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Stapelweise bunte Metallboxen. Doch noch sind im Rotterdamer Hafen nicht alle Container auf die „Alexander von Humboldt“ gehievt.

© Bernd Ellerbrock

Schiffsreise: 16020 Container und ich

Die „Alexander von Humboldt“ fährt schwerbeladen über die Weltmeere. Einige Passagiere dürfen mit.

Hamburg, Containerterminal Burchardkai: dem Shuttlebus entstiegen, abgesetzt vor einer monströsen Wand aus Stahl. Den Kopf im Nacken wie in der ersten Kinoreihe, die Blicke nach oben, nach rechts, nach links. Zu sehen: nur Schiff, bannig viel Schiff, denn hier hat ein schwimmender Koloss festgemacht.

Irgendwo da oben in luftiger Höhe liegt das Oberdeck. Dort hinauf? Ja, dort hinauf! Die nicht enden wollende 35 Meter lange Gangway scheppert und schwingt mit jedem Fußtritt. Runtergucken? Jetzt besser nicht. Oben angekommen, ist das erste kleine Abenteuer überstanden. Freundliches Grinsen der Gangwaywache, Eintrag ins Logbuch, Unterschrift, Ablieferung des Reisepasses. Willkommen an Bord der „CMA CGM Alexander von Humboldt“!

Hier am Burchardkai wurde das Schiff vor zwei Jahren getauft. CMA CGM, drittgrößte Reederei der Welt mit Sitz in Marseille, feierte das seinerzeit größte Containerschiff der Welt. Mit Stellplätzen für 16 020 Standardcontainer – und fünf Passagierkabinen. Inzwischen sind zwar Megafrachter mit 18 000, 19 000, demnächst mit mehr als 20 000 Metallkisten in Fahrt, allerdings ohne Mitreisemöglichkeit.

Der Boss heißt Alexander

Der Werbung der Reederei erlegen, „Ozeane und Kontinente im Herzschlag des internationalen Handels entdecken und das alltägliche Leben der Crew teilen“, haben Beatrice und Markus aus Bern eine Kabine auf der „Alex“ gebucht. Nach einigen Reisen auf kleineren Frachtern entschieden sie sich nun gezielt für diesen Giganten, getreu dem Motto „je größer, desto besser“, sagt Beatrice grinsend. „Und noch größer geht ja nicht.“

Zwei Tage liegt das Schiff im geschützten Hafenbecken von Waltershof, pausenlos schweben bunte Blechboxen hin und her. Bei diesem Besuch in der Hansestadt werden 2695 Container gelöscht und 1846 geladen, dann geht es kurz nach Mitternacht mit der einlaufenden Flut die Elbe abwärts Richtung Nordsee. Auf der Revierfahrt erklärt ein gesprächiger Lotse den Passagieren aus Sicht eines Nautikers die Dimension Schifffahrt, die sie nun miterleben können: Einen Kilometer voraus läuft die vom Schiff ausgelöste Bugwelle. Das Begegnen mit einem anderen Schiff dieser Größe ist jetzt nicht möglich und der Bremsweg beträgt mehrere Kilometer.

Wollte ein kleines Feederschiff überholen, würde es vom Sog des sich durch die Elbe wälzenden Hünen aus Stahl regelrecht angesaugt und unweigerlich ins Trudeln geraten. Es sei denn, das Schiff drosselte seine Geschwindigkeit. Aber doch nicht wegen eines kleinen Zubringerschiffes! So wird klar, dass in dieser Nacht der Respekt einflößende Boss auf der Elbe „Alexander“ heißt.

Das Wummern der Maschine ist weggedämmt

Unterwegs also mit einem Containerboliden, einem – so der Fachterminus – „Ulcs“ (Ultra Large Container Ship). Unser Schiff ist 396 Meter lang und damit 36 Meter länger als die beiden größten Kreuzfahrtschiffe der Welt „Allure of the Seas“ und „Oasis of the Seas“ der Reederei Royal Caribbean. Bei 53,6 Metern Breite (Vergleich: „Mein Schiff 4“: 35,8 Meter) entspricht die Decksfläche der Größe von vier Fußballfeldern.

