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Grandioses Wellenschauspiel. Während draußen der blaue Ozean tobt, geht es auch an Bord der „Sea Cloud II“ turbulent zu – ein Bombenalarm wurde ausgerufen.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 14: Ein Wolkenbruch ist noch kein Schiffbruch

Herrlich! Das Wetter wird immer schlechter. „Wir lieben die Wogen, die tosenden Wellen...“ - diese Shanty-Zeilen liegen uns schon auf den Lippen. Nur von eiskalten Winden kann keine Rede sein. Kapitän Evgeny Nemerzhitskiy segelt weiter mit beeindruckendem Tempo.

Am Vormast hält das Zeug nicht mehr so richtig. Es liegt sicher nicht am Kapitän, dass sich im Focksegel ein Riss aufgetan hat, ein kleiner nur. Die Reparatur hat noch Zeit – das Tuch wird uns vor Barbados kaum um die Ohren fliegen. Unser Kapitän muss voran machen, damit wir rechtzeitig ankommen. Eine ganz schöne Herausforderung, denn der Wind ist ja nicht auf Bestellung da, und wenn die „Sea Cloud“-Großsegler unter Motor fahren müssen, gibt es immer unzufriedene Passagiere.

Früher hatte die Kapitäne mehr Zeit, sie waren nicht an enge Fahrpläne gebunden. Eine Atlantiküberquerung konnte auch schon einmal drei oder mehr Wochen dauern. Wie dem auch sei, morgen ist unser letzter Tag auf See – Zeit ist Geld, das gilt für Reederei wie für Passagiere. Und die amerikanischen Gäste haben ja auch – soweit sie noch berufstätig sind – selten länger als zwei Wochen Zeit für solch ein Abenteuer.

Uns ist derzeit alles recht. Immerhin ist die „Sea Cloud II“ heute zeitweise mit bis zu 11 Knoten unterwegs. 473 nautische Meilen sind es am Morgen noch bis Barbados. Da wir bei Ostwindstärke 6 nahe an der Höchstgeschwindigkeit laufen, liegen wir über dem errechneten Schnitt. Und wenn wir mit unserer formidablen Regenfront in Barbados einlaufen sollten: auch schön! Es hat aber auch geschüttet heute! Länger als eine Stunde habe ich mit meinen Regenklamotten am Vormast gestanden und alles was von oben kam auf mich einprasseln lassen. Ich würde es nicht mit einer Reinkarnation vergleichen, aber im warmen Wolkenbruch inmitten der aufgewühlten See fühlte ich mich wie ein Teil des Spektakels. Der Mensch besteht ja auch – an und für sich – überwiegend aus Wasser.

Gedanken über schmutzige Angelegenheiten

Doch zurück zum stofflich Fassbaren: Was wird eigentlich aus unseren Abfällen, wenn wir auf hoher See im Luxus schwelgen? Die Antwort ist: Im nächsten Jahr wird alles noch besser. Dann treten nämlich neue internationale Richtlinien in Kraft, so die erste Offizierin Kathryn Whittaker. Der Müll an Bord wird in fünf Kategorien eingeteilt: Essen, Papier, Glas, Dosen und Metall sowie Plastik. Das „Schwarzwasser“ – also Fäkalien – wird mit der bordeigenen Kläranlage gereinigt.

Unter der Losung „Keiner schafft den Plan allein, alle wollen Helfer sein“ werden die übrigen Abfälle zunächst einmal getrennt. Das ist heute schon so. Die Essensreste und auch das Plastik wandern in einen Kühlraum: Jeder kennt den Gestank, der einem „Gelben Sack“ entweichen kann. „Wir haben alles schon so, wie es sein soll“, sagt Whittaker. Heute kann 12 Seemeilen vor der Küste noch Essen über Bord gehen, ab Januar 2013 geht das nicht mehr.

Die bordeigene Müllverbrennungsanlage der „Sea Cloud II“ – vorgesehen für Papier- und Kartonreste – kam während eines Werftaufenthaltes in unserem Abfahrtshafen Las Palmas selbst auf den Müll: Die Rußreste machten sich nicht so hübsch an Bord des Großseglers – auch die Passagiere hatten wenig Verständnis für die die schwarzen Einsprengsel auf ihrer Kleidung. „Die Müllverbrennungsanlage haben die in Las Plamas mit Presslufthämmern aus unserem Maschinenraum gestemmt“, erzählt der „Chief“ der „Sea Cloud II“, Klaus Günther.

