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Gastfreundschaft fängt beim Essen an. Ion Basciu tafelt auf, was Küche und Keller zu bieten haben.

© George Popescu

Rumänien: Auf der Leiter der Tugenden

Immer war die historische Region Bukowina Bauernland. Heute entwickeln sich die Biolandwirtschaft und ein sanfter Tourismus für Feinschmecker.

Ion Baciu läuft schnellen Schrittes durch seinen Gemüsegarten, vorbei an den letzten Paprikas und Tomaten, die in der milden Sonne baden. „Die Gäste warten auf den Nachtisch, und alle anderen sind in der Käserei beschäftigt“, sagt der groß gewachsene, bullige Mann, als er die reifen Äpfel und Birnen pflückt. Es ist goldener Herbst in der Bukowina. Hinter Bacius Bauernhof reihen sich gelbe Hügel mit Heugarben, dahinter kommen nur noch Wald und Berge. Der 60-Jährige hat sein Obstkörbchen gefüllt, er eilt zurück in die Küche, um „den Käse zu organisieren“.

Noch vor hundert Jahren war das abgelegene Dorf Fundu Moldovei, Bacius Heimat, wie die gesamte Provinz Bukowina, Teil des K.-u.-k.-Reichs. In den Städten gehörte das Multikulturelle zum Alltag, Deutsch und Jiddisch wurden überall gesprochen. Das eher rumänisch geprägte ländliche Gebiet war, damals wie heute, bekannt für seine malerischen Landschaften und gut bewahrten Traditionen.

Heute teilen sich die Ukraine und Rumänien diese historische Provinz. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist den Bauern in Fundu Moldovei die Verstaatlichung und Zwangskollektivierung der Grundstücke erspart geblieben: Zu schwer zugänglich war das Gelände, zu aufwendig und unökonomisch wäre die Einführung einer industriellen Landwirtschaft mitten in den Karpaten gewesen.

Das historische Schlachthaus stand seit Jahren leer

Für Ion Bacius Eltern bot sich so die Gelegenheit, selbst vor der Wende weitgehend ungestört Schaf- und Rindviehzucht zu betreiben. Doch erst 1997 fing der ausgebildete Metzger an, über die Subsistenzlandwirtschaft hinaus einen „richtigen, schönen Bauernhof“ aufzubauen.

Gläser voller selbst eingemachter Köstlichkeiten füllen die Regale.
Gläser voller selbst eingemachter Köstlichkeiten füllen die Regale.

© George Popescu

Der erste Schritt ergab sich fast von selbst: Ein 1905 errichtetes historisches Schlachthaus stand seit Jahren leer, „niemand wusste um seine wahre Bedeutung“, erinnert sich Baciu. „Ich hatte Angst, dass die Ausrüstung aus den Zeiten von Maria Theresia irgendwann geklaut und alles aus Altmetall verkauft werden könnte. Nach langer Überlegung habe ich beschlossen, das Schlachthaus selber zu kaufen und auf den heutigen Stand zu bringen, ohne auf die historischen Elemente zu verzichten.“

Die Rechnung ging auf. Ende der 1990er Jahre entstand in Fundu Moldovei ein modernes Schlachthaus, wo die Tiere von den benachbarten Bauernhöfen auch gleich zu traditionell bukowinischen Fleisch- und Wurstprodukten verarbeitet werden.

„Am Anfang konnten wir nur sehr kleine Mengen herstellen“, erzählt der Metzger. „Die neuen westeuropäischen Supermarktketten beherrschten den Markt, ihre Massenwaren, meist importiert aus Deutschland, Österreich oder Italien, galten als zeitgemäß, und niemand wollte etwas von traditionellen Produkten hören.“

Die selbstgemachte Leberwurst schmeckt viel besser als die aus der Fleischfabrik

Erst einige Jahre später, mit dem EU-Beitritt Rumäniens 2007, eröffneten sich für Baciu und für die ganze Region neue Möglichkeiten. Rumänische Bauern bekommen, ähnlich wie ihre westeuropäischen Kollegen, Unterstützung aus den Agrarfonds der EU. Die Gelder dienen nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der allgemeinen Entwicklung ländlicher Gebiete.

In der Bukowina haben viele auf Landtourismus und traditionelle Produkte gesetzt. „Wir wussten, dass früher oder später die Zeit naht, wenn die Rumänen wieder zur Vernunft kommen und realisieren, dass eine echte Leberwurst aus der Region tausendmal besser schmeckt als eine aus einer großen deutschen Fleischfabrik“, sagt Baciu. Und freut sich: „Wir hatten recht.“

Sehr solide gebaut ist Ion Bacius Haus.
Sehr solide gebaut ist Ion Bacius Haus.

