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Ausgedockt. Zwischen dem 16. und 18. September, das genaue Datum steht noch nicht fest, wird die in der Meyerwerft gebaute „Celebrity Reflection“ Papenburg verlassen.

© dapd

Radeln am Meyerkanal: Riesen fahren rückwärts

In Papenburg, am Gelände der Meyerwerft, beginnt der „Kreuzfahrtweg“. Wer ihn abradelt, kann den Kurs der Schiffe entlang der Ems verfolgen.

Wer an der Entdeckerstation 1 in Papenburg losradelt, muss sich entscheiden: links-emsisch oder rechts-emsisch? Denn die Route verläuft auf beiden Seiten der Ems, drei Querungen ermöglichen aber einen Wechsel. Wer nichts verpassen möchte, fährt eh stromabwärts wie aufwärts – Talfahrt und Bergfahrt würden Binnenschiffer sagen –, was an zwei Tagen gut zu schaffen ist. 42 Seemeilen, das sind 78 Kilometer.

Die Strecke führt durch plattes, dünn besiedeltes Land, geprägt durch sattgrüne Weiden und Wiesen, Marsch, Geest und Moor. Es ist feucht hier, im Morgennebel erfrischend kühl, und immer mal mehr, mal weniger windig. Schäfchenwolken am Himmel, Schafe auf den Deichen. Eine Strecke ohne Steigungen; man rollt so vor sich hin. Wer gegen den Wind schon mal kräftiger in die Pedale treten muss, wird irgendwann durch Schiebewind entschädigt. Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit in der Küstenregion zwischen Südlichem Ostfriesland und dem Rheiderland, wo auch der Fehnradweg, die Internationale Dollart-Route und der Nordseeradfernweg verlaufen.

Bis zur nächsten größeren Stadt Leer sind es nur zwanzig Kilometer. Da die Ems immer tiefer ausgebaggert und aufgestaut werden muss, um die Kreuzfahrt-Pötte überführen zu können, sollte für dieses Teilstück sogar ein Kanal gebaut werden. Eine fixe Idee, die schließlich schon an den gewaltigen Kosten von über einer Milliarde Euro scheiterte. Die im Unterlauf zur Bundeswasserstraße ausgebaute Ems wird also weiterhin für die Handbreit Wasser unterm Kiel herhalten müssen.

Wie riesig solche Luxusliner sind, wird den Radwandernden schon bei der nächsten Station verdeutlicht: Die historische, 1843 errichtete Holländermühle Mitling Mark dient als Höhenvergleich. Bis zur Flügelspitze ist sie 27 Meter hoch und weithin sichtbar. Wenn aber hinterm Deich eine schwimmende Stadt mit 60 Metern Höhe auftaucht, schrumpft sie zum Miniaturwunderlandobjekt, wie eine Grafik verdeutlicht. Mit ein bisschen Vorstellungskraft schiebt sich so gerade ein mehrstöckiges Hochhaus – weit die Deichkrone überragend – gen Nordsee und wirft weite Schatten.

Die nächste Infostation erklärt die alte, rostbraune Friesenbrücke in Weener. Sie ist mit 335 Metern Länge die längste Klappbrücke für Eisenbahnen in Deutschland und wird für die Sport- und Berufsschifffahrt gelegentlich auch geöffnet. Doch die Lücke von 25 Metern reicht inzwischen hinten und vorn nicht mehr aus für die Traumschiffe aus Papenburg. Daher wird bei einer Überführung eines neuen Kreuzfahrtschiffes ein Teil der Brücke kurzerhand durch einen Schwimmkran ausgehängt.

Die Brücke ist zugleich laut scheppernde Querung für Radfahrer und Fußgänger. Links gelangt man nach Weener mit seinem idyllischen Museumshafen. Rechts geht es weiter nach Leer, dem „Tor Ostfrieslands“. Die Stadt verfügt über ein Teemuseum, eine schnuckelige Altstadt und einen Seehafen.

