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Schritt für Schritt. Bei einem 20-minütigen Walking-Training drehen die Passagiere ein paar Runden an Deck.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 7: Auf einer Wellenlänge mit dem Atlantik

„Horay and up she rises, horay and up she rises, horay and up she rises – early in the morning“. Die „Sea Cloud II“ ist seit der vergangenen Nacht so richtig voll in Fahrt – und wir mit ihr. Die Stimmung an Bord ist ganz entspannt. Ein Segeltuch ist allerdings zum Zerreißen gespannt.

Im Wind der Stärke 6 hat sich der Windjammer etwas schräg gelegt, zur Backbordseite hin. 665 nautische Meilen, ausschließlich unter Segeln gefahren, liegen hinter, 2084 noch vor uns. Am Morgen scheint die Sonne, die Außentemperatur liegt bei 24 Grad. Das Heck bricht in der fantastischen Dünung immer mal wieder ein bisschen aus. Nördlich der Kapverden bewegen wir uns wie ein amerikanischer Straßenkreuzer mit defekten Stoßdämpfern.

Und so rutschen wir in der Lido Bar mit unseren Tischen und Stühlen mal hierhin, mal dorthin, von Backbord nach Steuerbord und zurück. Es ist uns ja ganz gleich, wo wir mit unserem „Treibholz“ landen. Die Reling ist hoch genug. „Schönen guten Tag, der Herr“, sagt eine Mitreisende zu mir, der ich unfreiwillig in einem Rutsch auf die Pelle gerückt war: „Kommen Sie ruhig näher.“ Das leichte Schlingern sorgt für neue Bekanntschaften und ungetrübte Heiterkeit.

Wenn es in der Kombüse der Bar dann noch so richtig schön scheppert, Teller zu Bruch gehen und Gläser auf dem Boden zerplatzen, könnten wir lauthals singen: „Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön.“ Es gibt kein Halten mehr. Dieses Schauspiel will Tim Kröger, der Weltumsegler, gleich mal seiner Familie in Deutschland näher bringen – das Internet funktioniert ja wieder einwandfrei. Und so können seine Zwillinge sehen, wie ihr Vater an der Reling steht und gegen die Wind ruft. „Schwere See heute, Leute! Wollt Ihr mal sehen?“ Er richtet das Kameraauge seines i-Pads auf die Wellenkämme. Die Familie sieht nun ins Blaue, auf die rollende See.

Ursel, Cellistin aus Sachsen, staunt immer wieder über das Nass um uns herum. „Habt Ihr schon gesehen, dass die Schaumstoffkissen im Heck das gleiche Blau haben wie der Atlantik?“ Das kann kein Zufall sein – der Außendesigner der „Sea Cloud II“ hat ganze Arbeit geleistet. Vielleicht war es aber auch nur die Reisetablette, die Ursel rein prophylaktisch genommen hat. Am Mittagsbuffet ist sie mit dem Meer jedenfalls auf einer Wellenlänge. Sie schaut auf die Wellenberge hinter dem Schiff: „Wie lebendig das Meer ist! Wie eine Landschaft!“

Es haust und zaust also ein wenig, zu unserer großen Freude. Diese ist bei Bootsmann Mamikon Akopyan und dem Kapitän durchaus geteilt. Zwar lieben sie es, auf einem Zick-Zack-Kurs ordentlich Fahrt zu machen, doch die Segel müssen da natürlich mitmachen. Eines droht sich zu verabschieden. Am Großmast schwächelt das „Groß Royal“-Segel. Es ist an einer Stelle auf einer Länge von 50 Zentimetern quer gerissen. Bei dieser Belastung ist es eine Frage der Zeit, wann das Segeltuch in Stücke geht. Besser, man holt es jetzt ein und lässt Segelmacher Igor unter Deck mit seiner Nähmaschine ran. Noch aber hängt es in einer Höhe von rund 40 Metern.

Die Schiffsführung entscheidet sich, das Segel trotz der bewegten See vor dem Sonnenuntergang um 16 Uhr 54 zu bergen. Da verzichte ich doch gerne auf den Nachmittagskaffee und sehe zu.

„Großes Kino“ auf dem Großmast

Es ist immer etwas los! Bei der Feuerwehrübung kommt die gesamte Ausrüstung zum Einsatz.
Es ist immer etwas los! Bei der Feuerwehrübung kommt die gesamte Ausrüstung zum Einsatz.

© Reinhart Bünger

Kapitän Evgeny Nemerzhitskiy hat das Kommando und trägt die Verantwortung, sein Bootsmann übernimmt die künstlerische Oberleitung. Die 1. Offizierin Kathryn Whittaker aus Kanada fotografiert die Aktion: Das Bergen eines Segels auf hoher See während der Fahrt ist auch für sie „großes Kino“. Der 2. Offizier Sradan Boskovic aus Montenegro behält Kurs und Navigationsinstrumente auf der Brücke im Auge. Die Leichtmatrosen Jan, Hein, Klaas und Pit fahren zwar mit, doch in die Rahen des Großmastes in der Mitte des Schiffes sollen die Vollmatrosen Secondo, Freddy und Percy steigen.

„Der Alte“, der Kapitän also, sieht unruhigen Auges auf die Bewegungen der See. Bootsmann Mamikon braucht an Deck kein Walkie-Talkie, um sich verständlich zu machen. Mit lauten Rufen holt er sich einige Deckhands an die Winschen: Zunächst muss das defekte Segel hochgezogen werden und das geht mit einer Seilwinde einfacher. Drei Männer und eine Frau hängen sich zunächst richtig rein in die Seile. Mamikon dirigiert: „More, more, more – together.“

So, das wäre geschafft, den Rest müssen die beiden Winschen und die drei Vollmatrosen machen. Sie entern auf, binden das Segel zusammen und knüpfen es dann – nach und nach – von der Rahe ab. Die Augen des Kapitän sind jetzt im Gleitmodus: Von der See in die Masten, von den Männern zurück in die See und so fort. Eine halbe Stunde lang dauert die Operation – bis das zu einer Rolle zusammengeschnürte Segel an einer Leine herabgelassen wird.

Morgen soll ein neues angebracht werden. Kreuzfahrtdirektorin (und Lektorin) Patty Witzigmann hat die Operation in der täglichen Programmvorschau für den kommenden Tag, die die Passagiere während des Dinners auf das Bett gelegt bekommen, als zweiten Punkt der Tagesordnung vermerkt: 8 Uhr 30 – das neue Royal Segel wird an der Rahe befestigt. Eine Stunde zuvor gibt es ein Fitnesstraining mit Ursa, die den Wellness-Bereich an Bord betreut.

„Und da sagen sie zuhause, was willst Du denn 14 Tage auf dem Wasser?“, sinniert ein Mitreisender (und passionierter Segler). „Dass ich so etwas noch erleben darf“, sagt er scherzend mit Blick auf neue Royal-Segel. Nahtlos geht es nach Sonnenuntergang nun zur zweiten Übungsstunde des Shanty-Chors, dem ich mich angeschlossen habe. Der Chor-Probe folgt vor dem Abendessen die Rum-Probe. „Fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, Jo-ho-ho und 'ne Buddel voll Rum.“ Das sollten wir auch einmal einstudieren. Wer weiß, wofür es gut sein kann. Schließlich segeln wir in die Karibik.

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