittelalter, verschwiegenen Gassen und wuchtiger Burg.

Wieder unten angekommen, verwöhnt das kleine, aber feine Weingut Monte do Limpo mit international prämiertem Rebenblut. Auf Monsaraz und Vinho folgt das Örtchen Campinho. Wohl nirgendwo am Ufer des Grande Lago gibt es einen genialeren Grillplatz als hier. Mangels Bootssteg manövrieren wir die Nicols mit dem Bug gegen das Ufer und machen sie mit Erdankern – zwei halbmeterlangen, mit ordentlich Muskelkraft in den Boden gehämmerten Stahlpflöcken – fest. Bald schon kringeln angenehm duftende Wölkchen in den azurblauen Himmel. Zu den schmackhaften Filets auf der Straußenfarm Baronigg gibt es jungen Rotwein und als Dessert – gratis – ein Naturpanorama vom Feinsten.

Gut 300 Kilometer sind wir mit der Nicols über den Grande Lago geschippert. Jetzt liegt unser schwimmendes Zwei-Personen-Apartment umrahmt von Wiesen am Steg von Amiera. Wir erkunden das Dorf. Es ist das letzte auf unserer Reise durch die nautischen Sonderbarkeiten des Alentejo.

Wie überall gleißen auch hier die schneeweißen Häuschen in der Sonne, huschen Katzen über grobes Pflaster, sitzen die Alten vor den Türen und vertrödeln den Tag beim gemütlichen Plausch. Als wir den Wirt in der Snackbar O Bico nach dem Rezept seiner famos duftenden Suppe auf dem Herd fragen, strahlt er stolz und stellt uns zwei Riesenportionen davon auf den Tisch. „Guten Appetit“, wünscht er, und serviert trotz Protest noch einen Nachschlag.

Übermorgen wird sich daheim die Waage für – nicht nur – diese Sünde rächen. Aber was macht das schon? Tudo facil, alles kein Problem ...

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