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Regierungsbunker: Zehntausend Kerzen für Adenauer

Der Regierungsbunker der 60er Jahre war unter Weinbergen versteckt. Ein Teil der Anlage im Ahrtal ist jetzt Museum.

Bauarbeiter waren im Bilde. Und natürlich wusste auch die Stasi bestens Bescheid. Wirklich geheim war der Atombunker der Bonner Bundesregierung nie. Mit voller Absicht. Damit der Warschauer Pakt den ehemaligen Regierungsbunker – hübsch versteckt unter Weinbergen im Ahrtal nahe Bonn – jedoch irgendwie ernst nahm, musste man wenigstens sehr geheim tun. Jetzt darf jeder das Kuriosum aus den Zeiten des Kalten Krieges besichtigen.

Gebaut in den Jahren 1961 bis 1972, war der „Ausweichsitz der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland in Krise und Krieg“ eine monströse Drohkulisse gen Osten. Ihre unausgesprochene Botschaft: „Auch wenn ihr Atombomben auf Deutschland schmeißt, werden wir handlungsfähig bleiben.“

Mit Ende des Kalten Krieges verlor der Regierungsbunker Anfang der 90er- Jahre seine wesentliche Funktion. Die letzten der ehemals rund 200 dauerhaft dort Beschäftigten verließen 1997 ihren stellenweise mehr als hundert Meter tief im Fels verborgenen Arbeitsplatz.

Der Rückbau des vermeintlich atombombensicheren Verstecks für maximal 3000 Bonner Politiker und Beamte erfolgte zwischen 2001 und 2006 – angeblich aus Gründen des Umweltschutzes. Sickerwasser drohe Asbest und bleihaltige Wandfarbe auszuwaschen, hieß es. Doch Kenner des Bunkers vermuten, dass „den Bürgern draußen im Lande“ verborgen bleiben sollte, wie aufwendig die Polit-Elite und ihre Beamten sich im Ernstfall verkriechen konnten, während es in den sechziger Jahren nur für ein Prozent der Bundesbürger mehr oder minder taugliche Schutzräume gab.

Nur nach den Anschlägen vom 11.September 2001 wurden die kurz zuvor begonnenen Abbrucharbeiten für drei bis vier Wochen unterbrochen, um zu prüfen, „ob die Anlage vielleicht doch noch gebraucht werden könnte“, erzählt Jörg Diester, der ein Buch über das Bauwerk veröffentlicht hat. Nach dem vollendeten Abriss blieb ein 17 Kilometer langes, völlig leeres Tunnelsystem zurück.

Für den Heimatverein „Alt Ahrweiler“ hat Diester 40 Ehrenamtliche geschult, die seit dem 1. März Besuchergruppen durch das „Dokumentationszentrum Regierungsbunker“ geleiten. Gleich am ersten Wochenende haben rund 1500 Interessierte das neue Museum in Bad Neuenahr-Ahrweiler besucht – trotz stürmischen Wetters. Zwar hat der Bund als Eigentümer das Museum eingerichtet, doch alle laufenden Kosten trägt der Heimatverein. „Wir sind dazu verdammt, dass es ein Erfolg wird“, sagt Diester.

Das Museum erschließt rund 200 Meter des ehemaligen Regierungsbunkers. Das entspricht gut einem Prozent des mehr als 17,3 Kilometer langen „Rosengartens“ – so der Deckname des Geheimprojekts, angelehnt womöglich an Konrad Adenauers Liebe zur Rosenzucht. Zu besichtigen sind unter anderem das Eingangsbauwerk mit Sicherheitsschleusen und Drucktoren, Schlafräume, Sanitätsbereiche, Dekontaminationskammern, Teile des Kontrollzentrums und des Besprechungsraums des Bundespräsidenten. Selbst in diesem eher bescheidenen Teil des Stollensystems wird Besuchern anschaulich vermittelt, wie bedrohlich in den 60er- und 70er-Jahren ein atomarer Schlagabtausch auf deutschem Boden war.

Für einen solchen musste auch die Bundesrepublik sich rüsten, nachdem sie 1955 der Nato beigetreten war. Auch nach einem atomaren Erstschlag der Sowjetunion sollte das westliche Militärbündnis handlungsfähig bleiben – zumindest einen Monat lang. „Die Fähigkeit, den Feind zu besiegen, wird entscheidend davon abhängen, diese ersten 30 Tage des Krieges zu überleben und während dieser Zeit die Überlegenheit zu erringen.“ So heißt es in einem Strategiepapier der Nato mit dem trefflichen Namen „C-M (55) 48 final“.

Niemals jedoch konnte der deutsche Regierungsbunker die Nato-Anforderungen erfüllen. Denn sie sahen vor, alle nationalen Schaltzentralen mindestens 300 Meter tief im Untergrund zu errichten. Doch beim Bunker im Ahrtal – angelegt beiderseits von zwei nie genutzten, zusammen 2,6 Kilometer langen Eisenbahntunneln aus der Kaiserzeit – war die schützende Deckschicht aus Grauwacke und Tonschiefer stellenweise nicht nur brüchig, sondern höchstens etwa hundert Meter dick.

