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Ideales Segelwetter für die Sea Cloud, die derzeit circa 300 Seemeilen nordöstlich von Madeira bei Windstärken um die 6 plus übers Meer zieht.

© Hansa Treuhand

Reisetagebuch Tag 2: "Nice and speedy"

Auf der "Sea Cloud" über den Atlantik. Ein Bordtagebuch. - Tag 2: Frühstück bei Windstärken um die 6 plus.

Tag 2, Sonnabend, 3. Dezember 2011

Position: 35 Grad Nord, 11 Grad 30 Minuten West.

Circa 300 Seemeilen nordöstlich von Madeira.

Kein Schiff nirgends,  nicht mal ein Ruderboot. Einfach nichts Schwimmendes zu sehen auf dem Atlantik. Die „Sea Cloud“ scheint hier auf ihrer Reise in wärmere Gefilde allein unterwegs zu sein. Immerhin: Am Morgen sind viele Kondensstreifen von Flugzeugen am strahlend blauen Himmel und zwei niedrig fliegende Möwen zu sehen: Ferienflieger wohl allesamt – auf dem Weg nach Madeira oder zu den Kanarischen Inseln. Unser Ziel hingegen ist die Karibik: St. John’s auf Antigua.

Fast alle „Lappen“ sind gesetzt und wir machen den gesamten Tag über ordentlich Fahrt. „Ich bin fast von meiner Wasserflasche erschlagen worden“, berichtet ein Mitreisender von seiner durchwachten Nacht. Und nicht nur die Flasche habe sich selbstständig gemacht. Neptun hatte ihn auch ohne Unterlass von einer Seite seiner Matratze auf die andere bewegt. Ein „Rolling Home“ der besonderen Art. „Das Bild hängt schief“ – an diesen Loriot-Sketch musste wohl mancher deutsche Reisende an Bord denken. Hier rutschen Bücher von der Ablage, dort liegt eine Zahnbürste auf dem Boden. Wird es in der kommenden Nacht wieder so sein, wird das Wetter womöglich schlechter?

Laut Vorhersage soll es jedoch erst einmal bleiben wie es ist. Ideales Segelwetter. Windstärken um die 6 plus. Doch nicht jeder Frühstückstisch ist heute besetzt. Hier und dort genügt auch eine halbe Kiwifrucht oder eine Banane, um diesen Tag zu beginnen. Ein Hoch über dem Atlantik beschäftigt jeden auf eine andere Art und Weise.

Wir laufen zwischen acht und zehn Knoten über Grund bei einem Seegang von fünf bis sechs. „Das ist immer an den weißen Käppchen auf den Wellen zu erkennen“, sagt Christian Haas, der Erste Offizier der „Sea Cloud“. Der Horizont zeichnet sich nicht als Linie ab, sondern ist gezeichnet wie der gezackte Rand von Büttenpapier. Das sind Wellenberge. Je weißer die See werde, desto rauer, sagt Haas. Vier Meter sind die Wellen heute im Mittel hoch.

In der Bordbar auf dem Lidodeck sind einige Flaschen zu Boden und – schade, schade – auch zu Bruch gegangen. Das ist jetzt so richtiges Atlantikwetter. Wenn viele Segel gesetzt sind – wie heute auf der „Sea Cloud“ –  rollt das Schiff allerdings deutlich weniger. Wenn es keine Kreuzseen gibt, ist der Seegang gleichförmig und tatsächlich gut erträglich. Das Deck  schaukelt wie ein alter amerikanischer Straßenkreuzer, in dem die Stoßdämpfer defekt sind.

13,5 Knoten ist die bisher erreichte Spitzengeschwindigkeit der 80-jährigen alten Windjammer-Legende, die allein uncharmante Landratten als „Motorsegelyacht“ bezeichnen würden. „Es gibt nicht so viele Segelschiffe auf der Welt, die diese Geschwindigkeit machen“, sagt Haas, der 1968  auf der „Gorch Fock“, dem Segelschulschiff der Bundesmarine, gedient hat und seitdem am liebsten auf Großseglern fährt. Es liegt wohl am Clipper-Rumpf, dass die „Sea Cloud“ so schnell sein kann.

