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Wer Stille sucht, kann auf dem Vordeck ungestört vor sich hin dösen.

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 9: „The best Ships are Friendships“

Ohne Internetverbindung sind die Passagiere der „Sea Cloud II“ auf sich selbst zurückgeworfen. Flaschenpostsendungen werden als Alternativen in Erwägung gezogen und auf den Weg gebracht.

Auf diesen Tag habe ich seit unserer Abreise in Las Palmas vor einer Woche lange gewartet. Endlich! Es musste ja so kommen. Jetzt sind wir so fern der Heimat, dass selbst unser Funker Milos keine Internetverbindung mehr zustande bringt. Das liegt womöglich an den über Steuerbord gebrassten Segeln, seit wir am Nachmittag den Motor angeworfen haben, um Zeit aufzuholen. Oder an der unruhigen See. Oder an den Datenpfropfen, die Mitreisende in die Kanäle stopfen: Einige wissen gar nicht wohin mit ihren inneren Bildern und teilen sich ihren Liebsten an Land nun über eine elektronische Bilderflut mit.

Als hätte sie es geahnt: Kreuzfahrtdirektorin Patty Witzigmann (www.pwitzigmann.de) hatte in den vergangenen Tagen Leergut sammeln lassen, um den Programmpunkt „Wir verschicken eine Flaschenpost“ in das heutige Tagesprogramm aufzunehmen. Eigentlich ist das ein eher heiterer Dauerbrenner auf Kreuzfahrten. Doch angesichts der massiven Kommunikationsprobleme mit der Außenwelt geriert der Blick ins Innere zwangsläufig in den Fokus. Welche Botschaft verdient es, weitergetragen zu werden?

Ich entschied mich für die Zeile „The best Ships are Friendships.“ Diesen Sinnspruch hatte ich als „Message in a Bottle“ zwar schon vor einem Jahr an dieser Stelle in den Atlantik geworfen (18 Grad, 37,39 Minuten Nord, 30 Grad, 59 Minuten 22 West), doch nie eine Antwort erhalten. Ich glaube nicht, dass es an der Botschaft liegt. Also über Bord damit. Und zwar rückwärts. Das Etikett des portugiesischen Weißweins habe ich mit einem Sea-Cloud-Stempel frankiert, damit dürfte alles bestens sein. Es wäre natürlich ein Alptraum, wenn Neptun – Herrscher der Meere – und seine Gemahlin Tetis bei mir in Berlin auftauchen. Vielleicht hätte ich nur die E-Mail-Adresse angeben sollen.

Atlantische Botschaft. Bevor die Flaschenpost über Bord geht, muss sie noch fest verkorkt werden.
Atlantische Botschaft. Bevor die Flaschenpost über Bord geht, muss sie noch fest verkorkt werden.

© Reinhart Bünger

Meine Bank- und Aktiengeschäfte müssen also erst einmal ruhen, bis Milos seine „Sea Cloud II“ wieder im Sendemodus hat. Andere Passagiere waren nahe an der Verzweiflung, denn auch von begonnenen Satellitengesprächen mit den Liebsten an Land blieb oft nur ein Hall im All. „Wenn mein Gesprächspartner nur noch ,Hallooooho, hallooooho' sagt und er mich nicht versteht, soll ich dann sofort auflegen?“, wollte ein Mitreisender an der Rezeption wissen. Er soll, lautete die Antwort. Solche Gespräche sind zu einseitig, führen zu nichts.

Andere schon. Unsere Bordärzte Viktor Schulz (zuständig für Inneres & äußerste Beschwerden) und Franz-Josef Schwarz (Zahnarzt, hat Weisheitszähne auf Marinedampfern schon mit Kaffeelöffeln extrahiert) haben eine Menge zu erzählen. Denn sie dürfen etwas, was uns Passagieren unter Androhung von Strafen (Arrest im Mastkorb bis zum Erreichen von Barbados) untersagt ist: Sie dürfen die Mannschaftsquartiere betreten. Und da wurde gestern Abend kräftig gefeiert – ein Geburtstag.

