zum Hauptinhalt
Burg_Seeburg

© Marlis Heinz

Sachsen-Anhalt: Hier in die Gruft, dort zur Türmerstube

Auf rund tausend Kilometern schlängelt sich die "Straße der Romanik" durch Sachsen-Anhalt. Rechts und links locken immer mehr restaurierte Schätze.

Unter dem festgesteckten Schleier der Äbtissin lugt eine weiße Locke hervor. Beinahe keck wirkt das und mildert die Strenge der Ordenstracht. „Aus Berufung“ ist die einstige bayerische Lehrerin Gertrud vor fünfzig Jahren zur überzeugten Ordensschwester Maria Assumpta geworden. Und natürlich zögerte sie nicht, als ihr zu Zeiten der Wende eine besondere Aufgabe in Ostdeutschland angetragen wurde. Das Kloster Helfta bei Eisleben sollte wiederbelebt werden. Im Mittelalter hatte es wegen seines regen geistigen Lebens als „Krone der deutschen Frauenklöster“ gegolten.

Nach der Reformation war die Abtei aufgelöst worden. Im Bauernkrieg brannte das Klostergebäude und wurde ein paar Jahrhunderte später zum landwirtschaftlichen Betrieb umgebaut. Die Kirche diente als Heuschober. Romanik – adé. Bis sich Maria Assumpta mit sechs weiteren Zisterzienserinnen aus Seligenthal in Landshut auf dem Gelände niederließen, das inzwischen wieder dem Bistum gehörte.

Der Konvent, so erzählt die Äbtissin, habe anfangs arge Bedenken gehabt, Schwestern in die gottlose Gegend ziehen zu lassen. Und die Menschen in Eisleben hätten sie neugierig beäugt, „diese wirklich echten Nonnen“. Maria Assumpta erinnert sich „an Jahre in Gummistiefeln“ und schwärmt von der Weihe der rekonstruierten Kirche. Das war im November 1999. Ein Dach war wieder drauf, es gab Fenster, weißgetünchte Wände und beeindruckende Kunstwerke im Inneren. Die vollständige, originale Stilform war verloren, aber mit mutigen Ideen – Stahlträger über Rundbogenfenstern – entstand eine Art Dialog mit der Romanik.

Im vergangenen Jahr erhielt die Äbtissin den sachsen-anhaltischen Romanik-Preis. Vor allem wegen ihrer Energie, mit der sie die Architektur belebt. Sie leitet nicht nur das Kloster mit inzwischen 16 Schwestern, sie kümmert sich auch um die Gäste. Die bestaunen das „Wunder von Helfta“, die Auferstehung eines Klosters. Und seitdem das Kloster zu den Stationen an der „Straße der Romanik“ gehört, werden es immer mehr.

Als diese touristische Route vor 15 Jahren durch das Land Sachsen-Anhalt gezogen wurde, hatte sie 72 Stationen. Jetzt sind acht hinzugekommen. Einst fast Verfallenes ist nun so saniert, dass es stolz vorgezeigt werden kann. Die Routenführung über rund tausend Kilometer blieb dabei nahezu unverändert. Die Strecke schlängelt sich in Form einer Acht mit Schnittpunkt in Magdeburg durch das Land. Der Nordkurs verläuft durch die Altmark mit ihren zahlreichen romanischen Backsteinkirchen. Die Südroute durch den Harz bis in den Osten Sachsen-Anhalts führt vor allem zu den Zeitzeugen der Herrschaft der Ottonen, zu Domen und Burgen.

Nun wird selbst der Architektur-Interessierteste nicht 80 Bauwerke hintereinander anschauen wollen. Um die Auswahl zu erleichtern, haben die Stationen der Route jetzt Sternchen bekommen. Drei Sterne bedeuten „eine eigene Reise wert“, anders ausgedrückt: daran vorbeizufahren käme einer Sünde gleich. Mit diesem Prädikat wurden in Magdeburg der Dom und das Kloster Unser lieben Frauen geadelt. Auf der Nordroute haben der Havelberger Dom und das Kloster Jerichow die besondere Auszeichnung bekommen. Im Süden wurden unter anderem den Domen von Merseburg, Halberstadt und Naumburg, der Neuenburg, Burg Saaleck und der Quedlinburger Stiftskirche das Premiumsiegel verliehen.

Neueinsteiger in Sachen Romanik könnten sich also erst einmal an den dreifach besternten Etappenzielen orientieren. Dort ist es auch leichter, die Bestandteile der Romanik zu entdecken. Denn an anderen Stationen ist bisweilen eine gehörige Portion Vorstellungskraft vonnöten. Wie eine Zwiebel von ihren Schalen muss der Zeitreisende die Gemäuer in seiner Fantasie von dem befreien, was spätere Baumeister „modernisiert“ oder pragmatisch angebaut haben: hier ein Turm aus der Gotik, dort ein Giebel aus der Renaissance oder barocke Figuren. Doch auch Objekte niederer Kategorie sollte man nicht links liegen lassen. Kloster Helfta zum Beispiel hat „nur“ zwei Sterne, das bedeutet: „einen Umweg wert“. Dann gibt es noch einen Stern für „sehr sehenswert“ und das wohlwollende „beachtenswert“.

Ausgesprochene Architekturjuwelen sind mit den acht Neulingen nicht dazugekommen. Aber bei diesem oder jenem sollte man doch einen Stopp einlegen. Beispielsweise in Bernburg, um den Eulenspiegelturm zu erklimmen. Die Treppenstufen haben es in sich. Aber der Blick ins Saaletal und die Begegnung mit dem (mechanischen) Till Eulenspiegel, der in der Türmerstube von seiner Schlitzohrigkeit berichtet, lohnen den Aufstieg. Neu in der Runde ist auch Burg Wanzleben.

Manche der neuen Perlen an der Straße der Romanik sind indes nicht leicht zugänglich. Den Schlüssel zum Eingang der anno 1046 geweihten Krypta der Kirche auf Schloss Goseck hätte Schloss-Chef Sebastian Pank gern an seinem großen klirrenden Bund. Doch den bekommt er eben erst, wenn die Treppe, die in die Tiefe der Krypta führt, fertig ist. Im kommenden Jahr, hofft Pank, wird es so weit sein. Ähnlich kompliziert ist es, das Innere der Ägidienkurie von Naumburg zu Gesicht zu bekommen. Die Kapelle mit der seltenen Kuppel aus dem 13. Jahrhundert ist nur im Rahmen von speziellen Führungen zu betreten. Auch wer Burg und Schlosskapelle Seeburg besichtigen möchte, muss vorher zum Telefon greifen.

Eine Neuheit sollte der Romanik-Rundreisende nicht versäumen: Das „Haus der Romanik“ in Magdeburg, gleich hinter dem Dom. Die kleine Ausstellung ist der ideale Ausgangspunkt für eine Tour auf der Acht. Hier werden keine Kostbarkeiten und Originale gezeigt. Warum auch? Die gibt es draußen achtzigfach. Hier werden Geschichten aus dem Mittelalter erzählt. Multimedial versteht sich, mit Bildschirmen, Tonkonserven und Duftdüsen.

Im „Haus der Romanik“ ist Museumsführer Karl-Heinz Mett die kluge, gute Seele. Er demonstriert, wie man aus Bausteinen eine Kirche errichtet, regt an, den Klängen von Leier und Fiedel zu lauschen oder erläutert den „Zauberspiegel“, einen Bildschirm, durch den man in die Landschaft blicken kann. Und einen Geheimtipp hat er auch: Die Dorfkirche St. Thomas in Pretzin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false