Aufrecht hingestellt würde das Schiff den Kölner Dom, gar das Empire State Building überragen. Es könnte mit 327 Airbus A 380 beladen werden und dabei 16 Meter tief ins Wasser eintauchen. Oder eben mit 16 020 Containern, die hintereinandergereiht eine Strecke von Hamburg bis Kiel ergäben, und in die theoretisch 192 Millionen Paar Jeans gepackt werden könnten.

Sogar die Unterbringung der Passagiere erfolgt im XXL-Format. Die Suiten – wie in der Seefahrt üblich hier von „Kammern“ zu sprechen, wäre lächerlich – sind zwischen 25 und 39 Quadratmeter groß und auf dem zweitobersten F-Deck untergebracht. Betreut von einem Steward verfügen sie über große Doppelbetten, Dusche und WC, einen Schreibtisch, Kühlschrank, Couch, Salontisch und Sitzecke.

Bei viel Ladung kann auch schon mal die Sicht nach vorne verstellt sein, ansonsten gewähren die Kabinen grandiose Blicke auf Vorschiff und Meer wie von einem Aussichtsturm. Und ruhig ist es, erstaunlich ruhig. Das liegt nicht nur daran, dass sich die Fenster schalldicht verschließen lassen, sondern an der neuartigen Konstruktion dieser Megaliner: Getrennt voneinander befindet sich das Deckshaus mit der Brücke im vorderen und die Motoren nebst Schornstein im hinteren Drittel des Schiffes, sind also voneinander getrennt. So ist das typische ewige Wummern der Maschine kaum wahrnehmbar.

Das Essen wird vornehm mit Menükarte serviert

Geräumig. Eine Passagier“kammer“
Geräumig. Eine Passagier“kammer“

© Bernd Ellerbrock

Passagieren steht darüber hinaus ein Aufenthaltsraum („Lounge“) mit Fernseher und CD-Player zur Verfügung, außerdem eine Mini-Bibliothek, ein Fitnessraum und ein Mini-Swimmingpool auf dem A-Deck, der bei warmen Temperaturen mit Meerwasser gefüllt wird. Sogar Internetnutzung gegen Entgelt ist möglich. Mahlzeiten werden in der Offiziersmesse eingenommen, abwechslungsreich zubereitet vom philippinischen Koch TimTim Edgar (49), jeden Tag vornehm mit Menükarte serviert vom „Messboy“ Robas Jayson (31).

Dazu gibt’s ein Viertele Rotwein am Abend. Nur für Passagiere, denn eigentlich herrscht absolutes Alkoholverbot an Bord. Natürlich wird auf dem Schiff einer französischen Reederei Bordeaux kredenzt. Ansonsten ist auf dem Schiff allerdings so gar nichts französisch. Außer, dass ausgerechnet die sogenannten Rattenteller (sie werden zum Schutz gegen diese unliebsamen Gäste auf die Festmachertaue gesteckt) in den Farben der Trikolore bemalt sind. Das Schiff fährt allerdings unter der Flagge Großbritanniens, Heimathafen ist London, Bordsprache Englisch und die Besatzung stammt aus Kroatien und von den Philippinen.

Kapitän Slavko Malsic (58) aus dem kroatischen KuK-Städtchen Opatija („Sagen Sie einfach Kapitän zu mir.“) ist auf dem Weg nach Rotterdam allerbester Laune. Noch drei Häfen, dann endet seine Zeit an Bord erst mal wieder. Seine Ablösung, Landsmann Cvijeto Vukic (55), hat sich schon in Hamburg eingeschifft, da kann nichts mehr schiefgehen.

Als 1. Offizier angefangen habe er auf einem Mini-Containerschiff, erzählt Malsic. „Also auf einer Art Luftmatratze“, fügt er schmunzelnd hinzu. Und sein nächster Job führe ihn nach China, wo er für die Reederei einen noch größeren Frachter von der Bauwerft abholen würde, einen mit 18 000 Containern Ladekapazität. Da schwingt Stolz mit, es zum verantwortungsvollen Kommando auf solch einem Giganten gebracht zu haben.