„Es ist nie zu spät, Seemann zu werden“

Die Arbeit an Bord will gut organisiert sein – Zeitverschwendung können sich Bootsmann Akopyan und seine Crew nicht leisten.
Die Arbeit an Bord will gut organisiert sein – Zeitverschwendung können sich Bootsmann Akopyan und seine Crew nicht leisten.

© Reinhart Bünger

Beide Docs waren heute beim Frühstück noch ganz infiziert von der guten Laune unter Tage. Auch die Mitarbeiter der Bord-Wäscherei sollen bester Dinge gewesen sein. Das ist deshalb bedeutsam, weil sie äußerst selten mit Sonnenlicht konfrontiert werden. Doris, Servicekraft am Bartresen auf dem Lidodeck, hat es da besser getroffen. Sie steht den größten Teil ihrer Arbeitszeit zwar erst nach Sonnenuntergang an Deck. Aber was will das an einem so bedeckten Tag wie heute schon heißen?

Viktor benötigte gestern Abend ihren Trost. Zum Fest in der Mannschaftsmesse hatte er sich die Haare vom semiprofessionellen Bordfriseur aus den Philippinen schneiden lassen. „Sind Sie in die Schiffsschraube geraten, Herr Schulz?“, bemerkte einer der Repeater. Und Viktor war so stolz auf den Topfschnitt. Auf die kleine Arche Noah mit dem Namen „Sea Cloud II“ lässt er nichts kommen: „Hier gibt es viele Probleme nicht mehr, die wir an Land haben“, extemporierte der Bordarzt. Alles – gut: fast alles – sei geregelt. Es muss hier niemand einkaufen gehen, Geld abheben ist auch kein Thema, von langen Arbeitswegen keine Spur, keine Schriftwechsel mit Behörden, keine Knöllchen wegen falsch geparkter Fahrzeuge...

Doch das ist nur eine von Passatwinden getriebene Sicht auf die Dinge. Wer innehält, sieht, das die Crew hart arbeitet und nur wenig Freizeitmöglichkeiten hat. Bootsmann Mamikon Akopyan lebt seit 1981 in dieser Welt. Am Sonntag werden sein Lebens- und Berufsweg im Reiseteil des gedruckten Tagesspiegel beschrieben. Der 53-jährige Armenier ist ein vom Leben gegerbter Kerl, der sich über nichts mehr wundert. Am liebsten ist er mit seinen Leuten an Deck in seinem Element.

Das Ab- und Aufhängen des Royalsegels am Großmast am Dienstag bzw. Montag war für ihn nicht mehr als für uns Landratten ein Gardinenwechsel. Wobei er sich der Gefahren bewusst ist. „Alles in allem eine völlig normale Situation, während der Fahrt die Segel abzunehmen“, sagt er. „Es ist auch normal, dass sich das Schiff bewegt.“ Er achte natürlich auf die See, wenn er die Rigger hochschicke. Auch Segelmacher Igor, der heute mit der Reparatur des Risses im Royalsegel begonnen hat, sieht das ähnlich.

„Wenn es irgendwie geht, nähe ich in den Segeln während der Fahrt – dann müssen wir die nicht abnehmen, das spart Zeit.“ Unnütze Arbeit müsse an Bord vermieden werden, dazu ist auch hier das Personal zu knapp. „Man muss fair zu den Leuten sein, sonst fangen sie an, gegen etwas zu kämpfen und machen ihre Arbeit schlecht.“ So einfach ist Menschenführung, wenn man dem Bootsmann glaubt. Eine Mitreisende hat das Wesen von Mamikon Akopyan schon durch ihre Lebenserfahrung und Beobachtung erkannt. „Ich glaube, dass der zu seinen Leuten immer gerecht ist“, sagt sie.

Nicht die schlechteste Charakterschule, so ein Segelschiff, denke ich und fühle mich ertappt: „Hey, Journalist“, sagt Mamikon nach unserem Gespräch, „es ist nie zu spät, Seemann zu werden.“

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