Rückbesinnung auf die Segelschifffahrt.

Sie wurde 1931 als Privatjacht mit Motor auf Kiel gelegt, ist also nicht als Lastensegler ausgelegt. „Die ,Gorch Fock’ ist ein Schwerwettersegler, der kommt mit seinem Gewicht erst bei zehn Windstärken erst richtig in Bewegung“, sagt Haas. Wie unser Kapitän Wladimir Pushkarew ist auch Haas ein Mann von stämmiger Wucht und freundlichem Gemüt. Einer, den man bei einem Schiffbruch gerne in der Nähe hätte.

30 Minuten dauern Segelsetzen und Trimmen auf der „Sea Cloud“. Die „Lappen“ geben gelegentlich Geräusche von sich, als würden da einige Meter über Deck feuchte Handtücher ausgeschlagen. „Ist es nicht wie früher, zu Auswandererzeiten?“, fragt da ein Passagier einen der Amerikaner, die diesen Törn schon oft gemacht haben, weil die Vorfahren wie in diesem Fall aus Irland kamen. „Oh ja, und auf die alten Zeiten bewegen wir uns wieder zu.“ Die Amerikaner, so kommt einem unwillkürlich in den Sinn, waren und sind uns öfter mal einen Schritt voraus. Und so lässt die Euro-Krise auch an Bord der „Sea Cloud“ grüßen. Eine Rückbesinnung auf die Segelschifffahrt wäre indes das Schlechteste nicht – und umweltfreundlich obendrein.

Trotz eingeholter Segel bleibt das Schiff ordentlich in Bewegung. Zwar bemühen sich die Passagiere um einen aufrechten Gang, festhalten müssen sich aber schon. Breitbeinig locker sind allein die Besatzungsmitglieder unterwegs. Ach ja, Seemann müsste man sein… wenigstens für ein paar Schritte. Aber es geht, im wahrsten Wortsinn, einfach nicht. Und deshalb lädt der Kapitän heute Abend auch nicht – wie vorgesehen - zum Champagner ein. Auch das vorgesehene Gala-Diner mit Pushkarew ist auf einen noch unbestimmten weil unbestimmbaren Zeitpunkt verschoben.

Als Dresscode ist heute Abend daher wieder „casual“ angesagt. Die Küchencrew wird auch dankbar sein, dass sie nicht all ihre Schätze auf schwankenden Planken zu präsentieren hat. Bei diesem Seegang bleibt auch keine feuchte Seife an ihrem Platz, und das Wasser steht länger als gewohnt in der Duschtasse, weil der Ablauf in der Mitte ist. Klassischer Fall von Fehlkonstruktion für Segelschiffe, denkt die Landratte.

Trotz moderner Navigationsinstrumente, geschlossener, „unsinkbarer“ Rettungsboote und einer erfahrenen Crew bleibt bei dieser Art von Atlantiküberquerung, fernab von Schifffahrtsstraßen, ein Restrisiko. Im Fall des Falles käme uns wohl kein Schiff rasch zu Hilfe. Und mal kurz mit 25 Knoten einer Schlechtwetterzone ausweichen, das können wir mit der „Sea Cloud“ auch nicht. Dennoch: Wer zwei Wochen (und wie einige Gäste noch länger) auf dem Viermaster gebucht hat, dem ist Seegang lieber als Landgang. Es ist dies eines der letzten fühlbaren  Abenteuer für Kreuzfahrer – ohne Stabilisatoren und Geschmacksverstärker.

