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Schlaubetal: Der Schwarzspecht ist noch wach

Im Winter ruht die Natur. Und birgt doch so viele Überraschungen. Eine Wanderung durchs Schlaubetal in Brandenburg

Es raschelt unter den Füßen. Zentimeterdick liegt das braun gefärbte Eichenlaub auf dem Weg entlang der Schlaube. Plötzlich taucht ein Farbtupfer am Wegesrand auf. „Eine Ackerwitwenblume!“, ruft Nico Brunkow erstaunt. Der Ranger im Naturpark Schlaubetal hat so kurz vor dem Winterbeginn noch nie eine Sommerblume entdeckt. Statt wie ihre Artgenossen spätestens Mitte September zu verblühen, hat sich dieses Exemplar fast bis Weihnachten gerettet.

Doch auf einer Winterwanderung der Naturwacht Brandenburg gibt es noch einiges mehr zu sehen. Im Naturpark Schlaubetal, rund 80 Kilometer östlich von Berlin, leben etwa die seltenen Schell enten. Mit ihren schneeweißen Federn sehen sie von Weitem aus wie Bojen auf der Schlaube. „Das sind Höhlenbewohner“, erklärt Brunkow. Da es aber nicht mehr so viele hohle Bäume gibt wie fortpflanzungswillige Enten haben die Naturwächter extra Bruthütten ins Wasser gestellt. Eindrucksvoll beschreibt der gelernte Naturpfleger, wie die Schellenten in vollem Flug diese Hütten aufsuchen. „Die müssen da drin eine Vollbremsung machen, um nicht gegen die Rückwand zu krachen.“

Der Job der vier Ranger im Schlaubetal ist es, sich Tag und Nacht um Flora und Fauna zu kümmern, natürlich auch im Winter. Sie wissen, wo hier die letzten Exemplare Frauenschuh wachsen, wo Otter verkehren und wie die Ostbrandenburgische Plattenkiefer aussieht, ein mit plattenartiger Rinde umhüllter Baumriese, der nur noch selten vorkommt und 150 Jahre alt werden kann. Im gesamten 227 Quadratkilometer großen Naturpark Schlaubetal wachsen rund 1100 verschiedene Pflanzenarten, die es zu schützen gilt. Im Winter ist davon auf den ersten Blick nur wenig zu sehen, umso wichtiger ist deshalb ein fachkundiger Begleiter.

Wer mit den Naturwächtern im Wald unterwegs ist, lernt eine Menge. Etwa wie das Eichenlaub der Traubeneiche aussieht. Ranger Mario Marschler bückt sich und hebt verschiedene Blattsorten auf. „Die Stieleiche hat einen kurzen Blattstiel, dafür hängen die Früchte an langen Stielen, bei der Traubeneiche ist es umgekehrt“, erklärt er. Wenig später passiert die Gruppe einen rund 30 Zentimeter großen Baumpilz, der aussieht wie gesprühter Füllschaum. Daneben leuchtet der immergrüne Tüpfelfarn. Brunkow nimmt ein Blatt und klappt es nach oben, damit alle das namensgebende Tupfenmuster sehen können.

Die Wandergruppe, die vom Forsthaus Siehdichum nordwärts unterwegs ist, lauscht den Erklärungen der Ranger, stellt Fragen und vergisst fast, dass die Natur im Winter vor allem auch Stille zu bieten hat. Wer ein wenig zurückbleibt, hört keinen Laut. Es ist, als sei der Wald in einen tiefen Schlaf gefallen. Selbst das Wasser der Schlaube, das zu Mühlen tei chen aufgestaut eine beachtliche Breite erreicht, scheint still zu stehen.

„Da hinten sitzt ein Eisvogel“, zischt Kollege Mario Marschler leise und gibt ein Fernglas herum. Doch ehe die Wanderer scharf gestellt haben, ist der seltene Vogel schon wieder weitergeflogen. Plötzlich krachen Schüsse durch den Wald. Auf einem Schild am Wanderweg stand etwas von Treibjagd und dass der Weg gesperrt sei. Doch Brunkow hat die Jäger informiert, und so hoffen wir, dass sie wirklich an uns denken. Wenig später zwängen sich zwei Männer mit Knüppeln und orangefarbenen Sicherheitswesten durchs Buschwerk. Es sind Treiber auf der Suche nach Wildschweinen und Rehen, die sich nicht blicken lassen. Genauso wenig wie die hier lebenden Ringelnattern und Moorfrösche, die sich zur Paarungszeit hellblau färben und jetzt ihre wohlverdiente Winterruhe genießen. So wie fast alle Tiere im Wald.Der einzige Vogel, dessen Ruf ab und zu durch die kahlen Äste dringt, ist ein Schwarzspecht. Auch die von Fischern ungeliebten Kormorane jagen über dem Wasser nach schuppigen Leckerbissen.

An der Ragower Mühle ist schließlich Endstation. Die ausgekühlten Wanderer wärmen sich mit Glühwein, Gastwirt Baldur Börner tischt Zander und Forellen aus der Schlaube auf. Er hat die morsche Wassermühle 1987 entdeckt und wieder aufgebaut. Ein kleines Museum zeugt eindrucksvoll von der Mahltechnik früherer Zeiten. Hinter dem Gasthaus hält Börner Waschbären. Den ersten hat er vor seiner Haustür gefangen, weil er ihm die Vorräte ständig angeknabbert hat. Töten kam für den rüstigen Mann im Rentenalter nicht infrage, stattdessen baute er lieber ein Gehege. Damit sich der Waschbär nicht einsam fühlt, hat er noch zwei weitere besorgt. Auch vietnamesische Schweine sind da, auch ein paar Ponys zum Streicheln. Das freut vor allem die Kinder seiner Gäste, die auch manchmal übernachten. Börner schimpft über die Biber, die ihm vergangene Nacht wieder die jungen Weiden umgenagt hätten. Fangen darf er sie nicht, denn die Tiere stehen unter Naturschutz.

Auf der Uferwiese vor der Ragower Mühle kokelt ein Lagerfeuer, das extra für die Wanderer entfacht wurde. Es soll schon mal einstimmen auf Heiligabend an der Mühle. In der Dämmerung kommen jedes Jahr viele Familien ans Ufer der Schlaube und warten am Lagerfeuer auf den Weihnachtsmann. Der kommt dann mit einer voll beladenen Kutsche aus dem Wald gefahren und bringt den Knirpsen ihre Geschenke. „Danach sind selbst ältere Kinder davon überzeugt, dass es den Weihnachtsmann also doch gibt“, sagt Börner und schmunzelt.

Christine Berger

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