Schon ein Volltreffer mit einer „kleinen“ Fünf-Megatonnen-Bombe hätte den Hügel über dem Bundes-Versteck etwa 300 Meter tief ausgehöhlt, sagt Jörg Diester. „Dann wären der Bunker und die 3000 Schutzsuchenden als radioaktiver Fallout über ganz Europa niedergegangen.“

Wer den Bunker heute durch das neu errichtete Museumsgebäude betritt, muss zwei je 25 Tonnen schwere Abschlusstore passieren – ein Paar davon riegelte seinerzeit jedes der vier früheren Zugangsbauwerke vor den Eisenbahntunneln ab. Auf sie folgten weitere Stahlsperren. Die an Ort und Stelle mit Beton ausgegossenen großen Tore wurden ihres Gewichtes wegen ganz zu Anfang an den künftigen Haupteingängen montiert und erst dann umbaut – „so als würde man das Haus um die Haustür herum errichten“, veranschaulicht es Jörg Diester.

Die Tore schlossen früher unter dem nervenden Geräusch einer Hupe und dem Blinken einer Warnlampe binnen 15 Sekunden; von Hand gekurbelt dauerte es mindestens 20 Minuten. „Sobald die Tore geschlossen waren, haben manche Übungsteilnehmer klaustrophobische Ängste bekommen“, berichtet Bunkerführer Karl Meyer. Während der zweijährlichen Übungen, vor allem aber im Katastrophenfall sollten Psychologen, Seelsorger und nicht zuletzt reichlich Valium-Tabletten oder Alkohol die Nerven im Zaum halten. Für Stromausfälle lagen 10 000 Kerzen bereit.

Bevor es in die Tiefe des Berges ging, musste ein Teil der aus Bonn herbeigeeilten Auserwählten den sogenannten Entgiftungstrakt passieren. „Man nahm an, dass ein Drittel der 3000 einrückenden Menschen verstrahlt sein würden“, sagt Karl Meyer. Erst waren die Kleider abzulegen, dann ging es unter die Dusche. Zusätze aus Ameisen-, Zitronen- und etwas Salzsäure sollten die radioaktiv verseuchte Haut reinigen.

Generell wurde Sauberkeit hochgehalten. An etlichen Wänden des Bunkers stand die Mahnung: „Halte selbst hier alles rein, und jeder kann zufrieden sein.“ Während draußen die Atombomben alles vernichteten, sollte drinnen „typisch deutsche Gründlichkeit“ walten, wie Meyer es ausdrückt.

Zu putzen gab es genug: Der dürftig eingerichtete Führungsbunker barg 936 Unterkunftsräume und 897 Büroräume, zusammengenommen eine Nutzfläche von 83 800 Quadratmetern – Platz genug für 32 Notausgänge, Friseursalons, Krankentrakte und ein Fernsehstudio für Durchhalteparolen des Bundeskanzlers. Zum „Rosengarten“ gehörten ferner zwei eigens errichtete Autobahn-Zubringer und ein 1,9 Kilometer langer Abschnitt der nahen A 61 bei Meckenheim, der sich rasch in einen Notflugplatz verwandeln ließ.

Allein die Baukosten des Bunkers beliefen sich – im Wert von 1970 – auf 470 Millionen Mark, zehnmal so viel wie 1959 veranschlagt. Zusammen haben Bau, Umbau und der Unterhalt bis 1997 die Steuerzahler – nach heutigem Wert und soweit belegbar – rund 2,4 Milliarden Euro gekostet. Jörg Diester zufolge war der Regierungsbunker die bislang „teuerste Einzelinvestition in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“.

Um sie geheim zu halten, musste die Bundesregierung die Baukosten nicht nur kunstvoll in diversen Haushaltplänen verstecken; es wurden sogar Landkarten des Ahrtals manipuliert. Doch etliche Bauarbeiter, Wachen und mancher Einheimische waren im Bilde. „Und auch die Stasi wusste sehr gut Bescheid, von Anfang an“, urteilt Diester. „Die haben sich in den Kneipen hier im Ahrtal zu den Bauarbeitern an den Tisch gesetzt und Bier mit ihnen getrunken.“ Ein am Bau Beteiligter sandte sogar fleißig Unterlagen nach Ost-Berlin. Von allen „geheimen“ Übungen kursierten dort bis zu hundert Seiten dicke Berichte – und eine Kurzversion für Erich Honecker.

Am Ende hätte die Bundesregierung einen Atomschlag vielleicht gar nicht in ihrem Bunker abgewartet. Es gab Planungen, im Ernstfall per Lufthansa nach Orlando in Florida zu flüchten – Startbahn sollte die A 61 sein.

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