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Saragossa: Die Gladiole auf dem Ebro

Mitte Juni beginnt die Expo in Saragossa. Da will die Stadt zeigen, was in ihr steckt. Und das ist eine Menge.

Der blassblaue Fluvi steht als kleines Gummiwesen in Schaufenstern, hängt metallen an Schlüsselbunden oder grüßt riesengroß von Plakaten. Es ist, als ob sich ganz Saragossa vor einem schwarzäugigen Marsmännchen verbeugt. „Aber nein“, sagt Stadtführerin Sonia lächelnd, „Fluvi symbolisiert einen Wassertropfen.“ So weist das Maskottchen der Expo 2008 treffend auf das Thema hin. Um „Wasser und nachhaltige Entwicklung“ schließlich soll sich von Mitte Juni bis Mitte September alles drehen in der aragonischen Hauptstadt. Dort, wo der Ebro eine große Schleife macht, wird auf einem 25 Hektar großen Gelände die Weltausstellung stattfinden. 3400 Veranstaltungen sind – praktisch rund um die Uhr – geplant.

Wie hatten sie gejubelt hier, als ihre Stadt 2004 – vor Thessaloniki und Triest – zum Austragungsort der Expo gewählt worden war. „Es wird höchste Zeit, dass Saragossa mal im Mittelpunkt steht“, lautet der allgemeine Tenor. Geografisch liegt die Hauptstadt Aragoniens ideal. 300 Kilometer sind es von hier nach Madrid, Barcelona oder Bilbao, und Valencia im Süden ist auch nur 350 Kilometer entfernt. Aber bisher haben sich kaum Touristen nach Saragossa verirrt. Vielleicht, weil die Aragonier es nicht verstanden haben, mit den Pfunden ihrer 2000 Jahre alten Stadt zu wuchern, und prahlerische Werbung nicht zu diesem bedächtig-bescheidenen Menschenschlag passt. Vielleicht aber auch, weil der Cierzo-Wind so oft durchs Ebrotal fegt, im Winter eisig kalt, im Sommer heiß.

Nur auf die Pilger war immer Verlass. Denn schließlich soll hier einst die Muttergottes leibhaftig erschienen sein, um den Apostel Jakob zu ermutigen, die Welt vom Christentum zu überzeugen. Auf eine Säule soll sie sich gestützt haben, eben jene, die in der barocken Basilika El Pilar von Gläubigen befühlt und geküsst wird. Oben drauf thront eine Marienfigur, der täglich ein anderer prunkvoller Mantel umgelegt wird. Weit in den Nacken legen sollte man den Kopf in dieser Kirche. Denn an der gewölbten Decke, auf 28 Meter Höhe, hat Francisco Goya das Regina Martyrum dargestellt. Eine Königin sitzt da auf Wolken, umgeben von mehr als 70 Engeln, Heiligen und fantastischen Kreaturen.

Goya wurde unweit von Saragossa in dem kleinen Ort Fuendetodos geboren, und die Stadt huldigt dem „Vollblutaragonier“ gebührend. Auf der Plaza del Pilar kann man sich neben lebensgroßen Eisenskulpturen, den Goyescos, niederlassen. Und das Museum der Stadt wirbt stolz mit seiner beeindruckenden Goya-Galerie.

Saragossa ist eine gläubige Stadt. Viele Kirchtürme ragen auf, meist im faszinierenden Mudejar-Stil. Er unterstreicht, dass die einstige Hauptstadt des Al-Andalus-Grenzgebiets auch nach der Rückeroberung durch König Alfons I. ihre maurischen Bewohner nicht vertrieben hat. „Es waren sehr gute Handwerker, und man mochte den ornamentreichen, kunstvollen Baustil“, erklärt Sonia. An der Nordwand der Kathedrale La Seu sind in der gewaltigen Backsteinmauer mit ihren kunstvollen Mosaiken gar grüne Halbmonde auf weißem Grund zu bestaunen. So tolerant war man in Saragossa? Sonia schüttelt lächelnd den Kopf. Die Keramiken seien Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden, zur Zeit des Erzbischofs D. Lope Fernandez de Luna. Die Mondsichel gehörte zu seinem Wappen, und die wollte er, ähnlich wie Sponsoren heute, am Bauwerk verewigt sehen.

La Seu spiegelt Mittelalter, Renaissance und Barock so kunstvoll, dass die Kirche 2001 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Mit ihren 18 Kapellen ist sie so riesig, dass man sich fast darin verlaufen kann. Weil viele Touristen nach der Besichtigung von El Pilar nicht noch einen Sakralbau ansehen wollen (der zudem Eintritt kostet), kann man das Juwel in Ruhe genießen.

Der Mudejar-Stil hat auch den einstigen Freudenpalast La Aljaferia, heute Sitz des aragonischen Parlaments, geprägt. Eine prächtige Kassettendecke ist zu bewundern, doch die Ornamente an Fenstern, Säulen und Bogen sind, wie eine Besucherin kritisch bemerkt, „nicht so fein gearbeitet wie bei der Alhambra“. Man ist nicht eben pfleglich mit dem Freudenpalast umgegangen. Als Kaserne diente er und auch als Gefängnis, wie die unter Glas erhaltenen Graffiti der Häftlinge zeigen. „La Aljaferia stand lange leer und drohte zu zerfallen“, sagt Sonia. Erst vor kurzem wurde der Palast fertig restauriert.