Wann denn nun endlich die Maschine ausgeschaltet werde, will ein Mitreisender beim Erklären der Segelmanöver auf dem Lidodeck vom Kapitän wissen. Die „Sea Cloud“ hat zwei Hilfsmotoren, zwei Wellen und zwei Propeller. Der Kapitän muss laut lachen – viel zu gerne ist der Russe mit seinem großen weißen Spielzeug ohne Motorkraft unterwegs, was auch ganz im Sinne des Reeders ist. „Das ist doch nur der Generator, den Sie hören“, sagt er, „Sie wollen doch Licht haben und funktionierende Steckdosen.“ Jaaa, natürlich. Das Getucker aus dem Schornstein wirkt auch gleich  schon viel leiser. Schon seit dem Morgen laufen wir nur mit Windkraft.

Zeit für Rettungsübungen.

Höchste Zeit für die Rettungsübung. Alarm: Sieben Mal kurz, ein Mal lang! Schließlich sind wir schon einen halben Tag unterwegs. Und die Seenotrettungsübung ist  aufgrund internationaler Sicherheitsbestimmungen binnen 24 Stunden nach dem Ablegen obligatorisch. Allein Kabine 24 muss nicht mitmachen. Hier hat es beim Aufrufen der Namen keine Rückmeldung gegeben. Doch die Mitreisenden dürfen in diesem (Übungs-)Fall in der Kabine bleiben, weil vermutlich unpässlich.

Immerhin: Sie sind noch an Bord und das ist die Hauptsache. „Wir wollen ja alle gemeinsam schwimmen gehen, wenn wir schwimmen gehen müssen“, sagt der Erste Offizier Haas zur Einleitung. „Hier wird auch keiner vergessen.“ Soll heißen: Wir sitzen alle in einem Boot. Und deshalb wird nicht nur beim Not- sondern auch im Übungsfall nachgesehen, wo die Gäste sind und was mit ihnen los ist. „Wenn der Alarm ertönt, hören Sie auf zu denken, atmen aber weiter und kommen mit Ihrer Rettungsweste hierher auf das Lidodeck“, doziert Haas. 

Der Rest seiner nun folgenden Demonstration zum Anlegen der Schwimmweste werde sein wie im Flugzeug, „nur schöner“. Was passiert, wenn einer über Bord geht? „Dann werfen Sie ihm einen Rettungsring hinterher oder etwas anderes Schwimmbares über Bord – diesen Stuhl hier zum Beispiel“, demonstriert der Offizier. Kork ginge auch prima. Hat aber gestern niemand dran gedacht, als wir  zwei Stunden lang von Lissabon aus auf dem Weg an die Algarve durch Plantagen mit tausenden von Korkeichen gefahren sind.

Moderne Rettungsringe sind allerdings nicht mehr aus diesem Material. Haas wiederholt seine Einweisung noch einmal auf Englisch und weist – aus Erfahrung klug – darauf hin, dass die an den Rettungswesten befestigten Pfeifen keine Souvenirs, sondern im Notfall Überlebensmittel sind. Zum Abschluss noch ein Appell an alle: „Keep your fingers crossed that we’ll keep this weather until the end of our trip.“ Na, dann hoffen wir mal, dass es nicht noch heftiger wird.

Kurz vor Sonnenuntergang schaut Haas erneut ins Wetter. „Jetzt ist es Zeit, die Segelfläche zu reduzieren“, sagt er. Nachts in die Wanten zu klettern, das müsse ja nicht unbedingt sein, zumal bei dem vorherrschenden Seegang. „Als Vorbereitung für die Nacht nehmen wir die obersten beiden Segel an den drei großen Masten weg, für den Fall, dass der Wind springt“, erklärt uns der Offizier. Man wisse ja trotz der  Wettervorhersage nie so ganz genau, was komme. „Und ohne Not muss man da ja nachts nicht hinauf – auch wenn wir das bei der ,Gorch Fock’ immer so gemacht haben.“ „Übrigens: Frauen gehören da oben nicht hin“, meint er noch.

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