zum Hauptinhalt
So kennen wir ihn. Götz George in seiner Rolle als „Tatort“-Kommissar Schimanski bei Dreharbeiten im Duisburger Hafen.

© Martin Athenstädt/dpa

Schimanski-Tour: Horst sein Revier

„Schimanski“ kommt zurück auf den Bildschirm. Und in Duisburg können sich Besucher zu seinen Tatorten führen lassen.

„Was soll die Scheiße?“, würde er wahrscheinlich jetzt knurren, den Kragen der beigefarbenen Jacke fester zusammenziehen und, nach einem letzten Blick in den heftig pladdernden Regen in die nächste Kneipe in der Fürst-Bismarck-Straße flüchten. Hier hatte er das Unwort zum ersten Mal gesagt. In Duisburg-Ruhrort, genau gegenüber dem Haus Nummer 10. „Zottel, du Idiot, hör’ auf mit der Scheiße!“, hatte er hinauf gerufen zu einem Bekannten, der soeben wütend seinen Röhrenfernseher aus dem Fenster wuchtete.

Jetzt, kurz vor seinem 75. Geburtstag am 23. Juli, will es Götz George noch einmal wissen. Für ihn wird es der 46. Auftritt in der legendären Schmuddeljacke sein: 29 Mal als „Tatort“-Kommissar und bis dato 16 Mal in der Serie „Schimanski“. Duisburger sind stolz auf „Schimmi“ und Touristen können Touren buchen, auf denen die Schauplätze aus den Filmen gezeigt und mit Anekdoten gewürzt werden.

Am 28. Juni 1981 mussten Deutschlands Fernsehzuschauer das böse Wort zum ersten Mal über sich ergehen lassen. Helmut Schmidt war noch Bundeskanzler und Horst Schimanski hatte seine Premiere als „Tatort“-Kommissar. Die Zeitungen waren empört. „Scheiße“ sagte man nicht. Schon gar nicht am heiligen Fernsehabend. Doch dem Publikum gefiel dieser ungehobelte Draufgänger.

Mehr als die Hälfte der 29 „Tatorte“ mit ihm wurde in Ruhrort gedreht. Hochöfen, Werften, Kneipen, schmuddelige Winkel – hier gab es alles, was ein prächtig-proletarisches Milieu ausmachte. Zugleich war Ruhrort so etwas wie das Rotlichtviertel des Ruhrpotts: ein kleines Sündenbabel, ein Ort eher für Gauner als für Gangster.

Zwölf dieser Drehorte klappert Dagmar Dahmen im Rahmen ihrer „Schimanski-Tour“ ab. Die blonde Journalistin im lilafarbenen Regenmantel stellt sich auf eine rote Bierkiste, zeigt Fotos aus den Filmen und erzählt Anekdoten – immer mit einem kleinen ironischen Lächeln in den Augen: Nehmt das mal alles nicht ganz so tierisch ernst!

Damen in Bordell begrüßten ihn freudig

Dem Kommissar auf der Spur. Dagmar Dahmen und ihre Assistenten.
Dem Kommissar auf der Spur. Dagmar Dahmen und ihre Assistenten.

© Franz Lerchenmüller

Auch Assistenten hat sie dabei: Dieter Siegel mit markantem weißen Schnauzer war Maler und hat in neun „Tatort“-Folgen für die Ausstattung gesorgt. Britta Gies, so freundlich wie energisch, betreibt das Café Kaldi, von dem noch die Rede sein wird. Sie ergänzt den nostalgischen Blick in die Vergangenheit des Viertels um den auf das heutige, im Wandel befindliche.