Nur wenige Spuren finden sich noch aus jener Zeit, als die Römer dem Ort am Ebro den Namen Caesaraugustus gegeben hatten. Von der ursprünglich drei Kilometer langen Stadtmauer sind gerade mal 80 Meter übrig geblieben, keiner der einst 120 Türme steht noch.

Mit der Expo baut sich Saragossa nun nicht nur schöne Promenaden rechts und links des Ebros, sondern die ausstellenden Länder – mehr als 100 sind es – schaffen Wahrzeichen der Moderne. Denn vieles wie etwa der 76 Meter hohe gläserne Wasserturm wird bleiben. Und in einem futuristischen, gigantischen Schachtelwerk wird sich auch nach der Weltausstellung das größte Süßwasseraquarium Europas präsentieren. 5000 Tiere und hunderte Pflanzenarten werden in 60 Aquarien und Terrarien verteilt sein. Im Gebäude überquert der Besucher symbolisch fünf große Flüsse dieser Welt, den Nil, den Amazonas, den Mekong, den Darling und natürlich den Ebro.

Über ihn baut die in London lebende Stararchitektin Zaha Hadid einen 260 Meter langen Fußgängerviadukt in Form einer liegenden Gladiole. Mehr als 70 Meter tief reichen die Verankerungen der Brücke, und ihre beiden an den Ufern gewachsenen Teile auf dem schnell fließenden Ebro zusammenzuschieben, ist eine Meisterleistung. Wird das Prunkstück auch pünktlich fertig sein? „Auf jeden Fall“, sagt ein Expo-Mitarbeiter und schiebt lächelnd hinterher: „Wahrscheinlich aber erst am 13. Juni, einen Tag vor der Eröffnung der Ausstellung.“

Das gewählte Wasserthema der Expo ist Saragossa ein ernstes Anliegen. Dabei musste sich die Stadt um die wertvolle Ressource lange keine Sorgen machen. In Aragonien fließt sie reichlich. Aber nun will Murcia einen Kanal bauen, um Wasser aus dem Ebro ins trockene Andalusien zu leiten. So heißt man erst recht 30 Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen, unter spanischen Umweltorganisationen auch internationale wie den WWF, auf der Weltausstellung willkommen. In einem Pavillon aus Stroh und Lehm in Form eines riesigen Krugs wollen sie zeigen, dass es in puncto Klimaveränderung längst fünf vor zwölf ist. In Afrika ist das besonders deutlich zu spüren. In Saragossa kann der gebeutelte Kontinent seine Erfahrungen ausbreiten. Die spanische Regierung hat 20 afrikanischen Ländern einen gemeinsamen Pavillon gespendet.

Im deutschen Ausstellungshaus sollen innovative Produkte zur Wasseraufbereitung präsentiert werden. „Hightech zum Anfassen und Erleben“ wird versprochen. Zur Erfrischung wollen die Deutschen an Wasserbars „zahlreiche unterschiedliche Mineralwässer“ zur Verkostung reichen. „Deutschland bietet weltweit die größte Sortenvielfalt“, heißt es vollmundig in der Werbung. Ob es zum Thema dieser Expo passt, die Wasserflaschen deshalb bis nach Spanien zu verfrachten?

Saragossa bemüht sich um Nachhaltigkeit. Man wolle, so heißt es, die Umweltauswirkungen der Weltausstellung so gering wie möglich halten. Der Energiebedarf wird durch Solar- und Windanlagen gedeckt, in den Restaurants verwendet man biologisch abbaubares Geschirr, das mitsamt Essensresten entsorgt werden kann, und die Kugelschreiber sind aus Algenpapier. Tüten sind aus Kartoffelstärke und werden noch dazu von einem Unternehmen hergestellt, das nur wenige Kilometer entfernt vom Expo-Gelände liegt.

So viel wird zu entdecken und bestaunen sein, dass einem um die Stadt Saragossa fast ein bisschen bange ist. Werden nicht alle Besucher am Bahnhof dem Schnellzug AVE entsteigen und schnurstracks über die schöne neue Brücke zur Weltausstellung eilen? Und nicht über Plätze flanieren, durch Gassen streifen, Kirchtürme bewundern oder in gediegenen Restaurants oder Jugendstilcafés Platz nehmen? Dabei kann man im ehrwürdigen Grand Café Zaragoza unter museumsreifen Lüstern zufrieden beobachten, dass sich Junge und Alte durchaus viel zu sagen haben. Man kann sich wundern über all die Brautmodengeschäfte und das herrliche gekachelte Fischgeschäft „Casa del Bacalao“ bewundern. Und wehmütig durch die Passage de la Industria schlendern, deren geschwungene Jugendstilelemente dringend restauriert werden müssten.

Der Pavillon von Aragonien auf der Expo gleicht einem überdimensionalen Weidenkorb. Die kleineren Ausgaben davon kann man, gefüllt mit „Frutas de Aragon“, in Konditoreien und Bonbonboutiquen kaufen. Jeder Laden hat ein eigenes Rezept für die mit Schokolade umhüllten getrockneten Früchte, die, von bunten Staniolpapieren umhüllt, in Körbchen gefüllt werden. „Es ist die Spezialität unserer Region, und niemals darf ich bei Freunden in Madrid auftauchen, ohne sie mitzubringen“, verrät Sonia. Köstlich schmecken sie bei einer Rast auf der Plaza del Pilar. Und womöglich schaut Goya dort nur deshalb ein wenig mürrisch von seinem Sockel, weil er keine abbekommen hat.

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