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Reisetagebuch Tag 11: Im Passat mit Hybridantrieb

Fliegende Fische und Gläser, ein unsichtbarer Wal und zum krönenden Tagesabschluss eine italienische Nacht unter funkelndem Firmament. Mit der „Sea Cloud“ über den Atlantik. Das exklusive Bordtagebuch.

Schon am Vorabend bekommen die Gäste das Programm des kommenden Tages auf die Kabine gelegt. Mit dem „Wort zum Montag“:„Leider erkennen wir die Fehler unserer Nächsten meist schneller als unsere eigenen und halten sie auch für schwerer erträglich.“ (Anonym.) Ob der Veranstalter den Passagieren etwas mitteilen möchte? Na, es werden ohnehin nur wieder die Falschen drüber nachdenken.

Tag 11, Montag, 12. Dezember 2011

06:14 Uhr

Katherine aus den USA dreht wie immer ihre Runden an Deck. Heute ist sie schwerer als gestern. Das liegt allerdings nicht am guten Essen an Bord. Vielmehr hat sie sich mit Gewichten beschwert. Die sehen aus wie Staffelstäbe, wiegen aber erkennbar mehr. Katherine hält sie in den Händen, stemmt sie während des Laufes auf und ab. Sie bringt es im Extremfall auf 150 Umrundungen der „Sea Cloud“ – das wären 30 Kilometer. 100 Runden über das Schiff sind es bei ihr wenigstens, 80 hat sie schon geschafft als uns ein Sonnenaufgang wie aus dem Bilderbuch erwartet – hinter den Nebelbäuschchen am Horizont. Bernhard zeigt sich auch schon, hat seine dolle Spiegelreflexkamera jedoch in der Kabine gelassen. Zu oft ist er, sind wir, in den vergangenen Tagen von diesigem Wetter enttäuscht worden. Jetzt ärgert er sich aber doch.

 06:16 Uhr

Hinter den Watteflocken aus Wasser entwickelt die Sonne ihre ganze Strahlkraft. Sie glitzert auf den frisch lackierten Teakholz-Aufbauten der „Sea Cloud“. Der Tag beginnt also wahrhaft glänzend. Bernhard kaut an einem Problem. Er hat seinen festen Arbeitsplatz in einem großen Softwareunternehmen verlassen und arbeitet seit zwei Jahren freiberuflich. „Ich würde mich ja ein Jahr auf dem Schiff einmieten“, sagt er. Geld hätte er dafür. Seinen Geschäften könne er ja auch von Bord aus nachgehen, denkt er laut weiter. Doch dann hält er inne: „Das Internet müsste schneller sein.“ Mitten im Atlantik sind wir allein auf die Satellitenfunkanlage angewiesen. Und wir bewegen uns, gelegentlich auch ruckhaft. Da kann eine bestehende Verbindung schon mal abbrechen. Lästig, wenn man einen Job machen muss.

07:32 Uhr

Über der Wasseroberfläche sind sogenannte fliegende Fische zu sehen. Sie fliegen natürlich nicht, sondern gleiten nur ein gutes Stück durch die Luft, wenn sie sich aus dem Wasser katapultieren. Gut, dass Niels aus Sylt schläft und noch nicht aktiv ist. Er ist sieben Jahre lang zur See gefahren, weil er den Hotelbetrieb seiner Eltern nicht übernehmen wollte (hat er dann aber doch nach der Seefahrerei). Niels weiß nämlich, was Seemann aus fliegenden Fischen machen kann: wunderbare Wandbilder.

Und das geht so: Fliegende Fische kann man fangen oder man wartet, bis sie angesegelt kommen. Zum Beispiel durch die Wasserfenster –  das sind die Öffnungen in der Bordwand für die Taue. Dann sind die Fische nur noch auszustopfen. „Wie geht das denn, Niels?“. Mit Tabak. Ja klar, hätte man ja auch selber drauf kommen können. Niels sagt: „Der Tabak frisst die Eingeweide auf.“ Und dann? „Und dann haben wir sie noch an Bord auf Bretter genagelt und wenn sie getrocknet waren, lackiert.“ Sicher mit der gleichen Farbe, mit der sie die Teakholzaufbauten gestern gestrichen haben. Seemann kann allerdings auch anderes mit fliegenden Fischen anrichten: „Wir Matrosen haben sie gebraten wie Heringe“, sagt Niels.