Ein erster Halt erfolgt an der Gaststätte Ruhrorter Hof, das sein Aussehen seit 30 Jahren wenig verändert hat. Für Schimanski wurde es zum Bordell umfunktioniert: Der Kommissar ging durch den Flur, erfahren die Zuhörer, und jede zweite der Damen erkannte ihn freudig: „Was machst du denn hier, Schimmi?“

Weiter geht es: Die heutige Dönerbude Imbiss City am Friedrichsplatz hieß einst Pommes-Kalle und wurde im Fernsehen zu „Bei Gina“: Hier vertilgte Schimanski seine erste Currywurst und machte den Verzehr für alle künftigen NRW-Kommissare zur Pflicht. Über den Rhein segelte er in der letzten Folge mit dem Gleitschirm und brüllte noch einmal sein legendäres „Scheiße!“. Die Friedrich- Ebert-Brücke schließlich hatte es Regisseur Hajo Gies so angetan, dass er sie angeblich in sämtlichen von ihm gedrehten Folgen präsentierte, „tags, nachts und in allen Lebenslagen“.

Die Ruhrpott-Rambo-Rolle machte den gebürtigen Berliner Götz George zum Vorzeigekumpel. So sehr identifizierte sich die Region mit Schimanski, dass sein „Fieldjacket M 65“ heute im Ruhrmuseum Essen hängt, versehen mit seiner Biografie: „Horst Schimanski wurde irgendwann zwischen 1938 und 1943 in Stettin oder Breslau geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen in Duisburg-Homberg auf...“

Über die Mercatorinsel geht der Blick zum Zusammenfluss von Rhein und Ruhr. „Rheinorange“, die 25 Meter hohe und sieben Meter breite Skulptur, leuchtet als kräftiger Farbbalken vor Kränen, Schornsteinen und Starkstrommasten durch das Schmuddelgrau. Zu Schimmis frühen Zeiten gab es sie noch nicht. Erst 1992 ließ der Kölner Bildhauer Lutz Frisch das auffällige Monument aus 83 Tonnen Stahl anfertigen.

Vieles hat sich im Viertel verändert, seit das Raubein mit dem großen Herzen hier Ganoven jagte. Ruhrort hatte das erste „Karstadt“ Duisburgs, sagt Britta Gies, und eine umfassende Infrastruktur. Der Duisburger Binnenhafen war der größte der Welt, abends stürzten sich die Schiffer ins Ruhrorter Nachtleben. Es gab zahlreiche Bordelle, mehr als hundert Kneipen – „und es werden immer mehr, mit je mehr Ruhrortern man spricht“, sagt Dagmar Dahmen lachend.

Museale Radschleppdampfer erinnern an das Hafengewimmel von einst

Typisch Ruhrpott – für den kleinen Durst.
Typisch Ruhrpott – für den kleinen Durst.

© Franz Lerchenmüller

Das war einmal. Für die Schiffer heißt es heute „Laden-Löschen-Laden“ - Liegezeiten haben sie gar keine mehr, wenn es sich eben machen lässt. Viele Läden, Wohnungen und Gaststätten stehen leer – „ein mittelschöner bis schrecklicher Anblick“.

Dass das Quartier nicht ganz verkam, verdankt sich einem weltweit operierenden Unternehmen mit Heimatgefühlen. „Alle Weg führen zu Haniel“, sagt Dagmar Dahmen. Der Gemischtkonzern, der einer der reichsten Familien Deutschlands gehört, hat in Ruhrort seinen Stammsitz und investierte immer wieder mal auch in die Stadtentwicklung.

Am Leinpfad lebte Schimanskis Geliebte, die Kneipenwirtin Lilo, in einem Haus mit blassem, leicht blaustichigen Grün. Die Blümchentapete, vor der Horst S. nach der ersten Nacht erwachte, hatte Ausstatter Dieter Siegel damals persönlich angeklebt. Längst ist das Haus saniert. Am Ufer erinnern noch ein paar museale Radschlepp- und Eimerkettendampfer an das Hafengewimmel von einst, die Wasserlinie wurde für Touristen aufgehübscht. „Wir haben im Viertel inzwischen Galerien, kleine Läden, Live-Musik, Comedy – doch viele Betreiber halten nicht durch“, sagt Britta Gies. Bis Ruhrort als Szeneviertel durchgeht, wird sich noch einiges Wasser aus der Ruhr in den Rhein ergießen.