Lade- und Löschvorgang wie von Geisterhand

Die „French Asia Line 1“ zwischen Europa und Asien, auf der CMA CGM ihre größten Schiffe einsetzt, gilt als der weltweit längste „Loop“. Auf dem Hinweg aus Asien transportiert das Schiff vor allem Konsumgüter für die europäischen Verbraucher, von Computern und Elektrotechnik über Kleidung bis hin zu Spielzeug und Haushaltswaren. Auf dem Rückweg sind die Schiffe weniger ausgelastet und bringen Autoteile, Maschinen und andere Investitionsgüter nach Asien.

Wer genügend Zeit und Geld hat, kann als Passagier für eine komplette Rotation an Bord gehen. Auch Teilstrecken sind buchbar. Fährt man etwa von Hamburg nach Hongkong, dauert das 48 Tage, von Hamburg nach Malta – die Passage ist nach Auskunft der Vermittlungsagenturen die mit Abstand am meisten nachgefragte – kommen wir in zwölf Tagen.

Die „Alexander von Humboldt“ ist ein Gigant. Knapp 400 Meter lang hat das Schiff Platz für 16 020 Container
Die „Alexander von Humboldt“ ist ein Gigant. Knapp 400 Meter lang hat das Schiff Platz für 16 020 Container

© Bernd Ellerbrock

Die Zeit reicht allemal, um die schon beeindruckende Welt hektischer Containerterminals, interessante Revierfahrten wie die durch die Meerenge von Gibraltar mit Delfinen und Walen, aber auch das Alleinsein auf weiter See, schwierige nautische Manöver und schließlich den stressreichen Arbeitsalltag der Seeleute an Bord kennenzulernen.

So macht die „Alexander von Humboldt“ in Rotterdam am hypermodernen, fast voll automatisierten Euromax-Terminal fest, wo Lade- und Löschvorgang wie von Geisterhand erfolgt. Im engen Hafen von Zeebrügge wird das Schiff unter Kontrolle von zwei Kapitänen, zwei Lotsen und drei weiteren Nautikern auf der Brücke wie ein rohes Dinosaurierei um 90 Grad gedreht – stundenlange Zentimeterarbeit mit Unterstützung von gleich drei Schleppern.

Spannung pur: Touchiert der Riese das Kreuzfahrtschiff?

Von der abgedunkelten Brücke, auf der nur die Befehle an den Steuermann und dessen monotone Befehls-Wiederholung die knisternde Stimmung unterbrechen, sieht das so aus, als könnte der Containerriese das gegenüberliegende edle Kreuzfahrtschiff „Ventura“ jeden Augenblick touchieren. Spannung pur. In Le Havre wird das Schiff mit 3000 Tonnen Treibstoff betankt. Allein dieses „Bunkern“ mit Schläuchen groß wie Pipelines dauert mehr als sechs Stunden, während auf der gegenüberliegenden Mole ein Bus Schaulustiger nach dem anderen vorfährt.

Passagiere genießen das Treiben wie von einem schwimmenden Aussichtsturm oder aus einem tief fliegenden Hubschrauber, denn ihre Logenplätze auf Brücke und Brückenauslegern (den „Nocks“) befinden sich in mehr als 50 Meter Höhe über dem Wasser – an den Terminals in gleicher Höhe mit den Brückenfahrern in ihren Kanzeln. Zum Vergleich: Die Hamburger Köhlbrandbrücke könnte unser Schiff nicht unterqueren – zu niedrig.

Auf der Passage zwischen Rotterdam und Le Havre beehren Inspektoren der Klassifizierungsgesellschaft Bureau Veritas (eine Art Schiffs-Tüv) das Schiff und überprüfen mit strenger Miene sämtliche Sicherheitseinrichtungen – von den Rauchmeldern bis zu den Rettungswesten. „Alles okay“, freut sich Sicherheitsoffizier Metrio Cesar (39).

In Le Havre kommt ein Geistlicher der Seemannsmission an Bord, um schließlich etwas resigniert festzustellen, dass die Crew entweder arbeiten oder schlafen muss und kein Interesse an seinem Angebot besteht. Bleibt das Gespräch mit dem Koch und einem Passagier.

Eine komplett animationsfreie Zone

Kapitän Malsic auf der Brücke.
Kapitän Malsic auf der Brücke.