Wal in Sicht...

08:12 Uhr

Kreuzfahrtdirektorin Gabi Eidam ist völlig aus dem Häuschen. „Da hinten war’s, da hinten“, ruft sie. Na, was denn? „Ein Wal, achtern war er. Ich hab’ ihn ganz genau gesehen.“ Na, da schau’n wir doch mal. Nix zu sehen. Vermutlich ist der Wal einfach abgetaucht. Wenn da überhaupt so etwas wie ein Wal war. Kann ja auch ein Unterwasservulkan gewesen sein, dessen Fontäne Gabi gesehen hat. Denn seit wir unseren Lektor Erich Übelacker zum Thema „Das Innere unserer Erde“ gehört haben, möchten wir Passagiere in dieser überaus bewegten Meereslandschaft gar nichts mehr ausschließen.

09:30 Uhr

Unser 1. Offizier Christian Haas ist wieder kurz angebunden. Von dem auf heute verschobenen Frage- und Antwortspiel über „Segeln im Allgemeinen und Rahsegeln im Besonderen“ ist keine Rede mehr. Dieses Mal ist er verhindert, weil eine Feuerwehrübung ansteht. Schade eigentlich. Hätte heute besonders gut gepasst: strahlend blauer Himmel mit Schönwetterwölkchen. Dazu ein Segelwind vom Feinsten. Die alte „Sea Cloud“ macht Fahrt, als sei sie frisch getauft. Hass lobt den Kapitän Wladimir Pushkarew, der uns alle dahin gebracht hat, wo wir heute sind: 21 Grad, 51 Minuten nördlicher Breite, 40 Grad, 41 Minuten westlicher Länge.

„Auf einer Langstrecke immer einen optimalen Wind zu finden, der eine schöne Fahrt ermöglicht, ist eine unheimlich diffizile Aufgabe“, sagt Haas, „die unser Kapitän hervorragend meistert.“ Kein Zweifel, der Weißrusse mit russischem Pass fährt jetzt im Passat mit Hybridantrieb. Die Diesel laufen seit drei Tagen nur noch zur Stromerzeugung. Die Sonne wärmt, der Wind kühlt. Der Blick auf’s Meer: schöner als jedes Gemälde. Oder jeder Wandschmuck aus fliegenden Fischen.

12:43 Uhr

Das Schiff wird einmal kräftig hoch gehoben und fällt wieder zurück in das nächste Wellental. Liegt gut im Wasser unsere „Sea Cloud“. War da etwa doch ein Wal unterwegs? Der Seegang hat jetzt ganz schön zugenommen. Was übrigens mit dem Wind nichts zu tun hat. Und so fällt das Schiff zurück ins nächste Wellental. In der Bordbar scheppert es, eine Ladung Gläser geht zu Bruch. „Das war eine Monsterwelle“, glaubt eine Mitreisende. Na, das ist übertrieben. 30 Meter hoch war sie nicht, vielleicht sechs. Mancher Querläufer schlägt über die Reling. Dennoch sind keine fliegenden Fische an Bord zu sehen.

16.22 Uhr

Der Bootsmann bewegt sich mit einigen Kollegen vom Vorder- zum Achterdeck, um etwas zu reparieren. Auf dem Rückweg begegnen sich zwei Welten. Bootsmann im Blaumann trifft auf  Damenkränzchen, das auf dem Promenadendeck Crossbocchia spielt. Eine Art Boule, bei dem die Spielgeräte jedoch nicht rollen. Das Schiff „rollt“ ja schon genug. Die „Kugeln“ sind kleine, mit Reis gefüllte Säckchen, die mit einem Wurf möglichst nah am „Zielball“ platziert werden müssen. Der Bootsmann stoppt, staunt, und geht schließlich leicht irritiert weiter.