Der Verlauf des „Kreuzfahrtweges“ ist nicht zu verfehlen: Zum einen wurden als Erkennungszeichen rot leuchtende quadratische Schilder mit einem stilisierten Kompass unter den Pfeilmarkierungen angebracht. Der symbolische Kompass prägt auch immer eine Seite der dreieckigen meterhohen Informationssäulen. Und dann weisen als Ergänzung und Abwechslung noch Silhouetten der bislang auf der Meyerwerft gebauten Kreuzfahrtschiffe (sowie zwei der Emden Thyssen Nordseewerke) die Richtung. So findet man zum Beispiel „Eclipse“ und „Crown Odyssey“ am Start des Kreuzfahrtweges und die „Solstice“ kurz vorm Ziel in Emden.

Dass genau diese dreißig Silhouetten Stein des Anstoßes von Umweltschützern, Naturschutzverbänden, der Arbeitsgemeinschaft „Rettet die Ems“ oder der Bürgerinitiative „De Dyklopes“ sind, verwundert nicht. Kurz vor offizieller Eröffnung des als „Meyerpfad“ am „Meyerkanal“ geschmähten Radwanderweges wurden einige von ihnen kurzerhand abgesägt. Dass bei den auf eine Metallplatte eingravierten Schiffsdaten just Angaben zum Tiefgang fehlen (was stimmt), werten Kritiker als Ausdruck schlechten Gewissens derjenigen, die die Ems durch jahrelanges Baggern und Begradigen den Interessen der Werft geopfert hätten. Die Aida Sol mit einem Tiefgang von 7,50 Metern zum Beispiel passierte einen Flussabschnitt, der vor Jahren noch an manchen Stellen gerade 3,50 Meter tief war.

„Marketing-Kreuzzug für die emsverhunzende Meyer Werft“, wird deshalb gegrantelt. Die verschlickt nämlich, verliert ihre Sandbänke, hat Probleme mit Sauerstoff und Salzgehalt und eine erhöhte Fließgeschwindigkeit. Auf den Infostelen wird all dies weder thematisiert noch diskutiert.

Auf der Bültjerwerft werden Schiffe in Holzbauweise liebevoll repariert

Dümpelnde Nostalgie – im schmucken Museumshafen von Leer.
Dümpelnde Nostalgie – im schmucken Museumshafen von Leer.

© picture-alliance

Kurioserweise bekommt der Radwanderer das Objekt des Streits, also die Ems, selbst nur selten zu sehen, verläuft der Radweg doch konsequent hinterm Deich, der geschont werden soll. Wer das Bedürfnis danach hat, kann ja immer mal wieder den Deich hochlaufen und nachschauen, ob die Ems noch da ist. Bei einem Gezeitenstrom ist das sogar mal mehr und mal weniger der Fall, und je näher man dem offenen Meer kommt, umso ausgeprägter ist der Tideeinfluss.

Die Gezeiten sind es auch, die der Ems zu einem gewaltigen Sperrwerk verholfen haben, das den Fluss bei Gandersum 476 Meter überspannt. Weithin sichtbar sind die gelben Verstrebungen der großen Hubtore, die bei Fluten mit 3,70 Meter über Normal geschlossen werden, um das Hinterland zu schützen. Oder eben, um die Ems so aufzustauen, dass Kreuzfahrtschiffe mit bis zu 8,50 Metern Tiefgang von der Werft überführt werden können.