© Bernd Ellerbrock

In Malta wird das Schiff von Studenten aus Paris besichtigt. Techniker, Agenten, Zollbeamte kommen und gehen. So sind bisweilen neben den 26 Besatzungsmitgliedern und den vier Passagieren sehr viele Menschen auf dem Schiff. Nicht zu vergessen die Lotsen: Vom Ablegen in Hamburg bis zum Festmachen auf Malta beraten abwechselnd 17 Lotsen die Offiziere, damit das wertvolle Schiff mit seiner nicht minder wertvollen Ladung, zusammen mehrere hundert Millionen Euro, sicher manövriert wird.

Auch wenn Passagiere hier eine komplett animationsfreie Zone betreten: Langweilig wird es nicht. Sogar eine der bei Seeleuten so beliebten Barbecue-Partys wird irgendwo im Mittelmeer ausgerichtet, ein Spanferkel am offenen Feuer stundenlang gegrillt – gottlob ohne das oft obligatorische Karaoke-Singen. Am Ende unserer Reise von Hamburg nach Malta (2749 Seemeilen oder rund 5100 Kilometer) wird die „Alexander von Humboldt“ 728 Tonnen Treibstoff verbraucht haben. Ein Mittelklassewagen wäre damit rund 125 000 Kilometer weit gekommen.

Das Schiff flößt auf Schritt und Tritt Respekt ein. Wenn die Taue mit zwei Händen nicht zu umfassen sind, wenn selbst zu zweit das Anheben eines einzigen Gliedes einer der beiden Ankerketten (jede wiegt 309 Tonnen und ist 385 Meter lang) unmöglich ist, wenn allein der Schornstein die Größe eines Mehrfamilienhauses hat, realisieren die Passagiere, dass sie auf einem richtig großen Schiff gelandet sind.

Tipps für die Reise mit einem Containerschiff

Fette Kette
Fette Kette

© Bernd Ellerbrock

Eine Frachtschiffreise macht kaum jemand aus dem Stand, zumindest niemand, der mit dieser Art des Reisens noch keinerlei Erfahrung gesammelt hat. Denn vor dem Entschluss sollte man sich einige Tatsachen vergegenwärtigen: Eine Frachtschiffreise ist keine Kreuzfahrt. 24 Stunden Bar und Büfett – Fehlanzeige. Dauerbespaßung – gibt’s nicht. Hafenzeiten – meist sehr begrenzt. Liegeplätze – oft jwd. Feste Route und Einhaltung des Fahrplans – nicht garantiert. Gegeben sind hingegen: viel Zeit für eigene Beschäftigung wie Lesen, Schreiben, Musikhören, Fotografieren, aufs Meer blicken oder der Besatzung bei der Arbeit zuschauen (meist auch auf der Brücke).

Auf Passagiere eingerichtete Frachtschiffe, auch auf Flüssen und Kanälen, bieten unterschiedlich lange Mitfahrgegenheiten an: beispielsweise von Straßburg nach Dortmund, sechs Tage ab 540 Euro oder von Genua über China bis zur US-Westküste und zurück in etwa 112 Tagen, ab 9520 Euro (hin nur bis Los Angeles, 52 Tage, ab 4420 Euro). Preise ohne An- und Abreise.

Auf der im Text beschriebenen Europa– Asien-Route verkehren mehrere nahezu baugleiche Container-Giganten. Rundreise: ab 7700 Euro in 77 Tagen; die 31-tägige Einwegreise bis Port Kelang ab 3100 Euro oder Port Kelang–Hamburg in 22 Tagen ab 2200 Euro. Auch kürzere Teilstrecken sind gegebenenfalls buchbar. In jedem Fall sollten sich Anfänger im Reisebüro beraten lassen. Im Internet sind unter anderen folgende Vermittler zu finden: zylmann.de, frachtschiffreisen-pfeiffer.de, hamburgsued-frachtschiffreisen.de

Freie Sicht von der Brücke. Auch Passagiere sind hier stets willkommen.
Freie Sicht von der Brücke. Auch Passagiere sind hier stets willkommen.

© Bernd Ellerbrock

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