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Bis zur See reicht der Blick von der Schweiz aus eher selten.

© swiss-image.ch/Jost von Allmen

Schwere Entscheidung: Fernsicht für alle

Berge oder Meer?, fragen sich nicht besonders viele Urlauber. Denn die meisten haben ganz klare Vorlieben.

Zugspitze oder Mittelmeer? Die einen liegen am liebsten am Strand, die anderen lieben Gipfelblicke. Beide Landschaften faszinieren offenbar Millionen von Urlaubern. Denn die wichtigsten Reiseziele rund um den Globus haben fast immer Meerblick oder Berge am Horizont. Aber wie kommt das eigentlich?  „Es gibt zwei Grundmotive, warum Menschen Urlaub machen: den Wunsch nach Erholung und den nach Kontrast zum Alltag“, sagt Professor Ulrich Reinhardt. „Alle anderen Kriterien, Exotik, Erotik, Kultur, Essen sind nachrangig“, erklärt der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Und in dieser Hinsicht haben Landschaften wie Berge und Meer einfach viel zu bieten.

Historisch gesehen hat der Tourismus in großem Stil vor gut 150 Jahren in der Schweiz begonnen, sagt Reinhardt: „Die Ursprünge waren der Bergtourismus und der Alpinismus.“ Damals entwickelte der Brite Thomas Cook das Konzept der Pauschalreise. Und dabei ging es zunächst einmal in die Alpen.

Jemima Morell nahm an der ersten Pauschalreise überhaupt teil, die unter anderem ins Wallis und ins Berner Oberland führte. Und sie führte Tagebuch darüber – das in diesem Jahr auf Deutsch erschienen ist: Die Britin schwärmte von steilen Pfaden, schneebedeckten Alpengipfeln, mit Alpenrosen bewachsenen Hängen und den Grindelwaldgletschern. Ihr Reisebericht klingt wie eine aufregende Expedition in eine völlig fremde Welt.

Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg kam dann der zweite große Reisetrend Richtung Mittelmeer. „Das war in den 1960er Jahren“, sagt Tourismusforscher Reinhardt, als die Deutschen mit dem Käfer an die Riviera oder mit dem Flieger – und Zwischenlandung – nach Palma de Mallorca durchstarteten. Seitdem sind diese beiden Vorlieben etablierte Konstanten im Urlaubsverhalten.

Und Konstanten wissen deutsche Urlauber ausgesprochen zu schätzen:  „Jeder dritte Deutsche ist ein Stammgast, der seinem bevorzugten Reiseziel treu bleibt.“ Dieser Faktor bei der Urlaubsplanung wird oft unterschätzt: „Von den Urlaubern, die zuletzt an der Nordsee waren, fahren 45 Prozent wieder dorthin“, sagt Reinhardt. „Von denen, die in Bayern waren, entscheiden sich 42 Prozent beim nächsten Mal noch einmal dafür.“ Also: Berge oder Meer.

Die Werte für Ostsee und Baden-Württemberg (jeweils 35 Prozent) liegen etwas niedriger. Die Zahl der konsequenten Wechsler, die in einem Jahr Urlaub am Meer und im anderen in den Bergen machen, hält Reinhardt für deutlich kleiner. Aber wie erklärt sich diese Trägheit bei der Wahl des Urlaubsziels? „Man will einerseits Ablenkung vom Alltag, aber andererseits eben auch Vertrautheit“, erklärt der Wissenschaftler.

Berglandschaften mit ihren Gipfelriesen wirken oft als Gegenentwurf zur Alltagsumgebung: „Die Berge sind einfach unglaublich massiv und dadurch faszinierend“, sagt Thomas Vetsch von Schweiz Tourismus. „Das erlebe ich auch so, immer wieder.“ Vetsch kommt selbst aus der Schweiz, dem Land, in dem es allein 48 Viertausender gibt und Berge wie das Matterhorn, die Jungfrau oder den Eiger, die weltweit berühmt sind. Wenn man sich vorstellt, welche Kräfte da gewirkt haben, diese Giganten der Alpen aufzutürmen, fühlt man sich gleich ganz klein. Das ist ein Erlebnis, das viele machen.“ Toll an den Bergen findet Vetsch vor allem die Fernsicht: „Ich war gerade in der Ostschweiz, da gibt es schon phantastische Aussichten.“ In seiner Ostschweizer Heimat steht auch sein Lieblingsberg, der Hohe Kasten. „Er ist nur knapp 1800 Meter hoch“, erzählt Vetsch, „aber man hat eine großartige Sicht auf Bergseen und aufs Rheintal, bis zum Bodensee.“

Meer vermittelt mehr Ungezwungenheit

Hinterm Horizont geht’s weiter. Diese Einsicht genügt Strandbesuchern.
Hinterm Horizont geht’s weiter. Diese Einsicht genügt Strandbesuchern.