© George Popescu

Der Mann schließt eine schwere Holztür auf, der Duft von geräuchertem Fleisch und frischem Federweißen ist unwiderstehlich. Eine paar Treppenstufen runter, und schon reihen sich auf den Regalen im Vorraum bunte Gläser mit eingelegtem Gemüse nach rumänischer Art. „Klar, Salz- und Gewürzgurken, Paprika, aber auch grüne Tomaten, Sellerie und sogar Wassermelone“, erklärt Baciu, stolz auf die Vielfalt seiner Vorräte.

Eine traditionelle Mahlzeit mit vier oder fünf Gängen verkraftet kaum ein Gast

Zum Malen schön: die sanfte Hügellandschaft der Bukowina.
Zum Malen schön: die sanfte Hügellandschaft der Bukowina.

© George Popescu

Weiter hinten, vorbei an Eichenholzfässern, in denen Wein und Pflaumenschnaps ruhen, öffnet sich der Schinkenkeller. In der Mitte des großen Raums thront ein massiver Holztisch und darüber hängen die Spezialitäten des Hauses: der pikante bukowinische Bauernschinken, der Speck, viele Wurstsorten und die ebenfalls gut gewürzte Pastrami, eine geräucherte, mit Knoblauch, Chilipulver und Thymian geriebene balkanische Delikatesse.

Ion Baciu nimmt ein kurzes, scharfes Messer und schneidet dünne Scheiben aus jeder der Leckereien. Auf einen großen Holzbrett werden dann neben dem Fleisch noch frische Tomaten, geviertelte Zwiebeln aus dem Gemüsegarten und zwei großzügige Stücke vom leicht süßen, opulenten bukowinischen Bauernbrot serviert. Zur Krönung der Komposition, gibt’s noch ein paar Tropfen von einer süß-scharfen Chilimarmelade.

„Die Vorspeise ist serviert“, verkündet der Metzger mit einem Lächeln. „Wir wissen jetzt, dass nur die wenigsten Gäste eine traditionelle Mahlzeit mit vier oder fünf Gängen verkraften können. In unserer Pension wollen wir trotzdem an der Tradition festhalten und haben deshalb die ursprünglichen Mengen ein wenig reduziert. Und wenn das nicht hilft, bleibt nur noch der Pflaumenschnaps“, sagt Baciu und verzieht lachend sein rundliches Gesicht.

So oder so ist ein übliches Abendessen auf dem Bauernhof in Fundu Moldovei ein wahres Fest. Nach den Vorspeisen könnte etwa eine reiche, leicht säuerliche Hühnersuppe kommen, und dann als Hauptgericht die „sarmale“, die für Rumänien typischen Kohlrouladen mit Mamaliga, einem festgekochten Maisbrei ähnlich der italienischen Polenta. Danach werden als Nachtisch selbstgebackener Kuchen, frisches Obst und würzige Käsespezialitäten serviert.

Acht Moldauklöster stehen auf der Unesco-Welterbeliste

Zwar ist Ion Baciu einer der erfolgreichsten, aber keineswegs der einzige Kleinunternehmer der Region, der den ländlichen Charme neu belebt hat. Wenige Autominuten in Richtung Westen befinden sich in der Nähe von Vatra Dornei neue Skipisten und Wanderwege, die Erholungsmöglichkeiten mitten in einer der schönsten und gleichzeitig am wenigsten bekannten Berglandschaften Rumäniens bieten.

Aufwendig bemalt ist die Klosterkirche von Sucevita.
Aufwendig bemalt ist die Klosterkirche von Sucevita.

© Melvyn Longhurst/Alamy

Vor allem mittelalterliche orthodoxe Klöster wie Sucevita, Moldovita, Putna oder Voronet bleiben allerdings ein unverwechselbares Kennzeichen der Bukowina. Die besondere Architektur und religiöse Wandmalerei lockt seit Jahrzehnten Pilger und Besucher aus allen Ecken der Welt an. Acht der sogenannten Moldauklöster stehen auf der Unesco-Welterbeliste.

Kein Wunder, dass Touristen, etwa im Kloster Sucevita, staunend vor den vollständig erhaltenen Fresken stehen. Darunter ist die faszinierende „Stufenleiter der Tugenden“. Teufel versuchen, die auf dieser Himmelsleiter hinaufsteigenden Menschen herab in den Höllenschlund zu ziehen, während über der Leiter Engel schweben.