19:30 Uhr

Abendessen. Das Lido-Deck ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Tagesvorschau hatte mit „Antipasti – Pasta – Pizza“ nicht zu viel und nicht zu wenig versprochen. Dass in der so geschaffenen „italienischen Atmosphäre“ auch ein gepflegtes deutsches Bier nicht im Abseits stehen muss, macht die Küchenmannschaft um Matthias Leischnig (Chef de Cuisine) vor. Erst mal einen Schluck trinken, dann kann’s mit der Bedienerei losgehen. Prost, wie der Italiener sagt. Auch den Reisenden wird kräftig ein- und nachgeschenkt. Keiner kommt zu kurz.

21:30 Uhr

Wenn wir unseren Lektor Erich Übelacker hören, bekommen wir einen Blick für das große Ganze, das er uns mit einfachen Vergleichen nahe bringt: „Was wir hochtrabend Raumfahrt nennen, das ist nur eine Straßenbahn in unserem Sonnensystem.“ Schließlich sind die weitesten Himmelskörper, die wir sehen können, 13 Milliarden Lichtjahre entfernt. Einige sind so weit weg, dass das, was wir sehen, schon gar nicht mehr wahr ist. Seit dem Sonnenuntergang hatte Erich den Blick heute wieder und wieder nach oben gerichtet.

80 Prozent des Weltalls bestehen ohnehin schon aus Dunkelmaterie. An diesem Abend waren es vielleicht noch ein paar Prozentpunkte mehr. „Na ja, besser als gar nichts“, sagt Übelacker als er zum Vortrag anhebt. „Sternenbeobachtung“ steht auf dem Programm und zwar auf dem Achterdeck. Doch einige Wolken verstellen die Sicht. „Den Mond habe ich schon klar ausgemacht“, scherzt Niels aus Sylt und hält sich mit seinem Freund Günter in Seilen des Besam-Querbaumes fest.

Mit einem „Starpointer“ zeigt Erich nun in die Sternennacht. Bis zu 400 Meter weit in die Höhe reicht der grüne Leuchtstrahl. Niedrig fliegende Flugzeuge sind in dieser Gegend ja gottlob nicht zu erwarten und so kann Erich ordentlich funzeln. Wir liegen derweil auf den Schaumstoffkissen im Heck und lassen uns verzaubern, von Venus und ihren Freundinnen. Doch dann ein Schreck: „Wenn ein Stern explodiert“, sagt Erich Übelacker, „müssten wir nachts keine Straßenlampen anschalten.“ Leicht beunruhigt gehen wir nach dem Vortrag schlafen. Es wird doch wohl dunkel bleiben?!

Die Reisekoordinaten

Position um 8 Uhr morgens:

21 Grad, 51 Minuten nördlicher Breite,

40 Grad, 41 Minuten westlicher Länge

Wassertiefe: zirka 4600 Meter

Außentemperatur: 25 Grad Celsius

Wassertemperatur: 24 Grad Celsius

Luftdruck 1015 Hektopascal

Fahrtgeschwindigkeit aktuell unter Segeln: 11,3 Knoten

(alle Rahsegel gesetzt, nachts ohne Skysegel, keine Stagsegel und kein Besan)

Nachtfahrt ohne Motorunterstützung

Gesegelte Entfernung von Sonntag, 11.12.2011 (8 Uhr)

bis Montag, 12.12.2011 (8 Uhr): 220 Seemeilen

Windstärken 5 bis 6 unverändert aus östlicher Richtung

Entfernung bis zum Fahrtziel St. John's (Antigua): 1236 Seemeilen (=Reststrecke).

Zurückgelegte Gesamtstrecke: 2032 Seemeilen

Gegen 9 Uhr wurde 1000-Seemeilen-Marke, die nur unter Segeln zurückgelegt wurden, überschritten

Rücklaufender Golfstrom schiebt weiterhin mit 0,5 Knoten

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