© A. Heimann

Diese Begeisterung für die Bergwelt teilt nicht jeder: „Ich mag Berge überhaupt nicht“, sagt die Wissenschaftsjournalistin Eva Tenzer. „Ich fühle mich da eingeengt und mache dort nur selten Urlaub.“ Sie zieht es ans Wasser. Und wieso ist Urlaub am Meer so besonders? „Es gibt einen wichtigen Unterschied zu allen anderen Landschaften“, sagt Tenzer. „Man hat dort die Möglichkeit zum passiven Genießen. In den Bergen wandert man oder will sogar auf die Spitze“, erklärt die Autorin des Buches „Einfach schweben – Wie das Meer den Menschen glücklich macht“, die in Oldenburg unweit der Nordseeküste lebt.

Mit Bergen verbinde sich fast automatisch die Herausforderung, aufzusteigen. „Und das ist anstrengend.“ Am Strand könne man einfach liegen und nichts tun außer den anderen Strandurlaubern zuzugucken – ein maximaler Gegenentwurf zur Arbeitswelt. Wer unbedingt aktiv sein möchte, könne das an der Küste problemlos: „Schwimmen, Surfen, Segeln – das Meer lässt sich ganz vielfältig erleben, das ist ein ganz wichtiger Aspekt.“

Thomas Vetsch lässt das nicht gelten: „Man kann auch in den Bergen wunderbar entspannen, nichts tun und die frische Bergluft genießen.“ Klassische Luftkurorte wie Davos und Saas Fee hätten schon immer davon profitiert. Und es stimme zwar, dass in den Bergen die Versuchung groß sei, die Wanderstiefel anzuziehen. „Aber man muss das ja nicht machen.“

Für Eva Tenzer kommt am Meer dieses besondere Gefühl von Ungezwungenheit hinzu: „Man kommt an den Strand, zieht sich aus, zumindest die Schuhe, läuft mit den nackten Füßen durch den Sand. Man spürt dieses Leichtlebige, Ursprüngliche.“ Und das setzt sich beim Baden fort: „Das Salzwasser trägt einen, man hat ein Gefühl von Schwerelosigkeit – das gibt es in Flüssen oder Seen nicht.“ Und schon die Geräusche des Meeres seien für Menschen angenehm: „Das Wellenrauschen ist wie Wellness für Ohren. Das hat man in keiner anderen Landschaft.“

Woher es kommt, dass die einen lieber ans Meer fahren und die anderen in die Berge? „Das hat sicher etwas mit Prägung zu tun, mit der eigenen Biografie“, sagt Tenzer. „Oft mag man einfach die Landschaften, mit denen man aufgewachsen ist. Aber wir haben auch Sehnsuchtslandschaften, die stark durch Bilder, Erzählungen und spätere Erfahrungen geprägt sind.“ Es hängt aber auch stark von der jeweiligen Lebensphase ab, betont Ulrich Reinhardt: „An der Küste machen dreimal so viele Familien Urlaub wie Ältere, in den Bergen dreimal so viele Ältere wie Familien. Allein der Anteil der Urlauber über 65 ist dort doppelt so hoch wie der zwischen 50 und 64 Jahren“, erklärt der Wissenschaftler.

Gleichzeitig sei der Anteil kinderloser Paare in den Bergen deutlich höher als an der See. Da könnte sich in den kommenden Jahren allerdings einiges tun: „Die Zielgruppe Familie wird kleiner und damit auch die Zahl der Touristen mit einer Vorliebe fürs Meer.“ Für die Tourismusbranche sei deshalb eine der künftigen Herausforderungen, mehr Ältere für den Urlaub am Strand zu begeistern – statt sie an die Berge zu verlieren. Für Thomas Vetsch gibt es dieses Entweder-Oder übrigens nicht: „Ich gehe wahnsinnig gerne in die Berge“, sagt der Schweizer. „Aber ich bin auch sehr gerne am Meer.“

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