Er ist „der Erste“ unter den Technischen Offizieren, die mit den „Nautischen Offizieren“ auf der Brücke korrespondieren. Eine Maschine zur Zerkleinerung von Essensresten gebe es nach seinem Wissen an Bord der „Sea Cloud II“ noch nicht. Aber was nicht ist, wird bis zum 1.1.2013 sicher noch werden.

"Zum Untergang würde ich einen Spätburgunder empfehlen"

Doch das alles ist ohnehin nicht so richtig Günthers Sache. Ihm ist die Maschine ein Herzensanliegen. „Herz der Marine ist die Maschine“, sagt er. Nun ist die „Sea Cloud II“ aber ja kein Marine-, sondern ein ziviles Segelschiff, was für den Chef aller Maschinisten an Bord auch Vorteile bringt. „Wenn der Hobel läuft, ist man nachts immer mit einem Ohr an der Maschine.“ Nun kann der Chief nachts auch mal ein Auge zudrücken. Unser Anteil an Seemeilen unter Segeln dürfte inzwischen jenen leicht übersteigen, den wir unter Motor gelaufen sind.

So sieht Günther, der erst seit einem halben Jahr dabei und zuvor auf Container-Schiffen gefahren ist, einigermaßen entspannt aus. Er muss derzeit eigentlich nur darauf achten, dass seine beiden Generatoren laufen, damit wir an Bord nicht mit Petroleumlampen herumlaufen müssen. „Beide Generatoren laufen nur auf halber Kraft“, sagt Günther, „da haben wir also noch was lose.“ Ein elektrischer Blackout an Bord ist damit ausgschlossen. Sieben Crew-Member arbeiten im Maschinenraum. Das sind neben dem leitenden Ingenieur Klaus Günther noch der zweite und dritte Ingenieur, sowie Elektriker, Schlosser und zwei Öler. Nicht nur wegen der Öler läuft die Maschine in der Karibik wie geschmiert: Wenn die Motoren angeworfen werden müssen, weil der Wind fehlt, werden im Maschinenraum im Bereich der Hauptmotoren 46 Grad Celsius gemessen.

Zu Günthers Reich gehören auch vier Frischwassertanks mit je 200 Tonnen für die tägliche Frischwasserproduktion. Bis zu 60000 Liter Frischwasser werden dem Atlantik pro Tag abgerungen. Wir müssen den „Chief“ unbedingt noch einmal fragen, ob an dem Gerücht was dran ist, dass Philippiner aus der Crew nachts in den Frischwassertanks angeln dürfen, weil immer wieder mal ein Fisch oder anderes Getier in die Ansauganlage gerät.

Heute gab es an Bord übrigens eine Bombenwarnung. Die Crew war zu einer Übung angetreten. Wovon geht ihr aus, was soll passiert sein? „Auf dem Lido-Deck ist eine Flasche Barcardi explodiert“, antwortete einer der Kellner vom Lido-Deck. Auch unserem anderen Mitarbeiter aus der Hotellerie an Bord machte die Frage nach dem Woher und Wohin Spaß: „Als Wein würde ich zum Untergang einen Assmannshäuser Höllenberg, einen Spätburgunder, empfehlen.“

Unter diesen Vorzeichen konnte die Übung der Crew nur ein Knaller werden; natürlich wurde der Sprengkörper gefunden (die Barcardi-Flasche war es Gott-sei-Dank nicht). Morgen gibt es für Passagiere und Mannschaft noch mehr Gründe zur Freude: Langsam dürfte Barbados in Sicht kommen. Das freut mich persönlich für die beiden Seeschwalben, die sich zunächst an Bord gerettet hatten. Sie waren heute nicht mehr zu halten. Beauty-Queen Urs musste sie freilassen: Die Flügelschläge waren zu heftig geworden. Wenn Land in Sicht ist, gaben Kapitäne früher aus solchen Anlässen gerne einmal (zollfreien) Rum aus. Dieser Brauch scheint sich bis heute – unter veränderten finanziellen Vorzeichen – gehalten zu haben. In den Mannschaftsquartieren steht es Schwarz auf Weiß:

„Dear Crew,

Crew Canteen will bis open

11.12.2012

17.00-17.30

Captains order:

1 bottle of spirit per person per month

1 case of beer per person per week

For your information

We can open the crew canteen only when we are at sea“

What shall we do with the drunken sailor?

Diese Frage dürfte sich auf der „Sea Cloud II“ nicht stellen. Zumindest nicht auf See.

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