Zwischen sechs und zehn Stunden brauchen die Luxusliner vom „Leinen los!“ in Papenburg bis zum Sperrwerk für die nunmehr zurück gelegten rund 40 Kilometer. Denn eine Überführung findet im Zeitlupentempo statt, die Schiffe schieben sich vorsichtig Meter für Meter mit Schlepperunterstützung die Ems hinunter. Und zwar rückwärts. Also mit dem Heck voraus. Warum das so ist, wird den Radwanderern an der Infosäule im beschaulichen Oldersum ausführlich erklärt: Erstens lassen sich die Schiffe so leichter manövrieren und zweitens drückt die Schiffsschraube das Wasser in Richtung Schiffsrumpf, wo es ja so dringend gebraucht wird. Das Lesen aller Informationen – immer auch zur Umgebung und weiteren touristischen Zielen – dauert fast länger als das Radfahren selbst.

Genau gegenüber der Informationsstation in Oldersum liegt gut einsehbar die Querslipanlage der Schiffswerft Dietrich, auf der insbesondere die Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten für die ostfriesischen Inselfähren ausgeführt werden, aber auch schon mal ein Fischkutter auf Kiel gelegt wird. Hier tauchen die Kreuzfahrtradler in eine Werftenwelt ein, die allein schon wegen ihrer Unterschiede in den Dimensionen so gar nichts mehr mit der hypermodernen, gigantischen Meyerwerft zu Beginn der Tour gemeinsam hat. Auf der Meyerwerft arbeiten 2500 Menschen, bei Dietrich 24.

Genauso wie der Sielhafenort Ditzum auf der anderen Seite der Ems, wo der Radwanderweg ein drittes Mal quert. Für die Querung muss hier jedoch eine Fähre genommen werden, die zwischen Ditzum und Emden-Petkum pendelt – eine Überfahrt dauert zwanzig Minuten. Die kleine Fähre ist die letzte von vormals acht ihrer Art und – fast überflüssig zu erwähnen – gebaut auf der Meyer Werft.

So ein bisschen ist in Ditzum die Zeit stehen geblieben: Auf der Bültjerwerft werden noch Schiffe in Holzbauweise liebevoll repariert, rund um den Hafen wetteifern Restaurants um das beste Fischgericht am Ort, und im Hafenbecken schaukeln bunt angestrichene Krabbenkutter vor sich hin. Indes: auch die farbenfrohen Kutter würde es ohne Meyerwerft, Kreuzfahrtschiffe und Emsvertiefung nicht geben. Warum? Die Ditzumer lebten von der Flussfischerei auf Aal und Stint und dem Fischen von Garnelen in der Emsmündung. Das funktionierte nach der Emsvertiefung nicht mehr. Die Ditzumer Fischer konnten das Ausbaggern vor Gericht sogar vorübergehend stoppen. Schließlich erhielten sie von der Meyerwerft eine Entschädigung für neue und leistungsfähigere Kutter, mit denen sie nun weit hinaus in den Dollart und die Nordsee fahren können.

Dollart und offene See, gegenüber die Silhouette des Emder Hafens, der Nordseewerft und ein Wald voller Windräder sind in Ditzum zum Greifen nahe und besonders imposant, wenn die Sonne – wie so oft an der See – blutrot im Meer versinkt.

Die letzten Kilometer rechts-emsisch geht es nun auch schon mal auf und vor dem Deich längs; die Lungen füllen sich mit salzhaltiger, frischer Seeluft. Die Seehafenstadt Emden und damit das Ende des Themenradweges sind erreicht. Wer ganz großes Glück hat, erwischt just eins dieser Kreuzfahrtschiffe, wenn sie im Hafen von Emden endausgerüstet werden – wie die gesamte Aida-Flotte. Dann sind die weißen Liner weithin sichtbar und gar nicht zu verfehlen. Einen von der Größe her durchaus vergleichbaren „Dicken Pott“ bekommen Radler an der letzten Kompassstation direkt auf der Landspitze zwischen Vorhafen und Außenhafen aber auf jeden Fall und hautnah zu sehen: am Kai gegenüber der Infostele liegen regelmäßig gigantische Autocarrier: schwimmende, riesige, funktionale Schuhkartons für den Export in alle Welt. Schöner sind Kreuzfahrtschiffe allemal.

www.ems-radweg.com

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