Schimanski, Rundtour, die letzte. Lünemanns Loch, eine wassergefüllte Hafenausbuchtung, ist benannt nach Lünemanns Werft, und auch die ist schon Geschichte. Geheimnisvoll leuchtet es aus der „Blauen Grotte“, einem ehemaligen Abgang zu den Binnenschiffen, den die Künstlerin Heide Weidele Anfang der 90er Jahre mit Yves-Klein-Blau ausmalte, um etwas „Capri-Feeling“ ins Ruhrgebiet zu bringen.

„In einer der ,Tatort‘-Folgen geht es hier um Giftmüll“, erzählt Dieter Siegel. „Sie brauchten weiße Fässer und boten uns an, Teerfässer zu streichen, 50 Mark pro Stück. Ein paar Tage später rollte ein Lkw mit mehr als 100 Fässern an. Als wir fertig waren, passte es ihnen nicht: Nun sollten wir noch einen Totenkopf auf jedes Fass pinseln – für noch einmal jeweils 20 Mark. Am Ende war die Szene nur ganz, ganz kurz im Film.“ Glorreiche, geldschwere ARD-Zeiten...

War Götz George nett?

Klappe! Die erste Folge mit „Schimmi“ flimmerte 1981.
Klappe! Die erste Folge mit „Schimmi“ flimmerte 1981.

© Franz Lerchenmüller

Ihren Abschluss findet die Tour im Café Kaldi am Neumarkt. In diesen Räumen befand sich einst die reale und die filmische Kneipe „Zum Anker“. „Morgens wurde hier bei Korn und Bier die Fracht an die Schiffer verteilt“, erinnert sich Siegel, „und man konnte prima Muscheln essen.“ Über dunklen Holzpaneelen hängen Fotos vom alten „Anker“, Schimanski-T-shirts und eine Autogrammkarte des jungen Götz George, auf der er strahlt wie Rex Gildo selig. Serviert wird, klar, Currywurst mit Pommes und Pils aus der Flasche. Klaus Lage singt „Faust auf Faust“, und allmählich geht die Veranstaltung in einen gemütlichen Nachmittag über.

Auf den mehr als 80-jährigen Manni Kleinrahm, der häufig als Sicherheitsmann bei Dreharbeiten eingesetzt war, prasseln die Fragen nur so nieder: War Götz George nett? Oder stimmt’s, dass er manchmal arg garstig sein konnte? „Mein Freund Schimmi ist ein grundehrlicher Kerl. Nur die ,Bild‘-Zeitung kann er nicht ab, da ist er eigen.“ Schimanski heiße Schimanski, erfahren die Zuhörer, als eine Hommage an den Fußballspieler Horst Szymaniak aus Erkenschwick. Der ebenfalls „Schimmi“ Genannte spielte einst auch für den SC Tasmania 1900 Berlin. Leider in deren unseliger Bundesligasaison 1965/66, als in den 34 Saisonspielen lediglich zwei Siege gelangen und am Ende 15:108 Tore standen. Und die Drehbücher, verrät Manni schließlich noch, schrieb Schimanski regelmäßig um, weil er sie oft hanebüchen fand.

Bleibt schließlich noch die eine, die Königsfrage an die Veranstalterinnen: Warum wurde diese Tour von Anfang an zum Renner? Oder anders: Was macht Kommissar Schimanski zur Identifikationsfigur für das Ruhrgebiet – auch noch nach mehr als 30 Jahren, seit er sich zum ersten Mal durch Ruhrort geprügelt hat? „Es ist das Geerdete“, antwortet Dagmar Dahmen nach kurzem Überlegen. „Er ist geradeaus, unverstellt, hat ein großes Gerechtigkeitsempfinden, wählt ungewöhnliche Methoden und traut sich, Sachen zu sagen, die man selbst als Duisburger nicht sagen würde.“ Ist da unter den Schauspielern jemand in Sicht, der vielleicht seine Nachfolge als Ruhrpott-Polizist antreten könnte? Britta Gies zögert keinen Moment und spricht aus, was ohnehin alle wissen: „Undenkbar. Die Schuhe sind zu groß. Es gibt keinen zweiten ,Schimmi‘ mehr.“

Zur Startseite