Von Kloster zu Kloster fuhren Studienreisende – und hielten sich zwischendurch selten irgendwo auf. Das hat sich geändert. Im Gegensatz zu früher verfügt die Region heute auch über die entsprechende touristische Infrastruktur, die den Gästen erlaubt, die Landschaft und das kulturelle Erbe bequem und authentisch zu genießen.

Lange Schlangen bildeten sich vor Ion Bacius Slow-Food-Stand

Freilich kam die Idee eines sanften Landtourismus, der auf traditionelle Produkte und Praktiken setzt, nicht von den Bukowinern selbst. „Viele Bukarester und Westeuropäer, allen voran Italiener, haben uns sehr viel mit Rat und Tat geholfen“, erzählt Ion Baciu. Um den EU-Beitritt des Landes 2007 stellte sich für viele Gourmets mit Rumänienkenntnissen die Frage, welche lokalen Produkte mit dem europaweiten Siegel „Geschützte geografische Angabe“ gekennzeichnet werden könnten.

Nach einem ersten medienwirksamen Erfolg der Pflaumenmousse aus Raureni, die dann zu einem Verkaufsschlager in ganz Rumänien und darüber hinaus wurde, wuchs das Interesse des mittelständischen Publikums, vor allem in den Großstädten, an traditionell hergestellten Landwirtschaftsprodukten.

Dabei hat die Slow-Food-Bewegung eine entscheidende Rolle gespielt. Die engagierten Vertreter dieser ursprünglich in Italien gegründeten Organisation waren die Ersten, die Ion Baciu vorschlugen, seine Produkte nicht nur lokal zu verkaufen, sondern auch nach Bukarest zu bringen.

In der Bukowina geht es noch mit Pferdestärke voran.
In der Bukowina geht es noch mit Pferdestärke voran.

© imago

„Als ich zum ersten Mal auf einen Slow-Food Markt in der Hauptstadt eingeladen wurde, habe ich rund 400 Kilo Fleisch- und Wurstspezialitäten in einen Wagen geladen und bin einfach losgefahren, ohne genau zu wissen, worum es eigentlich geht“, erinnert sich der Metzger. „Der Markt sollte drei Tage dauern, aber schon in den ersten Stunden haben sich solche Schlangen vor unseren Ständen gebildet, dass wir gezwungen wurden, nicht mehr als ein Kilo pro Person zu verkaufen, um nicht gleich zurück nach Hause fahren zu müssen.“

Einmal zurück auf dem Bauernhof stellte sich natürlich die Frage, ob die Produktion und das ganze Geschäft nicht etwa expandieren sollten. Aber da ist Ion Baciu, wie viele andere in der Region, eher zurückhaltend: „Wir konzentrieren uns auf eine reine Biolandwirtschaft, auch wenn wir das EU-Biosiegel noch nicht verwenden dürfen, wir setzen auf extensive Viehzucht und wir nutzen lokale Rezepte. Wir können natürlich wachsen, aber nur innerhalb dieser Grenzen.“

Tipps für die Bukowina

ALLGEMEINES

Die Bukowina (rumänisch Bucovina) ist eine historische Landschaft im Grenzraum zwischen Mittel-, Südost - und Osteuropa. Die nördliche Hälfte gehört zur Ukraine, die südliche zu Rumänien.

ANREISE

Nächstgelegener Flughafen zur Entdeckung der Bukowina ist Iasi in Rumänien. Von Berlin aus gelangt man zum Beispiel mit Air Berlin über Bukarest oder mit Air Austria über Wien dorthin. Flugpreis zwischen 430 und 480 Euro. Eine Autofahrt von Bukarest bis in die Bukowina dauert knapp acht Stunden.

UNTERKUNFT

Casa Baciu, Strada Secari 4, Gemeinde Pojorata, Dorf Fundu Moldovei, Landkreis Suceava, Telefonnummer: 0040/ 720 944 914.

VERANSTALTER

Eine achttägige Reise durch die Bukowina mit Start in Iasi bietet etwa der Schweizer Veranstalter Gaea Tours. Sie findet 2016 im Mai und im September statt ( maximal 14 Teilnehmer). Die Reise kostet 1650 Euro pro Person im Doppelzimmer, mit deutschsprachiger Reiseleitung, Halbpension, Begegnungen mit Schriftstellern und Lesungen.
Auch bei einer neu aufgelegten Rumänienreise des Kölner Studienreiseveranstalters SKR-Reisen wird die Bukowina gestreift. Die zehntägige Tour beginnt und endet in Bukarest. Sie kostet ab 1469 Euro inklusive Flug und wird 2016 an mehreren Terminen angeboten.

REISEFÜHRER

D. Stanescu: Rumänien, Michael Müller Verlag 2015, 780 Seiten, 24,90 Euro

Silviu Mihai

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